Frage zu einer Ihrer Antworten: Schüchternheit in Gruppe

Dr. med. Rüdiger Posth Frage an Dr. med. Rüdiger Posth Facharzt für Kinderheilkunde, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut

Frage: Frage zu einer Ihrer Antworten: Schüchternheit in Gruppe

Sie haben in einem Beitrag zu Schüchternheit in der Gruppe von Janet folgende Zeilen geschrieben: "Allerdings gibt es Kinder, die in diesem Alter schon weiter sind und ihren Willen und ihre Wünsche tatkräftiger umsetzen. Und es gibt Kinder, die weniger Umgangsschwierigkeiten mit fremden Personen haben. Das ist eine Frage v.a. der bisherigen Erfahrungen im eigenen Gefühlsleben und im Umgang mit den Bezugspersonen." Mich würde jetzt interessieren, welche Erfahrungen Sie damit konkret meinen. Welche Erlebnisse können z.B. die Entwicklungsgeschwindigkeit des aufkommenden Willens und des Selbstbewusstseins beeinflussen? Freue mich sehr auf Ihre Antwort! Vielen lieben Dank!

Mitglied inaktiv - 25.11.2003, 22:12



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Liebe Tatjana, da ich meinen erklärenden Langtext über das emotionale Bewußtsein absichtsvoll nicht so theoretisch verfaßt habe, bleiben solche Fragen zur Systematik natürlich teilweise offen. Die muß ich wohl noch einmal gesondert beantworten. Also die zwei grundsätzlich das Selbstbewußtsein beeinflussenden Erfahrungen aus den beiden ersten Lebensjahren sind die des Bindungsgeschehens und der emotionalen Integration. Das Bindungsgeschehen hat etwas mit der günstigen Übereinstimmung der mütterlichen und kindlichen Affekte (Formen des Gefühlsausdrucks)zu tun, wobei eine gute Übereinstimmung (attunement) zu einer sicheren Bindung führt. Alle Abstriche davon führen ab einem gewissen Punkt zunächt nur zu unsicheren Bindungen, was nicht gleichzustzen ist mit pathologisch! Die emotionale Integration findet im Kind selbst statt in der Hauptsache unter Zuhilfenahme einer bereitwilligen, mütterlichen Regulationunterstützung eigener Gefühle von negativ nach positiv. Also schlechte Gefühle wie Unheimlichkeit und Angst werden durch aktive Zuwendung und einfühlsame Tröstung durch die primäre Bezugsperson, die ja keineswegs immer die Mutter sein muß, umgewandelt in Vertrauen, Sicherheit und Zuversicht. In gewisser Weise empfindet der Säugling dabei Glückgefühle und die machen ihn stark und unterstützen und fördern seinen aufkommenden Willen. Mit dieser inneren Stärke kann sich der Säugling dann in der Loslösungsphase besser und von sich selbst überzeugter von der Mutter trennen (sein Leih-Selbst aus der Mutter-Kind-Dyade im autonomen Selbst aufgehen lassen). Die sichere Bindung löst sich also leichter als die unsichere. Die gelungenere Lösung wiederum ist aber die ideale Ausgangsbasis für das Entstehen des Selbstbewußtseins. Das ist im großen und ganzen das Programm. Nun noch kurz zu Ihrer(m) Mitfrager(in). Wieviel an persönlichen Eigenschaften genetisch determiniert ist, und wieviel durch Umwelteinfluß gestaltet wird, darüber streiten sich die Wissenschaftler, und dieser Streit wird nie zu Ende gehen. Ich halte es für eine vernünftige Lösung, anzunehmen, daß jede Eigenschaft auf dem Boden eines Temperament oder einer Charakteranlage entsteht, aber dadurch nicht determiniert ist, sondern ledigleich in einen gewissen Spielraum eingefaßt. Wäre es anders, bekämen wir schnell ein ethisches Problem. Gibt es angeborene Verbrecher? Sind die wirklich guten Menschen nur gut, weil es ihnen in die Wiege gelegt wurde? Ist niemand mehr irgendwo frei in seiner Persönlichkeitswerdung? Und ist es sinnlos, ein Kind mit elterlicher Liebe und Güte groß werden zu lassen, weil es ja doch mit schlechten Anlagen ausgestattet ist? Wenn gut und schlecht wie Augenfarbe und Körpergröße festgelegt wären, was könnten wir überhaupt noch tun? Viele Grüße

von Dr. med. Rüdiger Posth am 28.11.2003



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Hallo, so interessant ich die Ausführungen von Herrn Dr. Posth zu diesen und ähnlichen Themen finde, ganz nachvollziehen kann ich sie nicht, vielleicht habe ich sie auch nicht korrekt verstanden? Unbestreitbar, dass negative Erfahrungen in der frühen Kindheit das Selbstbewußtsein des Kindes schwächen können, bei Herrn Dr. Posth habe ich jedoch den Eindruck, daß er sämtliches zurückhaltendes Verhalten eines Kindes als negativ wertet und die Schuld daran elterlichen Erziehungsfehlern gibt. Das fände ich nämlich viel zu pauschal geurteilt, zumal man dauraus folgern könnte, je offener ein Kind sich verhält, umso fehlerloser sei die Erziehung in der frühen Kindheit gewesen. Was ist mit den Kindern, die schon fast distanzlos fremden Personen gegenüber sind? Ist denen ihr Selbstbewußtsein zu sehr gestärkt worden? Doch wohl kaum. Da liegt wohl eine andere Problematik zu Grunde. Ist der Charakter/das Temperament eines Kindes nicht vielmehr genetisch bedingt, evtl. noch verstärkt durch das elterliche Vorbild? Sicherlich können die Eltern versuchen auf das Kind positiv und lenkend einzuwirken, ursächliche Temperamentsänderung werden sich dadurch aber nicht erreichen lassen, unabhängig davon, dass jede Familie auch ein unterschiedliches Temperament als Ideal betrachten wird. LG Anda

Mitglied inaktiv - 27.11.2003, 13:30



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sollte man bemüht sein, sein Kind so anzunehmen wie es ist, auch wenn es sich nicht so verhält, wie man es gerne möchte (so schwer es auch sein mag, wenn das Kind bsplw. die Verhaltensweisen zeigt, die man aus der eigenen Kindheit negativ, warum auch immer, in Erinnerung hat). Jeder Mensch ist ein Individuum und als solches sollte man sein Kind auch ansehen; als Elternteil ist man für vieles verantwortlich, aber nicht für die Umkrempelung seines Charakters. Und viele der mit einem negativen Beigeschmack behafteten Eigenschaften wie z.B. Schüchternheit wären evtl. gar nicht so schlimm, würde man sie aus einem anderen Blickwinkel betrachten und dies nicht als Manko, sondern als Eigenheit des Kindes wie die Haarfarbe etc. ansehen und die Kinder würden dann auch nicht darunter leiden. LG Anda

Mitglied inaktiv - 28.11.2003, 10:54



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es geht nicht um gut oder schlecht, sondern lediglich darum, dass das Temperament eines Kindes nicht wirklich von den Eltern beeinflussbar ist. Wir reden ja nicht von guten und schlechten Menschen, sondern von zurückhaltenden und forschen Gemütern. Ich finde, das ist ein sehr großer Unterschied. Jeden zurückhaltenden Wesensteil eines Kindes als negativ einzustufen halte ich für falsch, ebenso den Eltern deswegen Erziehungsfehler in der frühesten Kindheit zu unterstellen. Zudem zweifle ich grundsätzlich an, in wieweit die Loslösung von der Mutter mit der Bereitschaft eines Kindes zu tun hat, sich mit für ihn wildfremden Menschen zu beschäftigen. LG Anda

Mitglied inaktiv - 28.11.2003, 19:31



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Hallo Anda, ich denke man muß aber schon ein wenig unterscheiden, zwischen psychischen Dispositionen, die ein Kind zu einem glücklichen oder weniger glücklichen Kind machen, oder einer bestimmten "Lebenstüchtigkeit" einer Anpassung an unsere Welt, wie sie sich den Kindern heute darstellt. So kann es z.B. sein, daß ängstliche, vielleicht auch mißtrauische Kinder, die zunächst einmal niemandem außer ihren unmittelbaren Bezugspersonen über den Weg trauen damit auch Eigenschaften an den Tag legen, die von ihren Eltern erwünscht sind, und die in bestimmten Situationen vielleicht sogar lebensrettend sein mögen. Trotzdem denke ich, das offenherzige, meinetwegen sogar zu "vertrauensseelige" Kinder sich in ihrer Haut wohler fühlen. Diese beiden Aspekte sollten wir nicht durcheinanderwerfen

Mitglied inaktiv - 29.11.2003, 13:41



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Stichwort: Veranlagung von Sozialverhaltensweisen Hallo, da muß ich ja doch noch einmal nachhaken. Ich glaube, wir mißverstehen uns. Die Bewertung gut oder schlecht habe ich noch nie in Bezug auf ein zurückhaltendes oder forsches Temperament angewandt. Nichts läge mir ferner. Gut und Schlecht habe ich in meinem letzten statement überhaupt nur verwandt, um eins deutlich zu machen: Wenn man argumentiert, daß die Temperamente als das menschliche Verhalten festlegende Persönlichkeitsbasis beinahe unbeeinflußbar von Geburt an definiert sind, dann bezöge sich diese Behauptung auch auf alle anderen psychisch geprägten, menschlichen Eigenschaften, denn im Rahmen von Genetik kann man nicht nach Belieben unterteilen. Dann sind wir aber schnell auch bei all den vielen Eigenschaften, die uns das Leben in der menschlichen Gemeinschaft schwer machen. Das sind vornehmlich jene Eigenschaften, welche die Voraussetzung für antisoziales Handeln abgeben. Das hieße in aller Konsequenz, daß z.B. ADHS-Kinder mit Störung des Sozialverhaltens diese Verhaltensauffälligkeit schon als Prädestination mit in die Wiege gelegt bekommen haben. Oder daß impulsiv-jähzornige Kinder mit destruktiver Aggression schon von Geburt an damit geprägt gewesen seien, usw. Das, was Sie mit Recht für eher schüchterne, zurückhaltende und skeptische Kinder, also intrvertierte Kinder, in Anspruch nehmen wollen, müssen Sie auch auf die viel problematischeren Eigenschaften gleichermaßen anwenden, und da wird es schwierig. Dann haben wir das ethische Problem von gut und schlecht veranlagten Menschen. Ja wir laufen Gefahr, regelrecht eine Werteskala für Menschen aufzustellen und stellen unausgesprochen infrage, daß alle Menschen von Grund auf gleichwertig sind und im Leben willkommen. Es gibt noch ein großes Problem mit diesem Standpunkt, nämlich das der Verantwortlichkeit für das eigene Handeln eines Menschen. Konkret, ab wann ist der so determinierte Mensch für sein Handeln in Verantwortung zu ziehen, denn große Änderbarkeit im sozialen Lebenszusammenhang ist ja nicht zu erwarten. Introvertierte Menschen sind wie extrovertierte völlig frei von jeglicher Bewertung. Überhaupt strebt die Vorstellung von dem Mix aus Genen und Umwelteinfluß die Gleichwertigkeit aller Menschen von Anfang an an und stellt die Verantwortlichkeit in den Zusammenhang des sozialen Werdegangs. Das können wir hier nicht ausdiskutieren, aber Ihre, meine, unsere Arbeit zu Hause und hier im Forum hätte keinen Sinn, wenn wir nicht die bei Geburt bestehende, noch große Unbestimmtheit des Menschen anerkennen würden und ihm die Verantwortung für tatsächlichen seinen Werdegang mit seinem Handeln im sozialen Zusammenhang nicht noch etwa bis zur Pubertät aufschieben würden. Auch jede Form von Therapie erschiene sehr fraglich, unterstellten wir nicht dem Menschen die Freiheit zu sein, was er ist, entspräche weitgehend der Freiheit, die ihm seine Lebensumwelt gewährt. Viele Grüße

von Dr. med. Rüdiger Posth am 29.11.2003



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