Frage: Ferber light?

Guten Tag Hr. Dr. Posth, wie wirkt es sich aus wenn ein weinendes Kind zwar von Vater oder Mutter getröstet wird, aber doch nicht seinem Bedürfnis entsprochen? Ich frage deshalb, weil ich immer wieder lese dass weinende Kinder in ihrem Bett beruhigt werden sollen, nicht herausgenommen, nur getröstet usw. Meine Tochter reagiert darauf mit Schreien und Weinen, sie schläft bei mir im Arm ein (im Familienbett). Wir haben es auch nicht weiter gemacht. Es kommt mir ein bißchen vor wie die Weichgespülte Version der Ferber-Methode, da ja gerade im Säuglingsalter der direkte Körperkontakt dann nicht mehr gegeben ist. Zudem habe ich auch hier das Gefühl, daß der Wille des Kindes gebrochen wird. Wie sehen Sie solche Empfehlungen? Mit freundlichen Grüßen, Juli

Mitglied inaktiv - 21.07.2003, 11:45



Antwort auf: Ferber light?

Liebe Juli, liebe Hanna, Sie haben vollkommen recht, das ist ein schwacher Punkt in der Argumentation vieler Fachleute, und sie wissen im Grunde hierauf auch keine bessere Antwort, als die, deren Schwäche Sie zurecht entlarven. Wenn ein kleiner Säugling weiter schreit, obwohl die Eltern/die Mutter bei ihm sind, kann man dann sagen, dieses Schreien schade ihm nicht, weil er ja nicht allein ist beim Schreien? Nein, das kann man natürlich nicht, aber jetzt zu sagen, dann müssen die Eltern ihr Kind doch auf den Arm nehmen, bringt das pädagogische Gesamtkonzept vieler Ratgeber durcheinander. Sie argumentieren, oft ohne es zu merken, dann wie anno dazumal, nämlich, dann würde das Kind lernen, daß es nur anständig zu brüllen habe, um seinen Willen zu bekommen. Thema Verwöhnung, Steuerung der Eltern, Herrschsucht (der kleine Tyrann). Sehr geschickt hat sich da die Münchener Schrei-Sprechstunde mit der Selbstregulationstheorie aus der Affaire gezogen. Auf einen kurzen Nenner gebracht heißt es hier, der kleine Säugling sei durch die unruhigen Tageserlebnisse wie durch innere Entwicklungsschritte aus seinem Eigenrhythmus gebracht und drohe dadurch seine Selbstregulationsfähigkeiten einzubüßen. Diese gelte es jetzt durch Ruhe und Konsequenz im elterlichen Handeln wiederherzustellen. Ich will das hier nicht weiter vertiefen, sehe aber einen fundamentalen Widerspruch. Nämlich: Der Mangel an logisch-begrifflichem Denken beim Säugling, sowie seine einstweilen bestehende Unfähigkeit zu einem eigenen, vorteilsnehmenden Willen (der in der Mutter-Kind-Dyade ja auch völlig kontraproduktiv wäre), vereiteln ein solches Konzept. Ein kleiner Säugling würde niemals schreien, um geplant etwas zu erreichen; er schreit immer, weil ihm etwas fehlt. Zuerst ist da der Mangel, das Unbehagen (Hunger, Angst, Schmerz, etc.), dann folgt das Bedürfnis, welches möglichst schnell gestillt werden muß. Dazu schreit er (seine Eltern herbei). Er schreit aber nicht, weil er wüßte und es alsbald im Denken vorwegnähme, daß die Eltern dann wunschgemäß auf ihn reagierten und schließlich nach seiner Pfeife tanzten. Darum kann es also keinem Säugling in der Dyade und der Leih-Selbstposition gehen. Es würde darin ja auch gar nicht aufgehen, denn er würde schließlich selbst daran zugrunde gehen, wollte er seine Mutter weidlich ausnutzen und zerstören. Selbstregulation besitzt er aber so gut wie gar nicht. Woraus sollte diese sich speisen? Welche Mechanismen hätte er dafür mit auf die Welt bekommen? Selbstregulation entsteht nur durch die Erfahrung von Sicherheit bei den Eltern, was Erikson als Urvertrauen bezeichnet hat. Es gibt de facto nur Ko-Regulation (durch die primäre Bezugsperson), was auch in der Münchener Schrei-Sprechstunde inzwischen bis wenigstens 6 Monate so gesehen wird (M.Papousek). Ergo: der weiter schreiende Säugling muß auf den Arm genommen werden und solange herumgetragen und beruhigt, bis sein Herzschlag wieder normal ist, um das einmal so zu sagen. Das kann lange dauern, wenn der Säugling sich einmal richtig eingeschrien hat! Diese Zustände müssen unbedingt vermieden werden. Sie sind gesundheitsschädlich, auch wenn die Eltern (tatenlos) daneben sitzen! Eine Ferber-Light-Methode ist eben so betrachtet reiner Selbstbetrug. Viele Grüße

von Dr. med. Rüdiger Posth am 21.07.2003



Antwort auf: Ferber light?

Hallo Juli, instinktiv habe ich diesen "Rat" auch nie beherzigen wollen, da es sich für mich anfühlt wie "dem Esel eine Mohrrübe umhängen, die er doch nie kriegen kann". Ich meine, bei dieser Empfehlung geht es -wie so oft- darum, es den Eltern möglichst angenehm zu machen, und das ist nicht zu akzeptieren. Bin mal gespannt, was der Experte meint... LG Hanna

Mitglied inaktiv - 21.07.2003, 13:25