Hallo Dr. Posth!
Mein Sohn Nico (2 Jahre, 5 Monate) war bisher immer sehr zurückhaltend ggü. Fremden. Das legt sich jetzt nach und nach, bei Erwachsenen ist er offener als bei Kindern. Auf dem Spielplatz braucht er immer erst eine Anlaufzeit, in der er zunächst nur schaut, was die anderen Kinder machen. Wenn wir z.B. ein Kind aus dem Spielkreis dort treffen und dorthin gehen, steht er erstmal ein paar Minuten daneben und fängt dann irgendwann an mitzuspielen. Ich dränge ihn dabei nicht, denn ich weiß ja, dass er sich irgendwann traut.
Wir gehen 1x pro Woche zum Spielkreis, 1x zum Turnen (ich bin immer mit dabei). Bei Turnen traut er sich jetzt mehr, der Raum ist größer, die Kinder sind nicht so dicht nebeneinander.
So, jetzt zum "Problem" :-). Nico wird zunehmend forscher beim Turnen ggü. den anderen Kindern, verteidigt sein Spielzeug, schubst ein Kind, das ihm zu nahe kommt (ohne dass ihm das vorher etwas getan hat), nimmt anderen Kindern etwas weg, was er gern haben möchte.
Als Mutter bin ich da ein wenig erschreckt, denn das ist plötzlich so eine Kehrtwendung, die ich nicht erwartet habe. Am liebsten wäre einem natürlich, dass das Kind dann auch sozialeres Verhalten zeigen würde... *lächel*
ISt es richtig, wenn ich davon ausgehe, dass das eine normale Phase in dem Alter ist? Gemeinsames Spiel im Sinne von Abwechseln, Teilen etc. wünscht man sich zwar, aber ist das in dem Alter realistisch?
Ist sein offeneres, aber aggressiveres Verhalten eher positiv oder negativ zu bewerten?
Verhalte ich mich richtig, wenn ich einierseits viel beobachte, die Kinder also erstmal sich selbst einigen lasse, andererseits in Extremfällen dann helfend eingreife? ICh versuche ihm Handlungsalternative aufzuzeigen und über das Schubsen haben wir hinterher auch ganz sachlich gesprochen.
LG Janet
Mitglied inaktiv - 05.05.2004, 11:33
Antwort auf:
erst zurückhaltend, jetzt "aggressiv"
Liebe Janet, genau dieses sehr wichtige Thema habe ich in meinem Langtext über das emotionale Bewußtsein (link oben rechts) im Teil 3 ziemlich am Ende recht ausführlich behandelt. Bitte auch dort nachlesen. Ich bin der Auffassung, daß man sich von absoluter Gerechtigkeit im Kinderzimmer unter rivalisierenden Kleinkindern generell verabschieden muß. Unsere Gerechtigkeitsvorstellungen basieren auf rationalen Begründungen von Anspruchs- und Verzichtshaltungen. Das existiert im kindlichen Denken so nicht, oder noch nicht. Das Kind maßt sich zunächst einmal Rechte an, und zwar in der inneren Haltung, seine positive Selbstbewertung (Attributierung) grundsätzlich durchsetzen zu dürfen. Auch auf Kosten des anderen. Also gibt es in den Augen des Kindes eigentlich kaum je einen Kompromiß, sondern höchstens einen Tausch mit wechselnden Vorteilen, also mal ich, mal der andere. Überhaupt steht der Tausch vor jedem Teilen ganz im Vordergrund. Sie müssen sich folgendes vergegenwärtigen: Beim Teilen gewinnt streng genommen keiner, nur jeder verliert etwas. Unsere Vernunft gebietet uns aber die ideelle Anerkennung dessen. Das Kind jedoch versteht das nicht wirklich. Es bevorzugt den Tausch, da gewinnt jeder (egal ob der Tausch wirklich gerecht ist oder nicht). Wenn ein Kind das olle Schüppchen möchte, weil es im Moment meint, es dringend zu brauchen, und es bereit ist, dafür seine funkelnitzelnagelneues Auto herzugeben, dann ist der Tausch zwar ungerecht, aber in den Augen des Kindes ein Gewinn. So etwas passiert ständig, und hinterher gehen wir Eltern hin und tauschen die Gegenstände wieder zurück, damit es gerecht bleibt, aber das ist nur unser rationales Verständnis von Gerechtigkeit. Also tun wir das besser heimlich, sonst riskieren wir ein Malheur.
All diese Dinge müssen wir uns im Kinderzimmer fragen, bevor wir Gerechtigkeit ausüben. Aber die Gesetzbücher der Kinder sind rein emotional abgefaßt und nur langsam durch unsere verständnisvolle Vermittlung einer höheren Gerechtigkeit im Sinne der Vernunft bereitet langsam den Weg für nachsichtiges und altruistisches Handeln. Viele Grüße
von
Dr. med. Rüdiger Posth
am 07.05.2004
Antwort auf:
erst zurückhaltend, jetzt "aggressiv"
Es ist so, dass er sich auch nur wenig traut mit anderen Kindern zu sprechen. er spricht sehr gut, aber schafft es einfach nicht zu sagen "geh weg" "das ist meins" etc. Ich denke, dass er das deshalb im Moment auf der körperlichen Ebene löst.
Ich finde es gut, dass er offener wird und aus sich herauskommt und möchte ihn darin natürlich unterstützen. Andererseits ist dieses "aggressive" Verhalten ja nicht unbedingt etwas, was man loben oder unterstützen möchte. Wie kann man diese Zwickmühle lösen?
Nochmal Gruß und danke im Voraus,
Janet
Mitglied inaktiv - 05.05.2004, 14:35