guten tag herr dr. posth
mich würde mal interessieren, ob ein 4-monate altes baby sich selber schon im spiegel erkennen kann. meine tochter flippt immer total aus und fängt an zu lachen, wenn sie sich im spiegel sieht. aber ob sie sich tatsächlich schon erkennt?
danke für ihre Antwort
veralynn
Mitglied inaktiv - 25.08.2003, 18:07
Antwort auf:
erkennen im spiegel
Liebe Veralynn, Nicole und Sibylle, ich kann diese Forschungen, die mir bekannt sind nur bestätigen. In meiner Fortsetzung über das emotionale Bewußtsein gehe ich auf diese Punkte ein. Das Thema heißt Trotz und Selbstbewußtsein.
Es gibt einen einfachen Test, der belegt, daß Kinder erst mit ca. eineinhalb Jahren begreifen, daß das Spielgelbild ihre eigene Person widergibt. Es handelt sich um den "Rouge-Test". Man tupft unbemerkt dem Kind roten Puder auf die Nase und läßt es dann in den Spiegel blicken. Wenn es begreift, daß es sich selbst spiegelt, wird es über kurz oder lang versuchen, den Fleck abzureiben.
Ich habe in meiner Praxis das mit dem Ankleben einer kleinen schwarzen Feder auf der Stirn praktiziert und es funktioniert. Bis gut 15 Monate unternimmt das Kind nichts und lacht sich mehr oder weniger freundlich zu. Ab ca. 18 Monate setzt tatsächlich die Blickvermeidung und "Scham" ein, und die Feder wird zu entfernen versucht. Daraus ergeben sich natürlich entscheidende Aussagen über die Ichkonstitution und die Selbstentwicklung. Viele Grüße
von
Dr. med. Rüdiger Posth
am 26.08.2003
Antwort auf:
erkennen im spiegel
Hallo Veralynn,
sorry, dass ich mich hier einfach "dazwischendrängele", aber ich habe zufällig genau zu diesem Thema vor kurzem eine Übersetzung für ARTE gemacht. Es ging in der Reportage um die verschiedenen Phasen, die ein Kind durchläuft, bis es sich selbst im Spiegel erkennt. Internationale Forscher haben verschiedene Experimente durchgeführt, aus denen hervorgeht, dass Kinder im ersten Lebensjahr ihr Spiegelbild noch wie einen anderen Spielkameraden wahrnehmen, denn sie verhalten sich ihm gegenüber ähnlich wie gegenüber anderen Kindern. Ein ähnlich begeistertes und kommunikatives Verhalten zeigt deine Kleine vermutlich auch gegenüber anderen Babies.
Zwischen einem Jahr und 18 Monaten schwant den Kindern dann allmählich, dass mit diesem "Spielkameraden" im Spiegel irgend etwas "nicht stimmt". Dann entdecken sie nämlich, dass die von ihnen ausgeführten Bewegungen vom Spiegelbild absolut synchron wiederholt werden und bemerken, dass Farben/Muster von Kleidung etc. identisch sind. Ungefähr in dieser Zeit entwickeln sie auch eine Art "Blickvermeidungsverhalten", wenn sie vor den Spiegel treten, mögen sich also selbst nicht im Spiegel ansehen, weil ihnen der permanente Blickkontakt und das "Imitiertwerden" durch das Spiegelbild unangenehm ist.
Zwischen 18 Monaten und zwei Jahren, also genau in dem Zeitraum, in dem die Kinder anfangen, ein Ich-Bewusstsein zu entwickeln (zeigt sich ja in ersten Trotzreaktionen, in stärkerer Abgrenzung von den primären Bezugspersonen und auch in der Entdeckung des Wörtchens "Ich"), beginnen sie dann auch ihr Spiegelbild zu erkennen bzw.sich selbst zuzuordnen.
Ich fand dieses Thema wahnsinnig spannend, vor allem die Erklärungen, welche Phasen ein Kind erst einmal durchlaufen muss, um überhaupt in der Lage zu sein, sich im Spiegel zu erkennen.
Einer der wesentlichen Schritte dabei war nach den Erklärungen der Forscher das bewusste Grimassenschneiden vor dem Spiegel. Die Begründung: Ein Kind kennt vielleicht seine Hände, seine Füße und seinen Bauch, weil es an sich hinunterblicken kann, aber natürlich nicht sein Gesicht, denn das kann es ja nicht sehen. Durch das bewusste Grimassenschneiden und die beobachtete "Reaktion" des Spiegelbildes wird ihm allmählich klar, dass es im Spiegelbild das eigene Gesicht sieht. Zu einem so komplex-abstrahierenden Denk- und Erfahrungsprozess ist ein vier Monate altes Baby einfach noch nicht in der Lage.
So, und jetzt bin ich gespannt, was Dr. Posth noch zu diesem faszinierenden Thema schreibt.
Liebe Grüße
Nicole
Mitglied inaktiv - 25.08.2003, 22:48
Antwort auf:
erkennen im spiegel
hallo nicole,
das mit dem identischen verhaltensmuster spiegel - andere kinder stimmt so nicht ganz. unser sohn, 8 monate, lacht und grinst und fuchtelt aufgeregt, wenn er sich im spiegel sieht. andere kinder beaeugt er zunaechst ernst und forschend und hoechst aufmerksam, bevor er laechelt, die annaeherung funtioniert viel langsamer. nun koennte man meinen, im spiegel saehe er eben auch mich bzw. die person, die ihn auf dem arm haelt, und dieser gelte seine reaktion. ABER: genauso verhaelt er sich gegenueber einem grossen photo von sich selbst, das an der wand haengt: lachen, fuchteln, glucksen, grinsen, strahlen. wir fragen uns wirklich, was er da sieht - sein eigenes gesicht kann er ja wohl kaum erkennen, und bewegen tut sich auch nix. schon spannend! mal sehen, was dr posth meint.
gruesse
sibylle
Mitglied inaktiv - 26.08.2003, 10:12