Frage: Enuresis

Sehr geehrter Herr Dr. Posth, unsere Tochter ist fünf Jahre und fünf Monate alt , völlig normal entwickelt und seitdem sie zweieinhalb ist tagsüber völlig problemlos trocken. Von Anfang an jedoch machte sie beim Schlafen ( auch beim Mittagschlaf) ins Bett. Wir sind davon ausgegangen, daß sich das von selber geben würde, zumal wir nie! geschimpft haben oder ungehalten sind. Sie hat zwar immer mal wieder trockene Phasen von ein bis zwei Wochen gehabt oder Monate mit weniger Einnässen, aber sie war nie wirklich nachts trocken. Ein organisches Problem liegt nicht vor. Obwohl wir unserer Tochter immer wieder versichern, daß es nicht schlimm sei und daß es sich von selber geben würde, stört es sie zunehmend, zumal ihre zweieinhalbjährige Schwester seit drei Monaten tags und nachts trocken ist und sie das natürlich auch sein will. Unsere Tochter geht direkt vor dem Schlafengehen zur Toilette, trinken darf sie wann und wieviel sie will. Zur Zeit setzten wir sie oft gegen 23.00 Uhr auf das Klo,wo sie dann Wasser läßt, nicht weil wir glauben, daß wir ihr damit ernsthaft helfen, aber wenigstens haben wir dann nicht soviel Wäsche und unsere Tochter, die davon gar nichts mitbekommt, ist morgens zufrieden. Gibt es irgendwelche Dinge, die wir tun können, um unserer Tochter zu helfen, steckt dahinter immer ein seelisches Problem oder handelt es sich tatsächlich um eine Reifungsverzögerung, die sich irgendwann gibt. Was halten sie von Klingelmatratzen? Herzlichen Dank für eine Antwort

Mitglied inaktiv - 20.01.2004, 17:35



Antwort auf: Enuresis

Liebe(r) Hajo, das primäre Enuresisproblem der Nacht darf man zunächst einmal nicht "psychologisieren". In den meisten Fällen hat es handfeste organische Ursachen. Wenn die Kinder tagsüber 100% trocken sind und keine Harnwegsinfekte aufgetreten sind, scheiden in aller Regel auch funktionelle Störungen der Ausscheidung aus. Dann bleibt eigentlich nur ein Reifungsproblem, das fast immer genetische Ursachen hat. D.h. das Problem ist in der Familie nicht unbekannt. Gut die Hälfte dieser genetischen Ursachen, das schätzt man, geht auf das Konto verzögerter Reifung im Regelkreis zwischen Niere und Neurohypophyse im Gehirn. Die Neurohypophyse steuert die Urinproduktion in der Niere mittels ADH=Antidiuretisches Hormon. Hierbei kann eine zu geringe abendliche Produktion des ADH vorliegen (versch. Gründe) oder eine Rezeptorenschwäche an der Niere. Im ersten Fall hat man das Phänomen, das jeder kennt, wenn er abends zuviel Alkohol oder Kaffee getrunken hat. Im zweiten Fall gehen die Menschen tags dauernd auf Toilette und sogar auch nachts, allerdings werden sie dann wach. Einnässer schlafen eher besonders tief. Das ist wichtig zu wissen für das therapeutische Vorgehen. 1. ab fünf Jahre (früher sinnlos) Versuche mit eingeschränkter abendlicher Trinkmenge, d.h ab 18.00 Uhr noch ca. 200 ml, sowie 2.Toilettengang ca. eineinhalb Stunden nach dem Einschlafen (REM-Schlaf). Das Kind muß eigentlich nicht ganz wach werden. Ist das alles nach ca. 3-4 Monaten nicht erfolgreich, geht zu Maßnahme 2 über. 2. abendliche Gabe von Desmopressin (synthet. ADH), das man in die Nase sprüht. Neuerdings gibt es auch Kapseln, was für Kinder schwierig ist. 2, max. 3 Sprühstöße sind erlaubt, Voraussetzung ist eine schnupfenfreie Nase. Wie zu erwarten, funktioniert dieses Prinzip bei gut 50% schlagartig. Man führt es trotzdem besser 3 Monate fort, denn man will eine Anpassungsreaktion im Organismus. Insgesamt kann man 2 solche Versuche starten, also 2X3 Monate. Die Kinder sollten dann eigentlich schon 6 Jahre sein. Paßt sich der Organismus nicht an und/oder stimmen die Rezeptoren an der Niere nicht, greift man zu Schritt 3. 3. Apparative Verhaltenstherapie, resp. Slipeinlage mit Alarm (Klingelmatratzen gibt es m.E. nicht mehr. Es gibt konkurrierende Systeme. Alle basieren auf dem einen Prinzip, daß der erste winzige Tropfen aus der Harnröhre, der noch nicht zur vollständigen Entleerung des Blase führt, ein Wecksignal erzeugt (Piepston, wie ein Wecker). Das Kind soll geweckt werden und selbständig auf Toilette gehen. Es soll konditioniert werden, das ist das Therapieprinzip. Mit der Zeit wird das Kind lernen, von allein wachzuwerden und den Wecker nicht mehr zu brauchen. Auch hier gilt die Vierteljahresregel. Diese Prinzip wendet man am besten zusammen mit seinem KiA/KiÄ oder mit einem Psychologe(i)n an. Es funktioniert beinahe 100%. Der Rest näßt weiter ein, was unweigerlich zu einem psychologischen Problem führt. Dann erst ist die Psychotherapie dran, es sei denn, es handelt sich von Anfang an um eine Wiedereinnässen, resp. Enuresis sekundaria oder die familiäre Situation ist so verfahren, daß es ohne Psychologie überhaupt nicht geht. Viele Grüße

von Dr. med. Rüdiger Posth am 21.01.2004