Frage: einfach impulsiv oder mehr?

Lieber Dr Posth, eine Frage zu hauen/beissen/kneift. Elio (19 Mo) spielt ganz ruhig. Ploetzlich packt es ihn und er rennt zum Sofa und kneift seine Oma (oder mich selten Papa). Aus heiterem Himmel. Er weiss, dass er das nicht soll, wir ziehen das gesammte Programm durch: nein-aua-Oma "weint"-ich sage mach mal ei, ei. Eigentlich muesste er ja schon empathisch reagieren und Oma troesten, aber er langt im Gegenteil noch mal kraeftig zu. Wieder das gleiche Programm, aber nichts. Dann setze ich ihn auf einen entfernten Sessel und sage nein das ist nicht fein. Er schaut uns an und kurz danach kommt er vom Sessel, legt den Kopf auf den Schoss und alles ist bestens. Warum diese ploetl. "Attacken"? Er hat das auch sehr stark wenn etwas nicht klappt, aber dann gibt es ja wenigstens einen Grund. Zum besseren Verstaendnis: Oma war/ist Ersatzperson im Losloesungsprozess (Vater oft+lange abwesend). Kein Schreibaby, meist gutlaunig, Schlaf bestens. Gruss+danke Christiane

Mitglied inaktiv - 31.05.2005, 12:24



Antwort auf: einfach impulsiv oder mehr?

Stichwort Empathie Liebe Christiane, wenn Ihr Sohn aus Wut über sein eigenes Versagen, oder über seine Unfähigkeit eine Attacke gegen Sie startet, dann ist das reine Impulsivität mit aggressivem Gebaren, mit der er innere Anspannung löst. Das ist also noch etwas anders zu verstehen, als die Attacke, von der Sie eingangs sprechen. Empathie ist nicht so zu verstehen, daß diese mit der Selbstfindung plötzlich vorhanden ist. Empathie muß immer wieder neu erfahren werden. Und zunächst einmal werden die Hauptbezugspersonen zur Sammlung solcher Erfahrungen "mißbraucht". Genauso handelt auch Ihr Sohn. Das Problem ist auch noch folgendes: in dem Bedürfnis des Kindes, empathische Erfahrung zu sammeln, muß es sich Situationen schaffen, die ihm dieses ermöglichen. Wenn also nichts Entsprechendes passiert, sorgt dann das Kind selbst dafür. Es attackiert seine Mutter oder den Vater, um dann an deren oder dessen Reaktion zu erleben, was für Gefühle wohl in dem Anderen vorgehen. Daher soll man auch genauso reagieren, wie es das Kind erwartet, nämlich betroffen und als ob es schmerzte. Bestrafen und "auf einen entfernten Sessel setzen" sollten Sie Ihren Sohn nicht, denn er handelt ja in seiner Vorstellung nicht schlecht, sondern nur folgerichtig. Die erwünschte Reaktion einer Einsicht und zukünftigen Unterlassung setzt mit der Zeit ohnehin ein, und zwar durch Entwicklung von Mitleid (s. Induktion). Die Strafe sollte dabei aber nicht der Lehrmeister sein. Strafe ist eigentlich nichts anderes als negatives Konditionieren. Und Konditionieren ist nicht lernen, sondern nur situative Anpassung. Moral aber sollen Kinder aus sich selbst und ihren Lernprozessen heraus schöpfen und nicht aus Vermeidung einer zu erwartenden Strafexpedition. Letzteres riskiert, daß das Kontrollorgan über die eigenen moralischen Handlungen auch in Zukunft von außen kommen muß (durch Androhung von Sanktionen oder Verbote in Form von Gesetzen). Besser ist es aber, daß die Kontrolle auf Dauer von innen aus dem eigenen Selbst kommt, und zwar durch Einsicht und Vernunft und durch Stolz auf das eigene gute Handeln. Viele Grüße

von Dr. med. Rüdiger Posth am 01.06.2005