Lieber Dr. Posth,
unser Sohn (18 Monate) entwickelt nun seinen eigenen Willen - und ich würde gern wissen, ob es okay ist, ihm diesen auch mal zu lassen. Um ihm nicht ständig zu frustrieren. Beispiel: Wenn er nach dem Spaziergang drinnen seine Mütze nicht absetzen mag, lasse ich ihm seinen Willen, weil es niemandem wehtut. Irgendwann setzt er die Mütze eh von alleine ab. Anders ist es beim Wickeln, da setze ich mich - mit Ablenkung - trotz Geschrei durch.
Wie wichtig ist es also in diesem Alter, dass er seinen Willen auch mal bekommt - oder müssen wir Eltern konsequent sein und uns IMMER durchsetzen? Wir fangen schon mit einfachen Regeln an, die er zwar nicht versteht, aber wir hoffen auf Gewöhnung bzw. dass er den Tonfall versteht. Richtig so?
Und was ich mich auch frage: Unser Sohn reagiert auf manches Nein, das wir durchsetzen mit schrecklickem Weinen (kurz, aber heftig): Warum ist das so, was erschüttert Kinder in diesem Alter derart?
Danke für Ihre geschätzte Arbeit!
Mareike
von
mac_pauli
am 06.01.2014, 09:48
Antwort auf:
Eigener Wille Kind 18 Monate: auch mal durchsetzen lassen?
Liebe Mereike, die Entwicklungs des Willen aus dem Drang im 1. Lebensjahr dient, wie Sie sicher aus meinem Ausführungen hier im Forum und vielleicht den Büchern wissen, der Selbstentstehung. Wille und Ich werden zusammengeschweißt und bilden den Kern der Persönlichkeit. Aus dieser Anschauung der Dinge ergibt sich die Antwort auf Ihre Frage. Ja, es ist richtig, dass man dem Kind, wann immer es möglich erscheint, seinen Willen lässt. Denn auf diese Weise stärkt man seine Selbstentstehungskräfte.
Nun arbeitet die Natur bei wichtigen Entwicklungsaufgaben immer mit ausreichendem Überschuss (einfach gesagt: damit auch nichts schief geht). So ist klar, dass um der Absicherung einer erfolgreichen Abstimmung im sozialen Miteinander Verbote und damit Brechung des Willens möglich sind. Aber jedes Verbot ist natürlich ein Einschränkung der kindlichen Freiheit. So bleiben Ich-geprägte Willenhandlungen und Einschränkungen derer durch soziale Normen, Sitten und Gesetze eigentlich lebenlang ein inneres "Streitthema".
Das elterliche "Nein" wird demzufolge vom Kleinkind dann zunächst als willkürliche Einschränkung empfunden und von sehr sensiblen Kindern auch als Zurückweisung der entstehenden Person und Behinderung der Selbstentfaltung. Sie fühlen sich betroffen, wissen eigentlich gar nicht warum sie so eingeschränkt werden und weinen dann.Daher ist es richtig und wichtig, dass man seinem Kind dieses "Nein" immer sachlich vermittelt, was nur auf einfachste Weise geht. Also man wählt dazu Worte, mit denen das Kind auch etwas anfangen kann. Und man sollte auch nicht zu streng erscheinen, denn Strenge bedeutet Macht und Beherrschung. Aber das Kind braucht Anerkennung und Liebe.
Die Ansichten der durchschnittlichen Psychologie, die den Eltern einreden möchte, ein Kleinkind benutze seinen Willen, um frühzeitig macht über sie zu gewinnen, ist falsch. Um macht geht es allerdings auch, aber doch deutlich später. Und ihm die Flügel stutzen, bevor das Kind fliegen gelernt hat, ist eine falsche Lehre. Viele Grüße
von
Dr. med. Rüdiger Posth
am 10.01.2014