Hallo Herr Dr. Posth,
Mein Sohn (21 Mon.) ist nicht immer einer Meinung mit mir, wenn ich ihm sage, daß er Verschiedenes nicht tun soll. Wenn er keine Lust hat, meine Aufforderungen zu befolgen, tut er gerne so, als ob er nichts gehört hätte und wartet ab. Wenn dann von mir nichts mehr kommt, macht er das, was er nicht sollte, erst recht.
Ich habe nicht immer die Kraft ihm endlos zu erklären, warum ich dieses und jenes für ihn als besser betrachte.
Wäre es gut für ihn, wenn ich immer darauf bestehe, daß er meine Anweisungen befolgt? Oder anders gefragt: Wieviel eigenen Willen sollte er selbst durchsetzen dürfen?
Viele Grüße,
Barbara.
Mitglied inaktiv - 16.09.2002, 10:56
Antwort auf:
Durchsetzen
Liebe Barbara, was Sie fragen, gehört zu einem Thema mit vielen Auswirkungen. Zum Umgang mit dem willen der Kleinkinder habe ich am 18.8.2002 unter dem Stichwort "kleiner Tyrann" und am 20.8.2002 unter dem Strichwort "Wut", wobei in beiden Antworten das Problem der Aggression im Vordergrund stand. Ihr Sohn wählt offenbar eine andere Methode, nämlich die des "Weghörens". Das können Kinder ausgezeichnet. Sie umgehen damit die Auseinandersetzung mit der Autoritätsperson, was offenbar mehr ihren Charakteranlagen entspricht, als der aggressive Ausbruch.
Die Entwicklung des Willens ist meines Erachtens die spannendste Geschichte in der Entwicklungspsychologie überhaupt. Allerdings wurde sie bislang so gut wie übersehen.
Ich meine, daß sich der Wille aus der Entwicklung der Gefühle heraus bildet. Dafür gibt es Erklärungen in der Neurophysiologie. Das weiter auszuführen, führte hier zu weit. Was das im Grundsatz heißt, muß allerdings doch an dieser Stelle gesagt werden. Es heißt, daß sich aus der ursprünglichen Angst und Unsicherheit des Säuglings mit der Zeit und v.a. mit Hilfe der behütenden Bezugspersonen (Mutter und Vater im Normalfall) der Wille herausbildet. Je günstiger dieser Verlauf vonstatten geht und dabei spielt die Zuwendung der Eltern zum Säugling eine ganz entscheidende rolle, desto stärker entwickelt sich auch der persönlich Wille im Kind. Auf diese Weise "findet das Ich in seinen Körper" und wird das Selbst zu einer wirkungsvollen Größe in der Gesellschaft. Das wirkt sich so aus, daß sich bereits das etwa 2jährige Kind auf seine Weise durchsetzen und behaupten kann. Das ist für seine ganze weitere Entwicklung entscheidend, denn die Persönlichkeit, die es darauf aufbaut, trägt es durch sein ganzes Leben. Jetzt sind wir am Punkt Ihrer Frage, wieviel Wille ... Antwort: die Frage ist falsch gestellt. Nicht Sie lassen nämlich Wille zu, sondern er präsentiert soviel davon, wie er durch positive Umwandlung seiner ursprünglich ängstlichen und unsicheren Gefühle bisher erworben hat. Ist er also willensstark, hat er simpel gesagt weniger Angst, besitzt er, kompliziert ausgedrückt, gute Voraussetzungen für seine spätere Rolle in der Gesellschaft. D.h. ganz praktisch, soweit Sie Sinn darin erkennen können, daß Ihr Sohn sich durchsetzt, lassen sie es zu. Droht er aber am sinnvollen Handeln zu scheitern, greifen Sie ein und untersagen es ihm. Je nach Temperament wird er mit Trotz reagieren, aber Sie müssen schon vorher entschieden haben, ob Sie ihn nun gewähren lassen oder nicht. Nur so kann er seine "Grenzen" erkennen und finden. Droht er also den CD-Player mit einer Tafel Schokolade zu bestücken, untersagen Sie es ihm und stellen das Gerät am besten gleich eine Etage höher, denn einmal untersagen nützt bei willensstarken Kindern noch nicht, weil ihre Vernunft noch nicht reicht, das Verbot sogleich als gerechtfertigt einzusehen. Gerade das dürfen sie bei allem nicht vergessen. Es gäbe dazu noch viel zu sagen. Ich hoffe, es reicht Ihnen erst einmal. Viele Grüße
von
Dr. med. Rüdiger Posth
am 16.09.2002