Frage: Doch eher Typsache?

Hallo Dr. Posth, Meine Tochter (2 3/4) hatte und hat eigentlich alles, was ein emotional zufriedenes Kind benötigt. Die bekannten Dinge wie tragen, nicht schreien lassen usw. habe ich in der Babyzeit instinktiv vollzogen. Auch jetzt in der Selbstfindungsphase haben wir einen harmonischen Weg gefunden, die kleinen Nervenkriege kindergerecht zu lösen. Sie ist eigentlich ein zufriedenens, ausgeglichenes Kind. Angst vor anderen Kindern, Klammern an mich und sich ziehende Loslösung sind die Probleme. Das Kind meiner Freundin (was hier aber nichts mit Vergleichen zu tun hat) ist komplett anders, obwohl sie geferbert wurde, auch mal nen Klaps bekommt, weggeschickt wird wenn es trotzt usw.. Aber sie geht überall hin, zeigt keine Trennungsängste, ist aufgeschlossen und will nicht mehr nachhause wenn sie irgendwo sind. Loslösung ist schon geschen usw. usf... Ist das denn nun eher Typsache, wie sich ein Kind disbzgl. verhält, ich kann mir daraus keinen Reim machen! Gruss Anja

Mitglied inaktiv - 11.08.2008, 13:34



Antwort auf: Doch eher Typsache?

Stichwort: vermeidend unsichere Bindung Liebe Anja, zunächst einmal könnte man die bislang unterschiedliche Entwicklung der Kinder tatsächlich als Charakteranlage abtun. Das heiße natürlich nicht, dass die anderen Eltern bei Ihrem Kind den richtigen Weg gewählt haben. Aber bei genauem Hinsehen ist die Sachlage viel, viel komplizierter. Unabhängig von dem von Ihnen beschriebenen Fall, muss man bei Kindern, die zu wenig Bindungsverhalten zeigen und nach außen sehr offen und geradezu "zutraulich" wirken, immer Skepsis haben, ob das wirklich "unkomplizierte Anlagen " sind oder der Ausdruck eines sicheren Bindungsverhaltens, oder nicht doch Vermeidungsstrategien einer enttäuschten und darbenden Kinderseele. Auch viele Fachleute lassen sich da immer wieder irritieren. Das Vermeidungsverhalten ist deswegen so schwer einzuschätzen und zu begründen, weil es dem allgemein gesellschaftlichen Anspruch an ein nettes und zu allen Menschen freundliches Kind maximal entgegen kommt. Niemand würde daran denken wollen, dass dieses scheinbar herzige Auftreten die Maske ein seelisch unglücklichen und in seiner Bindung verunsicherten Kindes ist. Erst im weiteren Verlauf treten dann -wie aus dem Untergrund- plötzlich schwierige Verhaltensweisen auf wie z.B. unerwartete Ängste, Versagen in der sozialen Anpassung oder aggressive Ausbrüche. Dann hört man notorisch von den Eltern wie der gesamten Umwelt: "Wir können uns das gar nicht erklären". Nein das können diese Leute auch nicht, denn sie haben sich ja lange Zeit blenden lassen und nur das beim Kind sehen wollen, was ihnen gefallen hat. Und das Kind hat seine Not hinter seiner Maske verborgen. Kinder mit sehr schwacher oder zerstörter Bindung sind nun oft auch solche, die sich wahllos an andere Menschen anhängen und damit höchst gefährdet sind, von Erwachsenen mit schlechten Absichten (z.B. Pädophilen) missbraucht zu werden. Hingegen sind Kinder, die von Natur aus oder durch vorübergehende Verunsicherung, vielleicht auch wegen momentaner Überforderung, etwas schwierig im sozialen Umgang erscheinen, keineswegs sofort gleich schlecht gebundene oder nur erschwert losgelöste Kinder. Auch das muss der erfahrenen Entwicklungspsychologie im Hinterkopf haben. sie sehen, die Beurteilung der psychosozialen Entwicklung eines Kindes ist gar nicht so einfach. Viele Grüße

von Dr. med. Rüdiger Posth am 15.08.2008