Lieber Herr Dr. Posth,
unser Sohn ist 9 Monate alt, ein fröhliches, ausgeglichenes Baby, das viel lacht. Vater ist sehr present. Wir lassen ihn nie schreien, er schläft im Schlafzimmer, manchmal im eigenen Bett, oft bei uns im Bett. Da er von Anfang an wenig schlief, aber immer abends an der Brust eingeschlafen ist, wurde Einschlafstillen zum Ritual. Wir möchten Brustentwöhnung nachts durchführen. Momentan ist er aber sehr anhänglich und mutterfixiert (seit er krabbelt, sitzt, steht, u an Möbeln entlang läuft). Nachts kann nur ich ihn trösten. Momentan wieder 4x stillen / Nacht. Tagsüber ißt Vincent mittags, nachmittags und abends gut und ausreichend Beikost. Unsere Frage: Ist es jetzt wegen der Anhänglichkeit der falsche Zeitpunkt bzw. schadet momentan das Weinen bei der Brustentwöhnung nicht genausoviel wie beim "Schreienlassen"? Wir wollen hier keinesfalls etwas falsch machen und könnten auch noch warten. Danke für die Antwort, Ihre leidenschaftliche Arbeit und Ihr Buch!
Carina
Mitglied inaktiv - 18.02.2008, 11:09
Antwort auf:
Brustentwöhnung in der Nacht/Anhänglichkeit
Stichwort: Brustentwöhnung in der Nacht
Liebe Carina, die motorische Entwicklung, aber vielleicht auch zahnen oder noch andere momentane Schwierigkeiten könnten erklären, warum Ihr Sohn gerade jetzt nachts wieder häufiger wach wird und den Trost an der Brust braucht. Es gäbe vielleicht einen besseren Zeitpunkt zur Brustentwöhnung. Möglicherweise hat er auch momentan einen Wachstumsschub und ist deswegen auf mehr Nahrung angewiesen. Abends wird er ja wohl ausreichend satt.
Das Problem mit dem Weinen in der Nacht, wenn ein Säugling die Brust nicht mehr bekommt, ist natürlich auch eine Frustration für ihn und nichts Angenehmes. Aber diese emotionale Beeinträchtigung findet statt in der elterlichen Obhut, ob mütterlich oder väterlich. D.h. der Säugling erlebt zumindest Beruhigungsversuche und ständige Bindungsangebote seiner Bezugspersonen und fühlt sich nicht allein gelassen. Über Gefühle der Wut kann er auch einen Teil seiner Frustration abbauen. Das eigentliche Problem wäre die enttäuschte Erwartungshaltung. Aber mit solchen Gefühlen muss der Säugling ohnehin lernen umzugehen. Was er braucht, um keinen übermäßigen Stress zu erleben, ist die Anwesenheit seiner Bezugsperson und nicht ihre Abwesenheit. Diese Anwesenheit muss Trost spenden, so gut es geht. Ich vergleiche das gerne mit einem Weg durch den dunklen Wald, der genommen werden muss, weil es keinen anderen Weg zum Zielpunkt gibt. Die Angst ist unausweichlich, aber in Begleitung einer anderen -sicher erscheinenden- Person geht ein Teil des Stresses verloren oder wird erträglich. Die Bindung zu dieser Person erleidet keinen Schaden. Und zunächst ist es ja nicht einmal Angst, warum der Säugling weint, sondern Wut über das Ausbleiben der erwarteten Befriedigung und die ist seelisch ohnehin weniger schädlich. Viele Grüße und danke für Ihre lobenden Worte
von
Dr. med. Rüdiger Posth
am 21.02.2008