Frage: Bindungstheorie

Sehr geehrter Dr. Posth, vielen Dank für ihre hervorragende Arbeit hier - zu verstehen, warum manche Dinge passieren erleichtert uns Eltern ungemein damit gelassen umgehen zu können! Ich habe eine eher grundsätzliche Frage: bei einer (zugegeben kurzen) Internetsuche zum Stichwort Bindungspsychologie habe ich Vortragsfolien zu diesem Thema gefunden, in denen von einer Studie berichtet wurde, dass Kinder, welche mit 5 Monaten in die Fremdbetreuung gingen, einen höheren Anteil an sicheren Bindungen aufwiesen (habe leider die Quelle nicht mehr), wie passt das? Da ich in der Schweiz arbeite, mussten meine Kinder (knapp 3 und 7Monate) bereits mit einem halben Jahr in die Kita (keine sanfte Ablösung, kannte ihr Forum da leider noch nicht), dennoch habe ich nicht das Gefühl, dass es eine unsichere Bindung ist, oder kann das wirklich nur mit einem Fremdetest festgestellt werden? Der kleine geht noch völlig freundlich auf alle Menschen zu, kommt Fremdelphase erst noch? Vielen Dank Christine

von Mini2011 am 20.10.2014, 10:00



Antwort auf: Bindungstheorie

Liebe Christine, das passt natürlich nicht zusammen und wird auch so nicht sein. Studien kranken häufig an ihrem Design. Das heißt, sie weisen nicht wirklich nach, was sie zu beweisen vorgeben, und sie benutzen oft nicht das richtige Instrumentarium, um den vorgegebenen Nachweis führen zu können. So stelle ich immer wieder fest, dass die meisten kinderpsychologischen Studien übehaupt keine Kriterien verwenden, die für die Bindung relevant sind. Sprich: es sind gar kein bindungsbasierten Studien, sondern solche mit althergebrachten Interpretationen von Verhalten. Nur die Schlußfolgerung, die dann auf merkwürdige Weise dem gewünschten Ergebnis entspricht (also keine ergebnisoffene Studie), wird mit dem Begriff Bindung in Verbindung gebracht. Und dann gibt es noch ein Problem, über das auch die Bindungspioniere gestolpert sind. die schwierige Trennung von sicher gebundenen Kindern und vermeidend gebundenen Kindern. Solange kein objektiven, vegetativen Messungen vorgenommen werden, solange wird man sich bei diesen beiden Typen weiterhin irren. Die deorganisiert gebundenen Kinder wurde ohnehin erst einige Jahre später "entdeckt" und abgegrenzt. Was Ihre beiden Kinder angeht, dazu kann ich nichts sagen. Vielleicht haben sie Glück gehabt und eine sehr zugewandte und einfühlsame Tagespflegerin gefunden, zu der sie schnell Sympathie entwickelt haben. Das entspräche dem Großmutterprinzip. Aber zwei Kinder sind noch nicht repräsentativ. Vielleicht sind Ihre Kinder auch sehr offen in ihrem Wesen, was andere Menschen angeht, und insgesamt neugierig, so dass ihnen die neue Umgebung gelegen kam. Auf jeden Fall gehören Kinder in der Bindungs- und Loslösungphase hautsächlich in die Obhut ihrer Eltern. Das muss auch die Schweiz akzeptieren lernen. Viele Grüße und danke für Ihr großes Lob.

von Dr. med. Rüdiger Posth am 24.10.2014