Frage: bindungsfrage

SgH Dr. Posth, ich gewöhne seit heute meine 22 Monate alte Tochter in eine krippe ein. Mich bewegt ein Ereignis was ich kurz schildern möchte. Während meines Beiseins im Gruppenraum "klebte" oft ein anderes Kind (21 M) an mir, später fiel mir auf, dass auch noch eine andere Mutter mit der sofortigen Zuneigung dieses speziellen Kindes bedacht wurde. Während die Erzieherinnen dieses Verhalten eher positv bewerten (Kind war zu allen gleich zutraulich, als es vor sechs Wochen ohne Mutter eingewöhnt wurde) sehe ich das Ganze als eifrige "Studentin" Ihres Forums sehr skeptisch, was ich auch zum Ausdruck brachte. In etwa verstehe ich die Hintergründe dieses Verhaltens (Nachdem was ich so merke, wird das Kind nicht im Sinne dieses Forums erzogen...), hätte aber sehr gerne noch mal eine spezielle Erklärung für solche wahllose Zutraulichkeit und vorallem einen Rat, wie ich demnächst damit umgehen soll, da meine Tochter das Ganze natürlich verunsichert. Vielen Dank

Mitglied inaktiv - 03.04.2006, 13:41



Antwort auf: bindungsfrage

Hallo, Sie sehen das ganz richtig. Vor vordergründigen Interpretationen von kindlichem Verhalten sollte man sich in Acht nehmen. Die Leidtragenden davon sind die Kinder selbst. Eine übermäßige Zutraulichkeit, wenn sie zugleich durch eine auffallende Arglosigkeit und Distanzverminderung gekennzeichnet ist, ist immer verdächtig auf unsichere Bindungsverhältnisse zur primären Bezugsperson. Solche Kinder hungern nach liebevoller Zuwendung und stabilen Bindungsverhältnissen und sind ihren Sympathieempfindungen ganz stark ausgeliefert. Ich habe früher sehr viel und lange mit Heimkindern gearbeitet und erlebt, wie solche Kinder sich regelrecht an eine vertrauenserweckende Person geschmissen haben. Sie klebten förmlich an einem und folgten einem auf Schritt und Tritt. Man selbst muß sich davor hüten, dieses Verhalten insgeheim oder sogar offenkundig zur Selbstbetätigung umzudeuten. Die eigene Aufgabe besteht vielmehr darin, solche Kinder freundlich und klar in der eigenen Aussage auf natürlicher Distanz zu halten, um ihr Bindungsbedürfnis aus Respekt vor der Not und aus eigenem Verantwortungsgefühl nicht auszunutzen. Man hat ja nicht wirklich etwas zu bieten, es sei denn, man plane, Ersatzbezugsperson für ein solches Kind zu werden. Aber man darf auch ein solches Kind nicht vor den Kopf stoßen. Es bedarf schon einiges Geschicks, den richtigen Ton im Umgang zu finden. Viele Grüße

von Dr. med. Rüdiger Posth am 06.04.2006