Ich lese zur Zeit Ihr sehr spannendes, aber auch anspruchsvolles Buch. Deshalb habe ich nun zwei Fragen zur Bindung und Betreuung:
1. Meine Schwiegermutter passt einmal pro Woche für 3-5 Stunden auf meine Tochter (6 Mon.) auf. Mir erscheint meine Tochter danach nicht verändert. Kann dadurch trotzdem die Bindungsqualität leiden.
2. Ich würde gern im März mit meinen ehem. Arbeitskollegen auf ein Ski-Wochenende fahren. In der Zeit würde mein Mann auf sie aufpassen (sie wäre dann 9 Mon.). Er ist ein sehr präsenter Vater, nimmt sich Zeit und trägt sie auch viel im Tragetuch. Deshalb denke ich, er ist schon eine Ersatzbezugsperson. Ist so eine Trennung O.K. oder muß eine Mutter aus bindungstheoretischer Sicht im ersten Jahr wirklich 24 Std. pro Tag bei ihrem Kind sein.
Vielen Dank!
Hadassa
Mitglied inaktiv - 26.11.2007, 18:23
Antwort auf:
Bindung
Hallo, die Frage der Bindungsqualität ist keineswegs ausschließlich eine Frage der geteilten Zeit von primärer Bezugsperson und Säugling. Aber die geteilte Zeit spielt eine große Rolle (was von einigen Bindungstheoretiker(inne)n neuerdings gerne in Zweifel gezogen wird, um die frühe Fremdbetreuung nicht zu gefährden). Aber man muss schon bei der Wahrheit bleiben und darf nicht sein Fähnlein einfach nach dem Wind hängen. Die Bindung entsteht durch Quantität und Qualität. Letztere ist also der Faktor, auf den wir hier abheben.
Ersatzbezugspersonen, ob Großmutter, Tante und natürlich auch der Vater sind allesamt in der Lage, den Säugling vorübergehend zu pflegen und beschützen, und der Säugling fühlt sich bei ihnen auch sicher. Und da der Zeitfaktor bei Säuglingen in kürzeren Zeiträumen gemessen zu vernachlässigen ist, kommt es auch nicht darauf an, ob die Mutter 2 Stunden oder 3 Tage fort ist. Ist sie aber viele Wochen fort, reicht das Langzeitgedächtnis des Säuglings u. U. nicht mehr aus, um die Mutter noch als Mutter wiederzuerkennen. Der Säugling bindet sich dann an die Ersatzbezugsperson.
Bitte verzeihen Sie den anspruchsvollen Charakter meines Buches, es liegt nicht (nur) an meinem Schreibstil, sondern hauptsächlich an dem anspruchsvollen Inhalt, den es transportiert. Frühkindliche Entwicklungspsychologie ist nun einmal von Natur aus sehr kompliziert, und ich halte es da mit dem berühmten Wort von A. Einstein, der meinte, man solle einen komplizierten Sachverhalt zwar einfach schildern, aber nicht zu einfach. Viele Grüße
von
Dr. med. Rüdiger Posth
am 30.11.2007