Hallo Herr Dr. Post,
seit 2 Wochen ist unser älterer Sohn (26 MOn., Frühchen aus der 32. SSW) extrem anhänglich und schreit nur noch nach der Mama (auch wenn ich weg bin). Dieses Verhalten ist vollkommen neu bei ihm. Er fremdelte kaum bis gar nicht, ist sehr offen, auch zu den meisten unbekannten Personen, so dass ich bei ihm schon zwischen sicher gebunden und unsicher ambivalent schwanke. Kann es sein, dass er als Frühchen mit den ersten 10 Lebenswochen Klinikaufenthalt (wir konnten nur am Tag, nicht in der Nacht bei ihm sein)gar keine feste Bindung aufbauen kann? Er ist ein offenes, neugieriges und fröhliches Kind. Zeigt seine Gefühle deutlich, trotzt heftig, aber nicht oft. Er hat einen 12 Mon. alten Bruder, den er sehr liebt, auf den er aber auch eifersüchtig reagiert. Seit 4 Wochen möchte er nur noch gefüttert werden und seit 2 Wochen schreit er nur noch mir (wie sein Bruder momentan auch, doch da ja "normal"), komischerweise seit sein Vater Urlaub hat? Wir sind ratlos.
Mitglied inaktiv - 02.01.2006, 15:38
Antwort auf:
Bindung, Loslösung, Geschwisterrivalität
Hallo, um klar zu analysieren, welche Bindungsform Ihr Sohn entwickelt hat, brauchte man eine direkte Verhaltensbeobachtung, und das auch über einen gewissen Zeitraum. Über die Bindungsprobleme von ehemals Frühgeboren gibt es meines Wissens nach noch wenig klare Anhaltspunkte. Bisher hat man die psychosoziale Entwicklung von Frühgeborenen nur einzelfallweise untersucht, und sich vielmehr auf die körperliche Entwicklung konzentriert. Im Übrigen hat sich in der Behandlung der Frühchen in den letzten Jahren auch viel gewandelt, was die Beobachtungen erschwert. Entstanden ist dabei eine deutliche Verbesserung der Prognose. Das Bindungsproblem war aber bislang nie ein großes Thema.
Vielleicht hat das momentane Problem bei Ihrem Sohn etwas mit einer erschwerten Loslösung zu tun, wobei dann der Vater ins Spiel kommt. Eine Feriensituation ist für diese Aufgabe zu wenig. Der Vater müßte kontinuierlich zur Verfügung stehen und auch wichtige Aufgaben in der Betreuung seines Kindes übernehmen. Dadurch bewegt sich das Kind dann von der Mutter weg und kann auf die starken Bindungssturkturen der primären Bindung langsam verzichten. Anderfalls bleibt es in diese verstrickt und zeigt wieder Säuglingsverhaltensweisen oder entwickelt sich in aggressive Richtung (Stichwort erschwerte Loslösung). Viele grüße
von
Dr. med. Rüdiger Posth
am 05.01.2006