Frage: belohnen

Sehr geehrter Herr Dr. Posth, vielen Dank für Ihre Antwort und entschuldigen Sie, dass ich so viele Fragen "eingepackt" habe. Nochmals zu meiner Frage bezüglich des Belohnens. Ich frage mich manchmal, wann es richtig ist, meine Tochter (2) zu belohnen. Wir haben zum Beispiel am Freitag den 1. Zahnarzttermin. Da ich befürchte, dass sie ihren Mund nicht aufmacht, habe ich gesagt, wenn sie das tut und der Zahnarzt in Ruhe alles anschauen kann, bekommt sie nachher ein kleines Geschenk. Oder wenn sie zum Beispiel besonders lieb war oder aber auch wenn sie etwas erst nicht tun lassen will, zum Beispiel Nägel schneiden oder Nasentropfen geben, verspreche und gebe ich ihr danach zum Beispiel einen Keks. Da ich berufstätig bin, und sie manchmal wenn ich gehe weint, will sie einen Keks und es ist gut. Manchmal habe ich ein schlechtes Gefühl dabei und denke, dass das nicht immer ein guter Weg ist. Bezüglich Ihrer Nachfrage wegen des Sabberns: Sie hat insgesamt 20 Zähne. Danke!

Mitglied inaktiv - 18.01.2005, 08:18



Antwort auf: belohnen

Hallo, das Prinzp des Belohnens, das in der Verhaltenstherapie großen Anklang findet, da es zum Reiz-Reaktions-Schema paßt, ist ein höchst problematisches. Das Kind, das mit zwei Jahren jetzt schon lernt, lernt folgendes: passiert etwas Unangenehmes, gibt es Spannungen, bin ich oder werde ich unglücklich, bekomme ich einen Lohn dafür. Das ist ja an sich schon völlig paradox. Aber diese Paradoxie geht noch viel weiter. Eigentlich müßte ja die Mutter, der Vater mit ihrer/seiner Macht, das Unangenehme beseitigen und die Befreiung vom Unangenehmen ist dann der Lohn an sich. Aber nicht doch, gerade damit das Unangenehme seinen ungehinderten Fortgang nehmen kann, werde ich mit etwas völlig anderem, das keinerlei Bezug zum Geschehen hat und das ich nun einmal mag, "abgespeist". In größeren und komplizierteren Zusammenhängen nennt man das einmal Bestechung. Aber dann weiß der Jugendliche oder der Erwachsene, daß er nicht belohnt wird, sondern bestochen. Ein Kleinkind weiß das nicht, und nun fängt es folgerichtig an, in jeder unangenehmen Situation, die es ohne Murren erträgt um Belohnung zu ersuchen, schlicht zu betteln. Auf Grund des schlechten Gewissen beim Erwachsenen gibt dieser auch schnell nach und die Falle schnappt endgültig zu. Das Kind lernt aus ständigen solchen Abläufen, daß es a) unangenehme Situationen nur mit "Belohnung" ertragen kann und b) auch gar nicht mehr gewillt ist, Unangenehmes zu ertragen, wenn nicht gleich die Belohnung winkt. Es fängt früher oder später an, seine Eltern zu "erpressen", aber nicht, weil es böse ist, sondern weil es die Eltern ihm anerzogen haben. Handelt es sich um kalorienreiche Belohnungen, werden solche Kinder zwangsläufig immer dicker, je mehr Unangenehmes Ihnen abverlangt wird. Übergewicht ist die typische Folge. Das Gehirn stellt sich nun darauf ein, und produziert fleißig Serotonin (was neurowissenschaftlich nachgewiesen ist). Und nun passiert etwas ganz Fatales. Viel Serotonin produziert (wie alle Neurotransmitter) auch viele Serotoninrezeptoren in den Synapsen der entsprechenden Netzwerkverbindungen. Und wenn das nun nicht aufhört, verlangen diese vielen Serotoninrezeptoren ihrerseits viel Serotonin und damit viel Süßes. Bleiben diese Rezeptoren aber leer, drohen schlechte Gefühle bis hin zu Depressionen. Der Teufelskreis ist geschlossen. Ich glaube, ich brauche das nicht weiter zu kommentieren. Das KInd also keinen Nutzen von solchen Belohnungen, und auch sein Selbstbewußtsein steigt dadurch nicht! Im Gegenteil, nicht die eigene Leistung hat gesiegt, sondern die Unterwerfung unter ein fragwürdiges Prinzip. Solche Kinder besitzen später ein eher schwaches Selbstbewußtsein und sind dann verbalem Lob kaum zugänglich. Das ist eine weitere Gefahr.

von Dr. med. Rüdiger Posth am 19.01.2005



Antwort auf: belohnen

Wenn ich dir auch einen Tip geben darf, vielleicht hilft es deiner Tochter, wenn der Zahnarzt zuerst dich behandelt und sie zuschauen kann. mfg

Mitglied inaktiv - 22.01.2005, 00:46



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