Frage: ausgerastet...

Hallo Dr. Posth, weil mein Sohn (3 Jahre)seit 4 Nächten schreiend durch die Wohnung tobt, hat mein Mann ihn heute nacht unsanft ins Bett geschleift. Dabei ist er mit dem Kopf gegen das Bett gestoßen und hat jetzt einen großen blauen Fleck. Wir fühlen uns als die kompletten Versager (mein Mann, weil er seinen Jähzorn nicht unter Kontrolle hatte und ich fühle mich mies, weil ich nicht eingeschritten bin)und fragen uns, ob unser Verhalten jetzt Schatten auf seine Seele werfen, die nicht mehr weggehen. Meine Frage: Kann man sein Fehlverhalten irgendwie wieder gutmachen, ohne dass etwas zurückbleibt? Mein Mann und ich sind momentan im Dauerstress (haben beide Jobs mit viel Verantwortung obwohl wir beide eher zu den wenig belastbaren Menschen gehören). Mein Sohn tickt im Moment völlig aus, wir kommen nicht dazu, uns zu entspannen (jetzt nicht mal mehr nachts. Haben Sie einen Rat für uns? Helene

Mitglied inaktiv - 03.04.2004, 12:15



Antwort auf: ausgerastet...

Liebe helena, so etwas darf natürlich nicht passieren, das ist Ihnen ja klar. Wahrscheinlich haben Sie schon im Vorfeld zu wenig darüber nachgedacht, daß auch Ihr Sohn der Leidtragende all des Stresses ist, in dem Sie sich befinden. Hier müssen Sie ansetzen, daß solche Vorkommnisse eine Einzelreaktion bleiben, sonst ist der seelische Schaden vorprogrammiert. Sie müssen sich also eine Strategie für die Nächte überlegen, die Ihren Sohn zu seinem Recht nach zuverlässigen und zuwendungsbereiten Eltern kommen läßt und auch Ihre Kräfte nicht zusätzlich unterminiert. Aber die Grundfrage für Sie wird sein: Beruf oder Kind, was ist wichtiger? Heute scheint es der Beruf zu sein, aber schon morgen und in Zukunft wird es immer nur Ihr Kind sein. Sie müssen also schon heute die Weichen richtig stellen. Viele Grüße

von Dr. med. Rüdiger Posth am 03.04.2004



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Hallo Helene, ich schreibe dir jetzt auch noch einmal zum Thema, weil ich mich über Dr. Posths Antwort geärgert habe. Natürlich hat er Recht (aber das wisst ihr ja selber, sonst hättest du wohl kaum hier geschrieben), dass euer Verhalten nicht richtig war und so etwas (eigentlich) nicht passieren darf. Aber Eltern sind nun mal keine Übermenschen und machen auch Fehler, gerade, wenn sie gestresst und übermüdet sind. Dein Mann hat deinen Sohn ja auch nicht mit Absicht gegen das Bett geknallt, sondern war eben etwas unsanft, und dabei ist dieser blöde Zusammenprall "passiert". Ich finde, was ihr jetzt auf keinen Fall machen solltet - damit macht ihr eure Situation nur noch schlimmer, indem ihr den Druck auf euch selbst verstärkt - ist, euch in Schuldgefühle hineinzusteigern. Es ist passiert, es war natürlich Scheiße (entschuldige bitte die drastische Ausdrucksweise, aber so fühlt ihr euch ja wahrscheinlich auch), aber es lässt sich auch nicht mehr rückgängig machen. Ich finde, dein Mann sollte sich noch mal mit eurem Sohn zusammen setzen, sich für das Geschehene entschuldigen und ihm ruhig erklären, wie es dazu gekommen ist. Vielleicht könnt ihr ja auch tagsüber in einem ruhigen Moment mal darüber sprechen (oder vielleicht mit Handpuppen oder Stofftieren ein Rollenspiel machen), dass Mama und Papa auch nachts ihren Schlaf brauchen, damit sie fit und ausgeglichen sind. Klar bekommt der Kleine mit, wenn ihr momentan beide beruflich unter Strom steht. Aber, so wie Doc Posth unterschwellig impliziert, sich deshalb gleich die Frage Beruf oder Kind - was ist wichtiger? zu stellen, finde ich überzogen und eigentlich nur dazu angetan, euch ein schlechtes Gewissen zu machen. Ich nehme mal an, ihr habt gute Gründe für die doppelte Berufstätigkeit und habt euch das auch gründlich überlegt. Statt euch also beklommen die Frage zu stellen, ob euer Sohn jetzt einen lebenslangen seelischen Schaden davontragen wird, solltet ihr lieber nach vorn blicken und euch fragen, wie ihr in Zukunft positiver mit solchen Stresssituationen umgehen könnt. Auch wenn ihr beruflich nicht unter Stress steht, finde ich nicht, dass ihr es als Eltern klaglos erdulden solltet, wenn euer Dreijähriger vier Nächte hintereinander schreiend durch die Wohnung flitzt. Mit einem Dreijährigen kann man schließlich schon reden und ihm anbieten, wenn er nachts wach wird, entweder zu euch ins Bett zu kommen und sich dort einigermaßen ruhig zu verhalten (z. B., wenn er nicht mehr einschlafen kann), oder eben in seinem Bett zu bleiben und dort mit seinen Kuscheltieren zu sprechen, eine Bettkassette, etc. zu hören. Vielleicht würde es dem Schlafverhalten eures Sohnes auch helfen, wenn sich vorübergehend mal einer von euch in seinem Zimmer schlafen legt, dass er jemanden sicher in seiner Nähe weiß. Eine zusätzliche Matratze oder ein Gästebett habt ihr doch bestimmt. Ich drücke euch jedenfalls die Daumen, dass es bald besser wird. Liebe Grüße Nicole

Mitglied inaktiv - 04.04.2004, 10:52



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Hallo Nicole, danke für Deine praktischen Tips, ich werde das mit dem Rollenspiel mal ausprobieren. Außerdem muss mein Mann sich auch entschuldigen. Das Wichtigste ist wahrscheinlich, dass mein Sohn verinnerlicht, dass niemand das Recht hat, Gewalt in irgendeiner Form gegen ihn anzuwenden, was auch immer er anstellt. Nicht dass er denkt, sowas ist normal. Danke für Dein Verständnis. Ich hatte wirklich ein furchtbares von Schuldgefühlen zerfressenes Wochenende...Nach Deinem Posting geht es mir gleich etwas besser, danke!!!! Liebe Grüße Helene

Mitglied inaktiv - 04.04.2004, 11:17



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Hallo Dr. Posth, erstmal vielen Dank für ihre Antwort. Ich will nochmal ein paar Gedanken aufschreiben, die mir zu dem, was sie schreiben, gekommen sind: Mein Job ist nicht nur ein Job. Ich BIN mein Job, ich brauche ihn für meine persönliche Entwicklung, für mein Lebensglück. Ich gehöre zu den von ihrer Arbeit Besessenen, wie Sie wahrscheinlich auch (sonst würden Sie sich wohl kaum mit der Intensität in ihrem Job und darüber hinaus in diesem Forum engagieren, mit der Sie das tun). Mich würde mal interessieren, denn ich meine irgendwo gelesen zu haben, dass Sie auch Kinder haben, ob Sie eine Frau haben, die die Hauptverantwortung für die Kinder hat und Ihnen damit das ermöglicht? Würden Sie ihren Job aufgeben, wenn Ihre Frau sich nun mit der gleichen Intensität einer Arbeit zuwenden will? Verstehen Sie mich nicht falsch: Es ist ja mehr als richtig, was Sie schreiben, aber die Praxis sieht manchmal etwas anders aus. Ich glaube manchmal auch, dass da zuviel auf den Frauen lastet. Meine Frage: Ist es richtig, dass man für sein Kind auf das Ausleben seiner Talente verzichtet, einen großen Teil von sich unterdrückt? Oder sollte man nicht lieber Kompromisse machen, so dass Keiner so total zu kurz kommt? Ich will damit nicht das Verhalten meines Mannes rechtfertígen (warum überhaupt wieder ICH? Aber das ist ein ganz anderes Kapitel). Naja, waren nur ein paar Gedanken. Helene

Mitglied inaktiv - 04.04.2004, 11:41



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Darf ich mich einmischen? Was erwartest du? Dass Dr. Posth schreibt "Hey, schon okay so, ich hab Verständnis." Das wird er (hoffentlich) nicht tun und das mit Recht. Wenn ich dein Posting lese, mit dem Werben um Verständnis, mit dem Verweis auf die besondere Problematik der Frauen, mit dem Fragen nach Dr. Posths persönlicher Lebenssituation, dann spricht aus jeder Zeile ein unruhiges und schlechtes Gewissen. Ich glaube, du weißt selbst genau, was zu tun ist und wo die Prioritäten liegen. Das waren nur meine Gedanken. Entschuldige, dass ich mich eingemischt habe.

Mitglied inaktiv - 04.04.2004, 12:20



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"Mams", ICH habe meinem Sohn noch NIE grob angefasst und JA, ich hatte mir neben einem Rat, wie ich mit dem Problem umgehen soll, ein bisschen Verständnis erhofft(schlag mich). Hast Du noch nie einen Fehler gemacht? (In diesem Fall hat mein Mann den Fehler im Übrigen gemacht)Wenn ja, dann weißt Du bestimmt, wie wenig hilfreich in einem solchen Fall Schuldzuweisungen sind, "mams". Es kotzt mich an, hier vor einem Tribunal zu stehen, ich werde hier nie wieder posten, soviel steht fest. Brauchst Du das für Dein Selbstbewusstsein, andere runterzumachen?

Mitglied inaktiv - 04.04.2004, 12:57



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Hallo, Helen! Ich wollte nur noch was zu der Jobsache sagen, denn das andere ist Dir und Euch ja völlig klar, das hab ich auch bei Dr. Posths erstem Posting so verstanden, fand nicht, dass er in die Kerbe der Schuldgefühle haute. Mit der Jobgeschichte - das ist schwieriger finde ich. Ich hab auch einen Beruf, den ich sehr liebe, der mich beansprucht und in den ich jetzt nach drei Jahren zurückkehren werde. Ein Problem gibt es bie dieser Frage Job oder Kind: das Kind hat nicht mitentschieden. IHR habr bestimmt, dass es auf die Welt kommen soll, IHR bestimmt seine Lebensumstände (also auch, wieviel es von Mama und Papa zeitmässig bekommt) und IHR habt Euch letztlich entschieden, den Stress in Kauf zu nehmen. Er hat diese Entscheidungen nicht getroffen. Ich bin nicht der Meinung, dass Mütter nicht arbeiten sollen, ich denke, dass das unter guten Voraussetzungen gut klappen kann, auch wenn das Kind noch klein ist. Aber - wenn das Kind nur gestresste Eltern erlebt in der Zeit, die es mit ihnen verbringt, dann wird es irgendwann kooperieren wie Jesper Juul das nennt, in Eurem Fall - es macht auch Stress. Und auch da könnt jetzt wieder nur Ihr un niemand anders etwas daran ändern. Ich finde auch, dass es eine Frage von Prioritäten ist. Allerdings nicht nur für Euren Sohn: wenn Du schreibst, dass Ihr im Grunde beide keine übermässig belastbaren Menschen seid, dann ist das nur eine Frage der Zeit, wann sich das bei Euch gesundheitlich z.B. bemerkbar machen wird. Damit Du mich nicht falsch verstehst: wenn es zu einer Entweder-Oder-Frage wird, das Kinderhaben und Arbeiten, dann stimmt was nicht - und es tut keinem der Beteiligten gut. Und wenn es nur eine Phase ist, in der die Arbeit bei Euch so überhand nimmt, dann würde ich in der Zeit, die Ihr mit Eurem Sohn habt, so viel Nähe wie möglich herstellen, auch und gerade nachts. Natürlich möchte man in Zeiten des Stresses am Liebsten, dass die Kinder gerade dann bitte möglichst funktionieren. Wer kennt das nicht. ;-) Aber genau das tun sie eben nicht. Alles Gute, Chr.

Mitglied inaktiv - 04.04.2004, 20:50



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Liebe Helene, da Sie mich so konkret ansprechen, will ich Ihnen auch keine Antwort schuldig bleiben. Aber eine Grenze gibt es schon. Das ist die, persönliche Glaubwürdigkeit nur durch beispielhaftes Tun begründen zu können. Kein Arzt und kein Psychologe wäre dazu in der Lage, zu hoch würden die Ansprüche der Patienten oder der Klientel. Es muß schon genügen, daß man Erfahrung und Wissen auf eine günstige Weise in Verbindung bringt. Oder sagen wir es schlafkräftiger. Wissenschaft und Empirie sind die Grundlagen dieser zwei Gattungen aus den Überschneidungen von Geistes- und Naturwissenschaft. Vorbild zu sein in jeder Sache zählt nicht dazu. Das gebührt, mit Verlaub gesagt, nur der Religion. Aber Sie haben schon Recht. Der Grenzgang zwischen überzeugter Arbeitshaltung und hingebungsvoller Familiarität ist gerade heutzutage, da Arbeit und Familie weiter von einander getrennt sind denn je, oft extrem. Die einzige Lösung ist die, sein Leben in gewisser Weise aufzuteilen und so zu entscheiden, daß eine gebührende Zeitlang die Familie absolut im Vordergrund steht, und eine andere dann der Beruf (sofern man in ihm seine Erfüllung sieht). So habe ich versucht zu entscheiden. Es hat mich manche Einschränkung gekostet, aber es hat mich auch bereichert! Meine Kinder sind übrigens inzwischen zu 3/4 über zwanzig. Viele Grüße

von Dr. med. Rüdiger Posth am 04.04.2004



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o.T.

Mitglied inaktiv - 04.04.2004, 22:36



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"ICH habe meinem Sohn noch NIE grob angefasst" Das habe ich nicht behauptet. "Hast Du noch nie einen Fehler gemacht?" Oh doch... täglich! "Es kotzt mich an, hier vor einem Tribunal zu stehen" Das glaube ich gerne. "ich werde hier nie wieder posten" So viel Macht steht mir nicht zu. "Brauchst Du das für Dein Selbstbewusstsein, andere runterzumachen?" Nein.

Mitglied inaktiv - 05.04.2004, 09:05