Frage: Anziehen - Vorlieben - Trotzreaktionen

Sg. Herr Dr. Posth, ich habe Ihre Ausführungen zum Thema Loslösung, Trotz und Selbstbewußtsein gelesen. Ich verstehe die Grundidee, die Sie vertreten, tu mir aber schwer, das ganze konkret in den Alltag zu verlegen. Nun bitte ich Sie verzweifelt um einen Tipp , wie ich mit dem täglichen Problem mit meiner Tochter, was das Anziehen betrifft, umgehen sollte. Zur Situation: meine Tochter wurde Ende Oktober 3 Jahre alt. Seit sie 2 Jahre ist, hat sie spezielle Vorlieben, was sie tragen möchte (keine Jeans, keine speziellen Farben, am liebsten nur Kleider/Hosen/Pullis mit Blümchen usw.) Ich habe immer versucht, dem zu entsprechen. Sie durfte beim Einkaufen bald selbst aussuchen usw. Nur - oft zickt sie sogar bei den Sachen, die sie selbst ausgesucht hat, herum: Es passe nicht zusammen usw. Oder sie möchte sich nicht der Temperatur entsprechend anziehen (lassen). Heute morgen gab es einen riesen Aufstand, weil sie partout keine Socken und nur dünne Halbschuhe anziehen wollte. Ich habe zu meinem Mann dann gesagt, nachdem wir ihr genügend Zeit gaben, es sich anders zu überlegen, er solle sie einfach ohne Socken und Schuhe mit ins Auto zum Kindergarten nehmen. Sie schrie furchtbar, aber was sollten wir tun? Sie ist sonst ein sehr selbstbewusstes, verständnisvolles und ausgeglichenes Mädchen. Sie kann sich ganz toll alleine beschäftigen, schläft recht gut usw. Im Kindergarten gefällt es ihr auch sehr gut. Was raten Sie uns? Wie sollen wir uns verhalten? Gewisse Dinge wie Socken/Strumpfhosen im Winter müssen wir ihr ja aufzwingen. Aber was ist damit, dass sie vor dem Kasten steht und sagt, sie wolle dieses und jenes nicht, weil es ihr nicht gefällt? Danke und liebe Grüße aus Ö Susanne

Mitglied inaktiv - 03.12.2003, 09:15



Antwort auf: Anziehen - Vorlieben - Trotzreaktionen

Liebe Susanne, das, was Sie ansprechen, hat meines Erachtens nur noch wenig mit Trotz und Verteidigung des Selbstbewußtseins zu tun, sondern mit einer menschlichen Schwäche, die man Entscheidungsunfähigkeit nennt. Vielleicht sollte ich Ihnen dazu erklären, daß der Wille eines Menschen sich aus drei blitzschnell im Gehirn abspielenden Komponenten besteht. 1. der Willensimpuls (vermutlich allein durch eine Konstellation von Neurotransmittern erbracht und nicht zu verwechseln mit dem Auslöser des Willens), 2. die Willensentscheidung, die eine Art geistige Kontrolle über den entstandenen Willen ausübt (und ganz stark von Persönlichkeitselementen, kulturellen Voraussetzungen und der Erziehung selbst getragen ist), 3. der Willensentschluß, der wieder ganz persönlich getragen wird und die Handlung auslöst. Normalerweise läuft also der Prozeß des Willens in Bruchteilen von Sekunden ab, und der Mensch kann sofort handeln. Bei sehr vielen Menschen, v.a. denen, die etwas zwanghaft veranlagt sind, hakt dieser Prozeß bei der Stufe 2, der Willensentscheidung. Wie das kommt, ist ziemlich schwierig zu erklären. Die Auswirkungen liegen aber auf der Hand. Der Willensprozeß gerät ins Stocken und der Mensch oder das Kind wägt ständig in seinem Kopf ab, was jetzt zu tun wohl besser wäre. Also wie in Ihrem Fall, dieses Kleidchen mit den geringelten Socken, oder doch besser die Hose mit dem roten Pulli, oder vielleicht das grüne Kleid mit dem schwarzen Pullover, oder... Und dann kommt auch noch die Mami und verlangt, daß, weil es kalt ist, die blöden Schuhe angezogenen werden müssen, die ja überhaupt nicht zu den Ringelsocken passen und schon gar nicht zum Kleid und und und. Immerhin kann ja ein 3jähriges Kind schon Alternativlösungen im Kopf vorfabrizieren. Was vielleicht anfangs tatsächlich etwas trotzig opponierendes hatte, wird jetzt zur "Falle" für das Kind selbst. Was tun? Wieder einmal ist ein Verständnis der Vorgänge die Voraussetzung für eine gute Lösung. Z.B. profitiert ein solches Kind davon, daß es gar nicht so viel Auswahlmöglichkeiten hat. Erwachsene mit Entscheidungsschwäche übrigens auch. Man kann etwas vereinfachend sagen, die Kleiderschränke der Wohlstandskinder sind zu voll. Dann profitert auch ein Kind davon, daß Sie als Mutter/Vater stärker festlegen, was getragen werden soll. D.h. Sie nehmen dem Kind einstweilen Entscheidung ab. So lange es noch so klein ist und keine Mechanismen entwickeln kann, mit dieser Schwäche umzugehen, bedarf es Ihrer Hilfe, auch wenn sie zuweilen dagegen rebelliert. Das darf sie ruhig, aber hinterher ist sie froh, daß Sie ihr bei der Entscheidung geholfen haben. Vielleicht ab 4 aufwärts ist sie dann auch in der Lage, den Sinn von Gummistiefeln und Regencape einzusehen oder von Handschuhen, wenn Schnee liegt. Viele Grüße

von Dr. med. Rüdiger Posth am 04.12.2003



Antwort auf: Anziehen - Vorlieben - Trotzreaktionen

Mit meiner Tochter (wird im April vier) habe ich momentan morgens einen ähnlichen Kampf: Anziehen will sie grundsätzlich nur Kleider (keine Röcke!, Hosen natürlich sowieso nicht), Pulli, Strumpfhose und nach Möglichkeit auch die Jacke obendrüber müssen farblich zusammenpassen... Ich versuche, mit ihr Kompromisse auszuhandeln, bleibe aber bei klar unvernünftigen Vorstellungen (Sommerkleid oder Söckchen und Sandalen im Winter) hart - ich sage ihr dann einfach in bestimmtem Ton: "Das geht nicht, dafür ist es heute zu kalt, dann musst du frieren und holst dir eine Grippe" - und das akzeptiert sie in den allermeisten Fällen auch (obwohl sie natürlich auch manchmal mault). Manchmal habe ich auch den Eindruck, sie ist mit dem Angebot überfordert und möchte ein bisschen Anleitung, was sie denn jetzt anziehen kann. Im Großen und Ganzen kommen wir so gut über die Runden, obwohl ich es schon nervenaufreibend und anstrengend finde, eine Dreijährige zu haben, die morgens einen Aufstand anzettelt, weil sie unbedingt rote Unterwäsche (!) anziehen möchte *gg* Aber ich bin jedenfalls auch mal gespannt, was der Doc schreibt... LG Nicole

Mitglied inaktiv - 04.12.2003, 12:03



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