Frage: Adoptivkinder

Hallo Herr Dr. Posth! Gerade habe ich einen Beitrag von Ihnen zur Bindung der Kinder an die Eltern/Mutter gelesen - und immer werden diese ersten zwei magischen Lebensjahre herangeholt! Unsere Große war fasdt 4, unsere Kleine fast 2, als sie aus Thailand zu uns kamen. Jetzt liegt ja der Schluss nahe, dass beide eigentlich weder eine stabile Bindung noch ein gesundes Selbstbewusstsein erreichen können. Tatsächlich sind sie aber herrlich lebensfroh, toben, lachen, trotzen und interessieren sich und zeigen ganz "normale" Bindung. Wie ist das zu erklären? Auch "leben" wir einfach, ohne ständig über "Erziehung" nachzudenken - man kann sich und den armen Kindern das Leben nämlich auch ziemlich schwer machen, indem man alles analysiert ... Viele Grüße - Susanne

Mitglied inaktiv - 02.12.2003, 14:18



Antwort auf: Adoptivkinder

Liebe Susanne, in gewisser Weise gebe ich Ihnen gerne Recht. Zu den zahllosen Problemen in diesen Ländern sollen jetzt auch noch Bindungsprobleme zwischen den Eltern und den vielen Kindern heraufbeschworen werden werden, das wäre nicht sinnvoll. Fakt ist nur, daß sich die Natur des menschen nicht darum schert, wieviele Probleme es noch auf der Welt gibt. Meiner Auffassung nach laufen diese Bindungsvorgänge ebenso wie die emotionale Integration und die Selbstentstehung ab wie ein Uhrwerk. Da Sie es ja gar nicht bemerken und auch nicht verstehen, solange Sie es nicht wissen, erkennen Sie die Störungen erst, wenn sie in Form von sozialen Auffälligkeiten ans Tageslicht treten. So laufen ja auch viele Krankenheiten im Körper ab, von denen sie bevor sie als Störung auffällig geworden sind so gut wie nichts bemerkt haben. Hat es sie dann aber nicht gegeben? Nun kommt noch dazu, daß Sie ja gar nicht genau wissen, wie die beiden Thaikinder in Ihrer Heimat gelebt haben. Wenn auch die leiblichen Eltern sich wahrscheinlich nicht um die Kinder gekümmert haben, wie es wünschenswert gewesen wäre, so kann doch eine andere Frau die Funktion der primären Bezugsperson zum Aufbau einer Bindungssicherheit übernommen haben. Die kann auch so einfühlsam gewesen sein, daß die emotionale Integration mit einem recht positiven Ergebnis in Form des Willens aufwarten kann. Das einzige wirklich große Problem wäre dann der vermutlich ziemlich abrupte Wechsel der Bezugsperson im zweiten, dritten oder vierten Lebensjahr. Der Wechsel der Kulturen spielt wahrscheinlich noch keine große Rolle. Und da gibt es aber nun die große Anpassungsfähigkeit der Kleinkinder, die es erlaubt, im Falle des Verlusts der leiblichen Eltern auch bei anderen Eltern aufwachsen zu können. Natürlich geht das nicht reibungslos, aber Sie als die neuen Eltern werden ja gar kein Interesse daran haben, die -sagen wir- Mikrostörungen diesbzgl. aufzuspüren. Das würde nur einen Entwicklungspsychologen interessieren. Da Sie, wie Sie sagen, Ihre Erziehung bewußt nicht reflektieren, bedarf es auch keiner Diskussion dazu. Einjeder wird Ihnen wünschen, daß Ihnen die übernommene Aufgabe auch weiterhin so gut gelingt und dafür spricht ja viel. Aber eine Widerlegung der Bindungstheorie und der emotionalen Integration ist das ganz und gar nicht. Viele Grüße

von Dr. med. Rüdiger Posth am 03.12.2003