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Geschrieben von AnnyMagus am 05.09.2019, 8:42 Uhr

Sascha Lobo über den Umgang mit der AfD

Ich kopiere den Text einfach hier ein und schreib später was

" Wollt ihr eine rechtsextreme Landesregierung? Denn so bekommt ihr eine rechtsextreme Landesregierung.

Überraschung: "Ihr" bezeichnet hier nicht nur die üblichen Verdächtigen, also Medien und Politik, sondern die gesamte Zivilgesellschaft. Wo sind eigentlich die Gewerkschaften? Die Kirchen? Die Stiftungen und Genossenschaften? Die Sportvereine, die Universitäten, Theater, die Kulturindustrie? Die Unternehmen und ihre Chefs, die Wirtschaft und die tausend Verbände, die sonst bei jedem ungünstig gesetzten Komma in einem Gesetzentwurf das Klagelied vom Standortuntergang singen? Quer durch die bürgerliche Gesellschaft lässt sich eine stumme, aber himmelschreiende Hilflosigkeit im Angesicht des Faschismus beobachten.

Die meisten Hilflosigkeiten, erst recht die deutschen, beginnen mit Schweigen. Damit, dass die Worte fehlen oder diffus durch die Sätze taumeln. Natürlich ist es katastrophal, wenn eine Moderatorin die rechtsextreme AfD implizit "bürgerlich" nennt, weil das exakt der Schafspelz ist, mit dem die rechten Werwölfe das konservativ-gutmütige Bürgertum täuschen wollen, bis es zu spät ist. Aber der Fehler der Moderatorin ist nichts weiter als das Symbol einer vollständigen Konzeptlosigkeit davon, wie man mit Faschisten umgeht. Überhaupt Faschismus zu erkennen, wenn er direkt vor einem steht, ob im Internet oder im Fernsehen oder in der dinglichen Welt.

Die Zukunft des Landes entscheidet sich dementsprechend an genau einem Punkt: Ob die CDU irgendwann mit der AfD zusammenarbeitet oder nicht. Das ist der Scheideweg der liberalen Demokratie. Trotzdem kommt noch immer dieses elende Neutralitätsgeplapper - es gibt keine Neutralität, wenn es um die Existenz der liberalen Demokratie geht und damit buchstäblich um die Existenz von Menschen, die von Faschisten verdrängt, verjagt, vernichtet werden. Denn das zeichnet den Faschismus aus: Früher oder später tötet er.

Man kann doch niemanden als Nazi diffamieren, nur weil er Nazi ist

Parteichef Gauland sagt "Vogelschiss" zu Nazizeit und Holocaust und "Machtergreifung" zur geplanten AfD-Herrschaft. Der mächtigste AfD-Flügelmann ist ein Nazi, der sich nicht einmal halbherzig von der Vielzahl seiner Rechtsextremitäten distanziert. Warum sollte er auch? Längst hat er begriffen, dass ein schales Lächeln in die Kamera und eine ausweichende Antwort einen Großteil des Publikums beruhigen. Die Grundregel der konservativen Bourgeoisie: Wer lächelt, kann kein Nazi sein. Die Hakenkreuzflagge da im Hintergrund? Nein, nein, ein Missverständnis, ein Einzelfall, eine Jugendsünde. Oder ein altes, indisches Sonnensymbol, wer kann das schon ohne Gerichtsurteil sagen. Man kann doch niemanden als Nazi diffamieren, nur weil er Nazi ist.

Der machtvolle Gewöhnungseffekt tritt ein, die Normalisierung: Den habe ich doch schon so oft im Fernsehen gesehen, da hat er freundlich harmlose Sachen gesagt, und der Moderator ist ihm gar nicht an die Kehle gesprungen, also kann er kein Nazi sein. Teil der konservativ-mutlosen Katastrophe ist, Nazis nicht Nazis zu nennen, Rassismus nicht als Rassismus zu bezeichnen und Faschismus noch nicht einmal zu denken. Prinzipiell nicht, sondern Lull- und Nullphrasen wie "Rechtspopulisten" oder gar "Rechtskonservative" zu verwenden. Die aggressive Abwesenheit des Worts "Rassismus" in der deutschen Öffentlichkeit ist ein ständiger Schlag ins Gesicht aller nicht weißen Menschen.

Das Ausbleiben angemessener Reaktionen auf offenkundige Faschisten in staatlichen Strukturen oder in der Öffentlichkeit ist ein essenzieller Bestandteil der Normalisierung. Angela Merkel kennt die Berichte von rechtsextremen Exzessen und Seilschaften in Bundeswehr, Polizei, Behörden, Justiz. Was hat sie dagegen getan, was hat sie dagegen öffentlich gesagt? Aber dann besteht die Gefahr, dass die Rechten die Opferrolle spielen, sagen die besonnenen Bürger, die selbst bei der Flucht aus dem brennenden Haus noch darauf bestehen, vorher die Tagesdecke aufs Bett zu legen. Die Wahrheit ist: Rechte werfen sich selbst dann noch in die Opferpose, wenn sie soeben zum Großkaiser ernannt wurden - weil sie die schiere Existenz des Andersartigen zum Angriff auf sich selbst umdeuten. Dann halluzinieren sie kollektiv herbei, sich "wehren" zu müssen und geraten dabei leider ins Töten.

Ich wünschte, ich könnte nach der Konservativen-Schelte ein Loblied auf die goldklugen Reaktionen der Linken und Liberalen singen (zu denen ich mich zähle). Leider muss ich das Gegenteil tun, denn auch die Links- und Liberalbourgeoisie suhlt sich in der eigenen Überlegenheit, und manchmal noch etwas selbstgerechter als die konservativ-besonnenen Bürger.

Es beginnt mit einer komplett absurden Grundannahme: Linke glauben, Politik und Medien müssten bloß linker werden, dann würde alles gut. In einem knallkonservativen Land wie Deutschland ist das nicht bloß mutig, sondern schon magisches Denken, politische Globuli mit extra Bachblüten. Die Zahl der Menschen, die eher rechtsextrem (oder gar nicht) wählen würden als linksgrün - die ist sehr, sehr groß. Wer eben noch "ach, die paar rechten Spinner" gesagt hat, soll jetzt eine CDU wählen, die scharf nach links abbiegt? LOL nein, wie wir im Internet sagen. Wir machen es uns bei der Analyse und unseren Reaktionen viel zu leicht. Zum Beispiel durch die Alleinfixierung auf den Osten, die oft nichts weiter ist als eine Selbstberuhigung. Oder in der Frage der Medienschuld.

Wer Nazis wählt, wählt Nazis und damit ihre Politik

Nach Überzeugung vieler Linker haben die Talkshows quasi im Alleingang die AfD in die Parlamente getalkt. Das ist die bequemste Deutung eines Rechtsrucks, die man sich überhaupt wünschen kann, weil da die Lösung quasi ins Problem eingebaut ist: Wenn in allen Talkshows nur Claudia Roth, Ferda Ataman und ich über den richtigen Wochentag für die vegane Kantinenpflicht diskutieren, dann wählen Rechte und Rechtsoffene plötzlich nicht mehr AfD. Natürlich müssen Talkshows wie die meisten anderen Medien dringend ihren Umgang mit Faschisten verändern. Weg von der Normalisierung, weg von der vermeintlichen Diskutierbarkeit von Rassismus und Menschenfeindlichkeit. Aber die Fixierung auf die bösen Talkshows zeigt die linke Bereitschaft zu unterkomplexem Wunschdenken.

Viele Kommentatoren in sozialen wie in redaktionellen Medien tun, als könne nicht beides gleichzeitig wahr sein: Die AfD wird nicht trotz, sondern wegen ihres Rassismus gewählt. Und die AfD wird von Leuten gewählt, die sich abgehängt fühlen oder es sind. Wenn man Rassismus für akzeptabel hält, weil man nicht betroffen ist, dann geht das ganz leicht: Die Leute sind enttäuscht, weil alle bisherigen Parteien die Infrastruktur haben verkommen lassen, Landflucht nicht verhindern konnten, die Verödung ländlicher Gebiete vorangetrieben haben. Also warum nicht mal das Blaue, vom Himmel Runterversprochene wählen? Erklärungen sind hier keine Entschuldigungen, sondern der Anfang einer notwendigen Analyse. Wie ganze Landstriche durch Treuhand-Mauscheleien oder durch die bitterfalsche Sparwut der Merkel'schen schwarzen Null oder beides nacheinander verhöhnt und betrogen worden sind. Zivilgesellschaft braucht zum Gedeihen Zukunftsvision und Infrastruktur, Nazis profitieren - bei ausbleibender Abgrenzung - von der Abwesenheit von beidem.

Natürlich ist die AfD eine Form von Protestpartei, nämlich rassistischer, autoritärer Protest gegen die liberale Demokratie, die offene Gesellschaft samt ethnischer Durchmischung - und auch gegen die bisherigen Leistungen der Regierungen Kohl, Schröder, Merkel.

Wenn in einem Dorf 50 Prozent der Wählenden einen Nazi wie Andreas Kalbitz wählen, sind dann 50 Prozent der Leute in diesem Dorf Nazis? Eine falsch gestellte Frage, weil sie den Blick weg vom Wesentlichen hin zum Definitorischen lenkt. Es ist, mit mittelgroßem Verlaub gesagt, scheißegal, welche politische Position jemand zu haben glaubt, der einen Nazi wählt. Wer Nazis wählt, wählt Nazis und damit ihre Politik. Unsere Frage muss lauten, warum sie Nazis wählen, um erkennen zu können, wie man das verhindert. Denn verhindert werden muss es ohne Frage. Aber offensichtlich funktionieren die bisherigen Strategien nicht gut genug. Und das Erste, was zu tun ist, ist der Ausgang aus unserer selbst verschuldeten, liberaldemokratischen Hilflosigkeit."

 
6 Antworten:

Re: Sascha Lobo über den Umgang mit der AfD

Antwort von Shanalou am 05.09.2019, 9:55 Uhr

Genau so ist es!

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Re: Sascha Lobo über den Umgang mit der AfD

Antwort von Konfusius am 05.09.2019, 10:02 Uhr

Diese Erkenntnis hätte man schon vor Jahren haben müssen.

Ich fand den Ausdruck "politische Landschaft" immer insofern unglücklich, weil ich es mehr mit einem Schiff vergleichen würde. Ein paar sitzen links, ein paar sitzen rechts, aber der Großteil sitzt in der Mitte, damit das Schiff nicht zur Seite kippt und untergeht. Für die Stabilität braucht es eine starke Mitte und die fehlt hier zusehends. Die SPD verrät schon lange ihre Prinzipien und auch die CDU unter Angela Merkel ist nur noch ein schwaches Fähnchen im Wind, die nicht den Mut hat, sich gegen die laute Opposition zu stemmen.

Was bleibt denn noch in der Mitte?

Die Deutschen haben eine historisch gewachsene Angst vor dem rechten Flügel, weswegen immer mehr nach links rutschten, um nicht in den Verdacht zu geraten, dass sie zu weit rechts sitzen würden. Logische Konsequenz ist, dass das Schiff in Schieflage gerät und ein paar aus Panik nach rechts springen, damit man nicht kentert. Durch den plötzlichen Schwung entsteht ein Ungleichgewicht, ein gefährliches Schwanken und reflexartig springen einige andere nach links, doch dadurch wird das Schaukeln stärker und bedrohlicher. Ein paar, die vielleicht in der Mitte sitzen bleiben wollten, rutschen versehentlich in eine Richtung, weil der Neigungswinkel plötzlich zu steil wurde, wieder andere werden vom Nebenmann mitgerissen. Am Ende ist egal, zu welcher Seite das Boot gekippt ist oder wie viele auf jeweils welcher Seite standen, denn schon die pure Bewegungsenergie sorgt irgendwann dafür, dass alle gemeinsam untergehen.

Wenn man diesen Prozess überhaupt noch stoppen kann, dann nur, wenn sich viele überwinden und ruhig und kontrolliert aufeinander zugehen, um sich wieder in der Mitte zu treffen. Dafür erkenne ich leider keine Bereitschaft, weder bei den Linken noch bei den Rechten.

Ich selbst habe mich immer als politische Mitte gesehen, doch ja, mir fällt es immer schwerer, irgendwo mein Kreuz zu machen. Die AfD ist für mich unwählbar, weil ich auf ihrer Abschussliste ganz oben stehen würde, aber die anderen "etablierten" Parteien sind für mich auch unwählbar, weil sie offenbar nur noch Politik machen, um sich von der AfD abzugrenzen. Erinnert ein bisschen an die Weimarer Republik, aber nun gut, wann hätte der Mensch jemals aus seinen Fehlern gelernt?

Auch wenn es genauso sinnlos ist wie nicht wählen zu gehen, werde ich diesmal meine Stimme wohl wirklich einer kleinen Splitterpartei schenken, die freuen sich wenigstens noch ehrlich darüber und stehen vermutlich auch noch für das ein, woran sie bei der Gründung geglaubt haben.

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Re: Sascha Lobo über den Umgang mit der AfD

Antwort von Maca am 05.09.2019, 10:12 Uhr

Danke, dass du diese brillante Analyse hier anbringst, auch wenn ich glaube, dass derart reflektierte, differenziert analysierende und höchstintelligente Humanisten wie Sascha Lobo, von einem Großteil der Leser nicht wirklich verstanden werden.


“Erklärungen sind hier keine Entschuldigungen, sondern der Anfang einer notwendigen Analyse.“
Wann sind wir soweit, bis wir das ENDLICH mal schnallen?


“Der machtvolle Gewöhnungseffekt tritt ein, die Normalisierung:“
Ja, und dieser ermöglicht es, dass in zwei Bundesländern eine Partei über 20% Prozent erhält, deren Vorsitzende unmissverständlich zum völkischen Flügel der AfD gehören.
Dessen Ausrichtung wird maßgeblich durch die “Neue Rechte“ geprägt, allen voran durch unseren Strippenzieher im Hintergrund und intellektuellen Wegbereiter Götz Kubitschek.
Was er und seine Weggefährten wollen, konnte man schon wunderbar in “Unsere Zeit wird kommen: im Gespräch mit Karheinz Weißmann“ von 2006 lesen.
Wenn man denn wollte.
Man kann aber auch einfach weiterhin davon ausgehen, dass das total nette und natürlich vollkommen demokratische Bürgerliche wären.

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Re: Sascha Lobo über den Umgang mit der AfD

Antwort von Sille74 am 06.09.2019, 8:46 Uhr

Ich teile vieles, was er schreibt, nicht bzw. nicht so. Womit ich aber zu 100% übereinstimme, ist, dass es nichts hilft, alle AfD-Wähler nun als Nazis zu bezeichnen, ob sie es nun tatsächöich sind oder nicht. Die AfD wurde von diesen Menschen gewählt und das ist das Problem! Ich bin zwar zurückhaltend damit, die AfD als "Nazis" zu bezeichnen - für mich ist das noch eine Verharmlosung der "echten" NSDAP von 1933 bis 1945 -, sehe aber die AfD, ihr Programm und v.a. nicht unerhebliche Teile ihres Personals durchaus nicht als wünschenswerte "Alternative", stimme aber zu 100% mit Lobo überein, dass es unerlässlich ist, zu analysieren, WARUM diese Menschen alle AfD wählen und da anzusetzen.

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Ach!?

Antwort von Sille74 am 06.09.2019, 8:56 Uhr

Kernaussage von Lobo ist es doch, dass der Umgang des GANZEN sonstigen politischen Spektrums mit dem Wahlerfolg der AfD problematisch und wenog hilfreich ist und es v.a. nichts hilft, jetzt alle AfD-Wähler als Nazis zu bezeichnen, ob das nun zutreffend sein mag oder nicht, sondern zu analysieren, WARUM diese Leute alle AfD wählen.

Und Du bist doch die lauteste "alles Nazis Schreierin" (neben Hashty, die man aber, ähnlich wie SassiBabouschkaBlauesWunder*** auf der anderen Seite des Spektrums, nicht ernst wirklich nehmen kann)!

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Re: Sascha Lobo über den Umgang mit der AfD

Antwort von SassiStern am 06.09.2019, 11:41 Uhr

Was gibt es denn da groß zu analysieren?

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