Liebe Frau Neumann,
mein Sohn ist 2,5 Jahre alt. Er isst nichts mit Bröckchen, also auch kein Joghurt, in dem mal ein winziges Obststück mit der Zunge zu erfühlen oder ein Kräuterstück zu sehen ist. Es muss alles komplett durchpüriert sein.
Bis auf Kartoffeln ist er auch kein Gemüse, auch nicht roh, obwohl er als Baby gerne an einer Gurke genagt hat. Bei uns, also abends und am Wochenende, möchte er nur reine Nudeln, Reis, Kartoffeln, hartgekochte Eier oder Fischstäbchen essen.
Angeblich ist es bei der Tagesmutter (insg. 5 Kinder) und bei der Oma gar nicht so schlimm (zum Glück), sprich an vier Tagen die Woche bekommt er sein Gemüse und eine Portion Fleisch (alles aber püriert). Selbst Tomatensoße auf Nudeln isst er dort, das verweigert er bei uns komplett. Wie bekommen wir eine gesündere Ernährung hin? In wenigen Monaten kommt er in den Kindergarten, da gibt es aber nichts Püriertes mehr.
Ich versuche ihn abends in seine Essenswahl einzubeziehen, wenn nämlich etwas auf den Tisch kommt, was er nicht essen möchte, verweigert er das Essen komplett.
Haben wir ihn aus Bequemlichkeit nicht an das richtige Essen gewöhnt? Danke für eine Rückmeldung.
Viele Grüße
von
Pat74
am 11.07.2018, 15:40
Antwort auf:
Nur 5 Lebensmittel
Hallo Pat74
Wenn ein Kind nicht essen möchte, können die Gründe vielfältig sein: Machtkämpfe oder die Forderung nach mehr Aufmerksamkeit können eine Rolle spielen.
Aber manchmal sind auch organische Ursachen wie bspw Schluckstörungen, motorische Unreife, niedriger Muskeltonus, Kiefer/Zähne, Konsistenzakzeptanzprobleme/ picky-eating, chronische Verdauungsprobleme, Nahrungsmittelunverträglichkeiten, extreme Sensibiltät ectetc für extremes Essverhalten ursächlich dafür in Betracht zu ziehen.
Ob und welches Problem evtl in Frage käme, könnte ggf der KiA beurteilen.
darf ich einmal nachfragen ob dein Kind Brot isst? Leider beschreibst du nur die Situation rund um die Mittagsmahlzeit. Wie ist es bei den anderen Mahlzeiten? Und er kann kauen und normal schlucken, oder?
Sofern euer KiA bei deinem Sohn keine organischen Probleme feststellen konnte, die das Schlucken beeinträchtigen*, kannst du jetzt sehr zuversichtlich in die Zukunft blicken.
Auch dein Sohn wird lernen, vielfältiger zu essen. Versprochen.
In manchen Situationen klappt es doch auch durchaus besser als zu Hause. Das ist eine gute Basis, aus der du die Zuversicht schöpfen kannst.
Kinder lernen essen, in dem sie sich an das Essen gewöhnen. Mit diesem Grundsatz kannst du die künftige Ernährung deines Kindes in bessere Bahnen lenken.
Kinder wählen ihre Nahrung nach verschiedenen Kriterien aus.
Je besser sie die angebotenen Speisen kennen, desto größer ist die Bereitschaft, dass sie essen. Das ist auch das Werkzeug der Werbeindustrie. Je häufiger Kinder eine Speise sehen, davon hören, diese optisch präsentiert bekommen, darüber gesprochen wird, je häufiger die Speise auf dem Tisch steht, je häufiger sie bei anderen Personen angeboten wird, je häufiger (d)ein Kind sieht wie diese Speise von anderen Personen genussvoll gegessen wird, je ausgiebiger (d)ein Kind diese Speise auch selbst aktiv und mit allen Sinnen erforschen darf, desto eher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie probiert wird. Nur über das Probieren wiederum kann dein Kind seine eigenen Erfahrungen mit der Speise sammeln. Er muss sie bewerten, was aktiv und passiv geschieht.
Das geht so:
Zunächst werden Speisen optisch bewertet.
Der Geruchssinn kommt ins Spiel - riecht es gut?
Dann wird die Speise mit den Fingern betastet - wie fühlt es sich an? Weich oder hart?
Erst wenn eine Speise diese verschiedenen sensorischen Bewertungskriterien durchlaufen hat, wird (d)ein Kind die Speise in den Mund nehmen. Und auch hier wird er die Speise vielleicht zunächst nur zögerlich an die Lippen führen und abermals bewerten.
Die nächste Stufe ist das Erspüren im Mund. Die Tastrezeptoren im Mund bewerten abermals die Speise. Dann erst kommt der Geschmackssinn dazu.
Du beschreibst bei deinem Sohn eine starke Präferenz für pürierte Speisen und ein ablehnendes Verhalten bei einer stückeligen Konsistenz. Dies akzeptiert er wiederum auch optisch nicht (mehr). In Gesellschaft schafft dein Kleiner es hin und wieder wohl aber doch auch Speisen zu essen, die man kauen muss und/oder eine festere,stückige Konsistenz haben. Es ist dabei wohl davon auszugehen, dass er hier bereits gelernt hat, wie sich diese Speisen im Mund anfühlen.
Hilfreich in diesen Momentan könnte die Situation drum herum gewesen sein. Das Essen in Gemeinschaft (bei der TaMu) hilft sehr stark, die sog. Neophobie (=die Angst, neue Lebensmittel zu essen, zu probieren) zu überwinden.
Wo siehst du die größte Hemmschwelle bei deinem Kind? In welchen Situationen hast du schon beobachten können, wann die Bereitschaft Neues zu probieren besonders hoch?
Was ist das Besondere an diesen Situationen?
Subjektive Einflussfaktoren für dein Kind könnten sein:
die Umgebung (heller großer Raum oder kleine dunkle Küche, Sitzgelegenheit, Stimmung bei Tisch, ...), Emotion (Zwang, Druck, Spaß,...)
Gesellschaft,
Wie wird auf eine Essverweigerung bei der TaMu bzw bei Oma reagiert? Und wie reagierst du?
Eine Verweigerung könnte auch darauf zielen mehr Aufmerksamkeit zu erhalten oder einen beginnenden Machtkampf anzeigen.
Kinder versuchen ihre Grenzen auch am Esstisch auszutesten.
Wenn dein Kind
Es wäre ein Ansatz, dass du in kleinen Schritten vorangehst und mit deinem Kind zusammen in kleinen Schritten neue Speisen erkundest. Gerne gebe ich dir auf Nachfrage konkrete Tipps.
Hier sind nun noch ein paar allgemeine Ansätze zur Verbesserung der Situation am Esstisch:
-Thematisiere niemals die besonderen Eigenheiten und Essvorlieben-bzw Abneigungen deines Kindes und kontrolliere nicht zu viel.
-Kinder gewöhnen sich an viele neue Speisen. Sie brauchen dafür manchmal etwas mehr Zeit und viele Wiederholungen. In der Fachsprache heißt dies: Mere exposure Effect. Je häufiger sie die Gelegenheit haben, die Speise zu sehen, je häufiger wiederholt die Speise am Tisch steht, desto besser die Bekanntheit. Was Kinder kennen, das werden sie eher probieren - und sie müssen es auch dann häufiger aktiv probieren. Das Gefallen wächst mit dem Probieren - vor allem, wenn es zwanglos geschieht und ohne Erwartungsdruck
Man spricht von bis zu ca 10 Kontakten und mehr mit einer neuen Speise, bis sie schließlich und wirklich gut akzeptiert wird. Hier hilft das Minimalprinzip - besser eine klitzekleine Probiermenge - am besten freiwillig - durch Neugier - evtl nicht bei Tisch sondern zwanglos bspw schon am Herd aus dem Topf - als gar nichts. Bspw kannst du neben Nudeln einen Klecks Sosse platzieren oder dein Kind direkt bei dir probieren lassen. Ein erstes Probierstückchen ist ein Anfang. Einfach mal den Finger eintauchen...
Ich arbeite übrigens gerade ein mehreren Rezepten, kombiniert mit einer Geschichte, die Kindern einen Solchen, einfachen und spielerischen Zugang zum Probieren neuer Speisen ermöglicht :)
- "Kategorisches Ablehnen" einer Speise sollte durch ein generelles Probiergebot abgelöst werden.
Finde ein paar Essensregeln, die für euch passen. Bspw könnte eine Regel lauten, dass immer eine klitzekleine Portion probiert werden sollte.
Diese Orientierung könnte deinem Kind helfen, die negative Haltung dem Essen gegenüber umzuformen und ihm eine Chance geben, aus der ablehnenden Haltung herauszufinden. Positiv formulierte Regeln werden ohnehin gut angenommen.
Finde hierfür Regeln. Welche könnten bei euch sinnvoll sein?
Hab also einfach Geduld, esst zusammen, esst vielseitig, habt Spaß beim Essen und biete viele Essanreize - zusätzlich zum Vertrauten. Je mehr euer Sohn bei euch Eltern sieht und authentisch erlebt, was und wie ihr esst, desto mehr und vielseitiger wird auch er langfristig einfach essen (wollen).
Manchmal erweitern Kinder ihren Essens-erlebnis-horizont nur langsam und allmählich - aber es funktioniert. Mit Routine bspw.
Den Zeitpunkt für die Bereitschaft und Akzeptanz bestimmen oft unerwartete Momente und Situationen. Manchmal ist so eine Situation nicht der Esstisch, sondern vielleicht der Spielplatz, bei der Oma, im Urlaub, im Restaurant....
Also dann, bis bald
Grüße
Birgit Neumann
*
Wenn du unsicher bist, solltest du deinen Sohn besser doch (noch) einmal untersuchen lassen.
Ist er motorisch normal entwickelt? Zeigt dein Kind evtl auch in anderen Bereichen irgendwelche Auffälligkeiten?
Braucht dein Sohn evtl etwas mehr (liebevolle) Hilfestellung beim Essen?
Kann er gut selbständig (mit Besteck) essen?
von
Birgit Neumann
am 12.07.2018