Guten Tag Herr Dr. Mellerowicz und Herr Dr. Matussek,
bei meiner Tochter wurde bei der U3 eine Hüftreifungsverzögerung vom Typ IIa festgestellt. Daraufhin wurde uns von einem Orthopäden empfohlen breit zu wickeln. Die Werte wurden nach 6 Wochen erneut kontrolliert und gemäß Arztbrief seien die Werte nur minimal besser geworden. Daraufhin wurde uns ein Jahr breit wickeln empfohlen (siehe Werte weiter unten).
Nach Einholung einer Zweitmeinung am 31.12. wurde festgestellt, dass die Werte leider vom vorigen Orthopäden zu optimistisch gemessen wurden und sie eher den Ergebnissen der U3 entsprechen plus einen Erkerdefekt aufweisen. Somit wurde unserer Tochter mit fast 4,5 Monaten eine Tübinger Hüftschiene verpasst. Wir sollen sie konsequent 24 Stunden tragen (Ausnahmen: Wickeln & Baden, jedoch verzichte ich nun auf das Baden so lange es geht).
Unsere Tochter hat einen starken Bewegungsdrang. Sie strampelt wild, sie dreht sich auf die Seite und hat sich sogar samt Schiene schon auf den Bauch (besser gesagt auf die Knie) gedreht. Sie liebt es auf meinem Schoss zu sitzen oder getragen zu werden. Daher ergeben sich nun einige Fragen, die ich leider mit dem aktuellen Arzt nicht klären kann, da dieser sich im Urlaub befindet. Vielleicht können Sie mir helfen? Ich möchte nichts falsch machen.
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Meine Fragen:
1. Darf mein Baby 2 Stunden pro Tag in einer Babytrage (Manduca XT) mit Schiene getragen werden?
2. Darf mein Baby sich auf den Bauch rollen oder sollte ich es unterbinden?
3. Darf mein Baby die Beine anwinkeln und zum Bauch ziehen (also den Anhockwinkel verkleinern)?
4. Meine Kleine strampelt so wild, dass sie die Schulter herunterzieht und das Bein so stark streckt, dass sie den 90° Winkel verlässt und ihn auf etwa 140° vergrößert. Ist das schädlich? Sollte ich es unterbinden?
5. Mein Baby kann selbst noch nicht sitzen. Sie möchte aber gerne auf meinem Schoss sitzen. Dabei halte ich Ihren Oberkörper fest und stützte sie. Ist das in Ordnung oder eher schädlich?
6. Ist es besser konsequent zu sein und die Schiene möglichst immer zu tragen, oder soll das Baby auch mal die Beine strecken dürfen? Oder schädigt die Streckung z.B. die Erker-Form?
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Vielen lieben Dank für Ihre Zeit und Mühe und entschuldigen Sie bitte diese vielen Fragen. Ich möchte auf keinen Fall etwas falsch machen und es fördern die Hüftschiene möglichst schnell wieder los zu werden :-)
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Messwerte:
U2 (Kinderarzt 1):
Hüfttyp 1b
rechts Alpha 60 / ß 73
links Alpha 62 / ß 73
U3 (Kinderarzt 2):
Hüfttyp 2a
rechts Alpha 55 / ß 57
links Alpha 51 / ß 49
Orthopäde nach 2-monatigem breit wickeln:
Hüfttyp: 1 a
rechts Alpha 65 / ß 34
links Alpha 60 / ß 36
Erker geschweift
=> 1 Jahr lang breit wickeln verordnet und Baby auf der Hüfte tragen
Zweitmeinung Orthopäde
Hüfttyp 2b fast 2c mit Erker-Defekt.
Er sagt die Messungen des anderen Orthopädes sind zu optimistisch. Er sieht kaum eine Veränderung zu den Werten von der U3. Die exakten Werte erhalte ich erst nächste Woche mit dem Arztbrief.
von
Watermelon1
am 04.01.2021, 11:29
Antwort auf:
Tübinger Hüftschiene - Baby mit 4 Monaten und großem Bewegungsdrang
Liebe Eltern, liebe Familie,
Ein komplexes Problem, dass möglicherweise etwas zeitverzögert angegangen worden ist. Zunächsteinmal ist das Abspreizen bei Hüftreifungsverzögerung in der richtigen Art und Weise (Einstellung der Abspreizschiene) für die Hüfte Entwicklung immer gut. Die Tübinger Schiene ist hierzu ein erprobtes Mittel und bei richtiger Anwendung kann sie zum Ziel führen, nämlich Überdachungswerte (sie haben sich ja bereits alle mit geliefert) verbessern. Je älter das Kind wird, desto langsamer sind diese Verbesserungen bemerkbar. Dies bedeutet, dass der Beginn mit der Abspreizbehandlung im Rahmen der U4 und später natürlicher Weise etwas langsamer zu den gewünschten Resultaten führt, als der Beginn zu einem früheren Zeitpunkt. Dies ist nun Geschichte , und nun zu Ihren Fragen:
Erstens: Ja, natürlich. Sie dürfen wir Kind in dieser Babytrage transportieren.
Zweitens: Ja natürlich: Bauchlage mit und ohne Schiene ist erwünscht.
3.: Ja natürlich je mehr Beugung desto besser eigentlich: Die Hüftstreckung ist eigentlich das, was zu vermeiden ist, im Zusammenhang mit Anspreizung zur Mittellinie des Kindes. Diese Bewegungen werden in der typischer Spreizschiene verhindert.
4.: Ihr Kind ist natürlicher Weise lebendig und bewegt sich: Sie sollten das Kind stundenweise aus der Tübinger Schiene einmal herausnehmen, um es nach Belieben strampeln zu lassen. Das ist für das Hüftgelenk und für die Entwicklung des Hüftgelenkes wichtiger, als eine starke Abspreizstellung. Das betrifft auch das Baden: Natürlich sollen Sie die Hüfte Schiene ab machen und ½ Stunde oder Stunde das Kind baden lassen. Auch das ist für die Hüftgelenksbeweglichkeit und die Gesundung einer Reifungsstörung wichtig.
5.: Gehaltenes Sitzen ist unproblematisch und sollte durch Sie durchgeführt werden. Es kann die Hüfte nicht schädigen.
6.: Wenn man sich die Länge eines ganzen Tages vorstellt, sollte natürlicher Weise in 24 Stunden das Kind durchaus 2-3 Stunden außerhalb der Tübinger- Spreizschiene verbringen dürfen. Man darf nicht vergessen, dass es sich hier nicht um eine sogenannte Ausrenk-Hüfte (Luxations- Hüfte) handelt. Natürlich sagen die niedergelassenen Kollegen den Eltern, dass die Schiene unbedingt zu allen Zeiten zu tragen ist: Sie haben dabei die Eltern im Auge, die ihre Kinder dann mehr als 12 Stunden am Tag ohne die Schiene unbeobachtet lassen. Darf nicht vergessen, dass selbst eine gut angelegte Tragetuchstellung am Körper der Mutter den gleichen Effekt hat, wie eine Tübinger Abspreizen Schiene. Nicht jede Mutter ist gewohnt, ein Tragetuch zum Tragen des Kindes am Körper zu nutzen. Hüft-Dysplasien sind in Ländern, wo die Kinder hauptsächlich am Körper der Mutter mit abgespreiztem Hüften getragen werden fast unbekannt.
Und jetzt kommt der Wehrmutstropfen:
Durch den verspäteten Beginn der Behandlung aus welchen Gründen auch immer, wird die Hüften nach Reifung noch eine Zeit dauern, und das überschneidet sich mit dem Bewegungsdrang des Kindes. Muss hier Kompromisse eingehen damit das Kind nicht als sehr leidet. Entsprechend bin ich immer dafür, stundenweise die Tübinger Schiene (1-2-malig noch 3 Stunden am Tag, verteilt auf mehrere Portionen) abzulegen. Und trotzdem kann trotz aller Vorsicht die Hüfte aus welchen Gründen auch immer (angeborene Gründe) nicht so schön reifen, wie wir es gerne hätten. Dies wird sich in 1-2 Wochen bei der nächsten Kontrolluntersuchung im Sonogramm herausstellen. Einem gewissen Punkt müssen wir auch das Naturgegebene akzeptieren: Ich denke, die Abwechslung von langen Tragezeiten mit kürzeren Strempel Episoden ohne Spreizschiene werden kurzweilig er für das Kind sein und zur Zufriedenheit beitragen.
Mit freundlichen Grüßen und besten Wünschen, Ihr Dr. Matussek
von
Dr. J. Matussek
am 05.01.2021
Antwort auf:
Tübinger Hüftschiene - Baby mit 4 Monaten und großem Bewegungsdrang
Vielen herzlichen Dank für Ihre ausführliche Antwort Herr Dr. Matussek!
Ich hoffe so sehr, dass die Hüfte trotz des späten Therapiebeginns noch ausreifen kann.
von
Watermelon1
am 08.01.2021, 17:37