Ab welchem Alter kann man (auditive) Wahrnehmungsstörungen diagnostizieren?

 Kristin Windisch Frage an Kristin Windisch Staatlich anerkannte Ergotherapeutin
Zertifizierte Fachergotherapeutin für Pädiatrie GfpF

Frage: Ab welchem Alter kann man (auditive) Wahrnehmungsstörungen diagnostizieren?

Hallo Frau Windisch, wir hatten heute unser erstes Entwicklungsgespräch bezüglich unseres Sohnes (16 Monate alt). Dabei macht den ErzieherInnen hauptsächlich sein fehlendes Sprachverständnis und sein unvorsichtiges Verhalten Sorgen. Beispielsweise hat er keine Angst, auf Podeste zu klettern und rennt direkt auf Dinge zu, die er haben möchte, ohne auf herumliegende Gegenstände zu achten und fällt dementsprechend oft hin (woraufhin er einfach aufsteht und weiterrent). Außerdem sagt er in der Krippe nur "Ball" und sonst keine anderen Worte (auch nicht "Mama" oder "Papa"). Sie konnten auch nicht feststellen, dass er trotz Hintergrundgeräuschen auf seinen Namen hört, sind sich aber auch nicht sicher, ob er nicht einfach keine Lust hatte. Sie sind aber der Meinung sein Gehör sei gut (beispielsweise liebt er Musik, auch zuhause reagiert er auf leise Geräusche), er lässt sich nur schlecht aus seiner Konzentration bringen und "macht lieber sein eigenes Ding" bzw. "lebt in seiner eigenen Welt" und ist "verträumt". Ich bin eigentlich eher überrascht über diese Evaluation, weil ich seinen Wortschatz und sein Sprachverständnis als wesentlich besser eingeschätzt habe (aber bekanntermaßen überschätzen Eltern ihre Kinder ja auch prinzipiell), beispielsweise sagt er zuhause auch oft "Teddy" oder "Deckel" und noch andere Worte, wenn auch undeutlich. "Mama" und "Papa" hat er auch mal gesagt, tut es aber in letzter Zeit nur noch sehr selten. Dass er nicht auf seinen Namen reagiert, wenn er konzentriert spielt, kann ich aber bestätigen. In den Bereichen emotionale Entwicklung, kognitive Entwicklung, Grobmotorik, Freinmotorik und Spieltätigkeit ist er gut entwickelt, bei Selbständigkeit, Körperpflege und im Sozialverhalten hat er nur kleine Defizite. Spricht das aus Ihrer Sicht für eine Wahrnehmungsstörung? Können wir ihn in diesem Alter schon testen lassen, und wenn ja, wo? Wie können wir die Reaktion auf seinen Namen, das Sprachverständnis allgemein und vorsichtigeres Verhalten noch fördern? Außerdem ist er über Opa und Onkel auch AD(H)S vorbelastet, ist die ungewöhnlich starke Konzentration meines Sohnes vielleicht auch darin begründet? Vielen Dank und viele Grüße blablug

von blablug am 17.02.2021, 21:12



Antwort auf: Ab welchem Alter kann man (auditive) Wahrnehmungsstörungen diagnostizieren?

Hallo, bitte lassen Sie sich von dem Entwicklungsgespräch nicht verunsichern, ihr Kind ist noch so jung! Zum einen geschieht da noch so viel in der Entwicklung, zum anderen ist es auch eine Frage von Temperament und Charackter, inwiefern ein Kind vorsichtig oder eben zielgerichtet und mutiger ist. Natürlich muss man da mit der Unfallgefahr etwas mehr hinterher sein, aber ich würde mir bei einem Kind diesen zarten Alters da noch keine Gedanken in Richtung auffälliger Entwicklung machen oder gar Wahrnehmungstestungen anstreben (für den Altersbereich auch kaum vorhanden, außer vielleicht der TSFI zur Testung der sensorischen Integration). Wenn man hier etwas fördern möchte (und nicht weil es nötig wäre,sondern weil es jedem Kind gut täte), dann kann das in der Körperwahrnehmung geschehen mittels Massagen, Druckreize, abrubbeln,eincremen, körperliche Aktivität, klettern,springen,toben, etc., um sich selbst gut zu spüren,abzugrenzen (wieviel Platz habe ich noch zwischen mir und dem Türrahmen bevor ich dagegen stosse) und wohl zu fühlen. In der Sprachentwicklung kann ihr Sohn in diesem Alter eine einfache kurze Aufforderung (z.B.gib den Ball, zeige den Teddy) verstehen und befolgen und 3 Wörter zusätzlich zu Mama und Papa sprechen (bis spät.21.Monat Zeitfenster) und das ist völlig altersgerecht. In der Kita spicht er vielleicht weniger, weil es so viel zu explorieren, wahrzunehmen und zu verarbeiten gibt, die anderen Kinder laut und beeindruckend sind, da ist es verständlich, wenn er zu Hause mehr und in der Kita weniger spricht. Anregungen zur Sprachentwicklung und -verständnis sind immer mit singen und Bücher (altersgerechte) anschauen/erzählen/entdecken/beschreiben gut bedient und dem gemeinsamen Spiel, das verbal infach begleitet sein darf (ja, da ist ein Auto,...). Ich verstehe ihre Sensibilisierung mit dem Hintergrund der AD(H)S Diagnosen familiär, aber diese Diagnose würde sowieso erst im Schulalter gestellt, da sich davor so vieles in der Entwicklung tut. Hilfreich bei wenig Reaktion auf verbale Ansprache (z.B.beim Name rufen) ist als nächster Schritt dann die Ansprache mit einem Berührungsreiz zu kombinieren,also z.B.Hand auf Schulter legen mit Namensansprache und auf den Blick des Kindes zu warten (es reagiert,ist aufnahmebereit) oder diesen einzufordern und dann erst die Aufforderung zu sagen. Das kann auch als Tip für die Kita kommuniziert werden, ob es dann besser mit der Reaktion klappt. Genießen Sie diesen Altersbereich, die positiven Seiten ihres Kindes und in einem halben bis einem Jahr ist sicher schon viel in der Entwicklung in diesen Bereichen geschehen. Das einzige was sich in nächster Zeit nicht so sehr ändert ist das Temperament, aber das sollte es auch nicht müssen. Alles Gute, Kristin Windisch

von Kristin Windisch am 18.02.2021



Antwort auf: Ab welchem Alter kann man (auditive) Wahrnehmungsstörungen diagnostizieren?

Nachtrag: eine Diagnostik von einer AVWS (auditiven Wahrnehmungsverarbeitungsstörung) ist bei den meisten Pädaudiologen erst Ende 1./Anfang 2.Schuljahr möglich, da die Kinder das Gehörte dann auch aufschreiben sollen und ein Mindestmaß an Konzentrationsspanne und Mitarbeit mitbringen müssen

von Kristin Windisch am 10.03.2021