Frage: Loslösung und Trennungsängste?

Hallo Frau Henkes, unser Sohn wird in paar Tagen 3Jahre und zeigt seit Anfang April verstärkte Trennungängste sobald ich oder mein Mann sich verabschieden. Ein wieder vermehrt klammerndes Verhalten begann schon im Januar. Er traute sich plötzlich nicht in unseren dämmrigen Gang alleine, sagte da ist ein Krokodil (dass er zuvor im Bilderbuch gesehen hat). Ich nahm diese Angst ernst und begleite ihn dann ins Zimmer, nach 2 Tagen sagte er "das freundliche Krokodil kommt mit" und ging alleine wieder los. Ich dachte solche Kinderängste beginnen erst mit 3, nahm es aber als normalen Entwicklungsschritt. Doch ab da wollte er nicht mehr auch nur kurz alleine in einem Zimmer bleiben, sagte dass ich nicht auf die Toilette darf, wollte aber auch nicht mit mir mit. Zuvor im Dezember war mein Mann sehr überarbeitet und zog sich aus der Abendroutine zurück (wickeln, umziehen, Zähneputzen) Im Februar waren wir Erwachsene und die Großeltern (die 3x die Woche da sind und die er seit Geburt kennt) nacheinander für ca. 2 Wochen krank. Im März habe ich auf einer Zugfahrt seinen geliebten Schnuller verloren und wir haben ihn nicht mehr ersetzt, da er sich zuvor schon davon zu lösen begann, ihn in Trostsituationen auch selbst wegwarf. Er vermisste den Schnuller paar Tage, schlief aber ohne durch, erzählte mir die Geschichte paar mal, wie wir ihn verloren haben und hatte einige Ideen dazu ihn wieder zu bekommen: kommt er mit dem Zug wieder zurück? wieder einen kaufen? nochmal in der Jacke schauen, dann ist er wieder da? Es schien uns so weit ok. Ende März begann ich einen Schwimmkurs für mich alleine samstag nachmittags, bei dem ich 3 Studen außer Haus war. Das erste Mal verabschiedete er sich und ließ sich vom Papa ablenken, vermisste mich kurz vor Ankunft. Beim zweiten Mal wollte er nicht dass ich losgehe und weinte, ließ sich im Arm von Papa trösten, das dritte Mal kam er mit Papa mit bis zur Schwimmhalle und spielte auf dem Spielplatz gegenüber für die 1 Stunde, dass war für ihn ok. Dann hatte mein Vater einen Herzinfarkt mit komplizierter Op, es war nicht klar ob er es schafft und ich entschied schweren Herzens zu ihm ins Krankenhaus zu fahren, damit war ich 8 Studen weg. Ich erkärte unserem Sohn, dass ich zum Opa fahre. Er frage mit dem Zug? Er wollte mit. Ich erklärte, dass ich alleine Fahren muss und Papa gut auf ihn aufpasst und sie viel Spaß haben werden. Als es ans Verabschieden ging war es 1 Sekunde ok und dann rannte er weinend zu mir, klammerte sich an mich und war richtig verzeifelt. Es hat sicher 10 Minuten gedauert bis er beim Papa draußen vor unserem Haus an einer Bank blieb und ich mit dem Rad wegfahren konnte. Mein Mann schrieb, dass es ungewöhlich lange dauerte, bis er sich beruhigte, er wollte lange auf der Bank bleiben und der Papa sollte ihn nur fest drücken. Seitdem sind die Abschiede sofort mit weinen und klammern verbunden, nicht nur bei mir, sondern auch wenn der Papa weg geht. Der Papa ist selbstständig und viel da und bringt sich von Anfang an viel ein. Er muss natürlich was arbeiten und hat auch Termine außer Haus. Es ist für uns sehr belastend, dass unser Sohn sich so schwer tut und uns beide zeitgleich haben will, auch wenn wir mit ihm raus wollen. Ich dachte, unser Sohn hätte eine sichere Bindung aufgebaut, doch nach allem was ich hier zu Trennungsängsten und Loslösung gelesen habe kommen mir Zweifel. Ist er doch unsicher ambivalent gebunden und reagiert deshalb so? Wir gehen viel jetzt auf ihn ein, ich versuche Trennungssituationen zu vermeiden, teils geht es leichter, wenn er mit einem von uns losfährt, teils soll der Papa dann mit Joggen und dann ist es ok, wenn wir mit dem Rad schneller sind und er sagt zu sich selbst, aber der Papa ist nachher wieder da. Nachkommen ist teils eine Möglichkeit, ihm den Abschied zu erleichtern, doch teils klammer er wieder und mein Mann geht dazu über sich schon wegzuschleichen. Unser Sohn fragt dann nach einer Weile, wo der Papa ist, ich sage dann dass er kurz einen Termin hat und bald wieder oder später wieder da ist, je nach Dauer. Das ist für ihn dann ok, wobei er auch schon mal dann früher vom Spielplatz Heim will zum Papa. Unser Sohn ließ sich früher vom Papa trösten und wickeln, auch wenn er oft mich noch bevorzugte. Zu Bett bringen musste ich ihn immer. Seit Januar ist es so dass er wieder alles von Mama wollte, der Papa aber auch mit ins Bett kommen soll beim Zubett bringen, was wir auch machen so oft es geht. Nach der Trennungsangstsituation im April waren wir 2x für 1 Woche im Urlaub mit ihm, das tat ihm gut, ich versuchte möglichst oft ihn auch nur mit Papa spielen zu lassen und sagte, dass ich nachkomme. Das klappte gut. Er hat die ersten 2 Nächte aber sein Zuhause vermisst zum Schlafen. Das war bei früheren Urlauben nicht so. Ich versuche die Loslösung von mir zu unterstützen und seit 2 Wochen darf der Papa wieder wickeln, beim Trösten fragt er noch oft nach mir. Der Papa ist für ihn eigentlich auch seit Februar immer attraktiver geworden, teils schickt er mich aus dem Zimmer, wenn er mit Papa spielt, umgekehrt jedoch auch. Igendwie kommt mir sein Verhalten sehr ambivalent vor, als ob er mitten in der Loslösung von mir, verstärkten Bindung an den Papa wäre und dann aber noch diese Trennungsängste hat. Wir fragen uns auch ob diese Ängste mit dem Verlust des Schnullers zu tun haben können? Von der Oma kann er sich leichter, oft auch problemlos verabschieden, Oma soll auch wickeln, wenn sie da ist, Mama schickt er dann weg. Heute durfte Oma sogar trösten. Als ich kurz danach ins Zimmer kam, schickte unser Sohn mich schreiend weg. Wie können wir unserem Sohn die Trennungsängste nehmen? Wie sich konkret Verabschieden: kurz, mit Ankündigung, mit Vorbereitung, wegschleichen?? Nächte Woche habe ich 2 Tage ein Selbsterfahrungsseminar und bin jeweils 10 Stunden außer Haus. Ich will nicht, dass sich seine Angst verfestigt, soll ich das absagen und damit meine Ausbildung abbrechen? oder kann ich ihm das zumuten, wenn er mit Papa und Oma Zuhause ist? die Woche drauf haben wir die Möglichkeit im Kindergarten mit sanfter Eingewöhnung zu beginnen, da ein Platz vor September frei geworden ist. Wir denken, dass es jetzt entspannter ist, wenn nur er in der Gruppe eingewöhnt wird. Leider können wir im Moment noch nicht einschätzen, ob er mit dem Papa zum Kindergarten ohne mich losgehen würde, wenn dann würde ich denken, dass ihm die Eingewöhnung mit Papa leichter fallen würde. Was denken Sie dazu? Hintergrund: sehr lange Geburt mit Saugglocke nach atemaussetzern beim Kind, sowohl ich als auch unser Sohn danach sehr erschöpft, hat nicht richtig getrunken, wurde erst spät bemerkt, Milchpumpe zur Milchanregung bei mir erst ab dem 6 Tag, Stillen klappe nicht mehr, habe abgepumpt und mit Flasche gefüttert, Dreimonatskolliken ab der 13 Woche wie weggezaubert, bis zum 10 Monat etwas Reflux, wurde aber nicht weiter untersucht, heftiges Zahnen lange, wurde viel getragen, Familienbett, bemühen uns um bedürfnisorientierten Umgang, wobei dies meinem Mann zu Beginn sehr schwer viel und es auch mit der Oma viele Disskussionen gab diesbezüglich. Bisher in keiner Fremdbetreuung, in Gruppen (Musikgarten), die wir erst seit Februar wieder besuchen konnten (Corona), weicht er nicht von meiner Seite, wirkt sehr aufmerksam und interessiert, weigert sich aber mitzumachen und will auch nicht dass ich bei Bewegungslieder z.B. mitmache. Sehr gute sprachliche und feinmotorische Entwicklung.  Vielen Dank für eine Antwort insbesondere was das Verabschieden angeht.  Liebe Grüße!

von Morgenrot97 am 26.05.2022, 17:40



Antwort auf: Loslösung und Trennungsängste?

Guten Tag, das Verhalten Ihres Sohnes ist nicht ungewöhnlich und kein Anzeichen für eine unsichere Bindung. Die Loslösung dient zunächst der allmählich größer werdenden Autonomie des Kindes und dem Lösen aus der engen Abhängigkeit von der Mutter während der ersten Lebensjahre. Allmählich spüren die Kinder dadurch aber auch, dass nicht nur sie sich jetzt von der Mutter entfernen können, sondern dass auch die Mutter sich entfernen kann. Das löst vorübergehende Trennungsängste aus. Sie zeigen sich durch ein wieder verstärktes Bedürfnis nach Nähe zur Mutter. Für Ihren Sohn ist es sehr hilfreich, dass Sie auf dieses Bedürfnis eingehen und seine Ängste berücksichtigen, auch wenn das manchmal sehr anstrengend ist. Es hilft ihm die Objektkonstanz zu festigen, die Sie für ihn zu einem dauerhaften Objekt macht, auch wenn Sie nicht anwesend sind. Die besonders heftige Trennungsangst im Zusammenhang mit Ihrer Zugfahrt lässt sich vermutlich dadurch erklären, dass Ihr Sohn durch den Verlust des (wichtigen) Schnullers im Zug unbewusst befürchtet hat, auch Sie könnten im Zug verloren gehen, wenn er nicht bei Ihnen ist, um auf Sie aufzupassen. Dass Sie wiedergekommen sind, ist eine wichtige Erfahrung für Ihren Sohn. Das lässt ihn Trennungen zunehmend besser ertragen. Ich halte es für sinnvoll, sich von einem Kind zu verabschieden, wenn man weggeht, auch wenn das zu vorübergehender Unruhe führt. Wenn man sich wegschleicht, bedeutet das für ein Kind, dass es unvermutet alleingelassen werden kann. Es ist viel ängstigender für ein Kind, wenn es jederzeit mit dem Verlassenwerden rechnen muss. Durch das bewusste Verabschieden entsteht für das Kind zwar eine Zäsur, die kurz Trennungsangst auslösen kann, aber das Ganze ist nicht so bedrohlich wie die permanente unbewusste Angst, eine Bezugsperson könne verschwinden. Da Sie und Ihr Mann beide eine gute Beziehung zu Ihrem Sohn haben, kann Ihr Sohn zunehmend lernen, dass es für seine Sicherheit ausreichend ist, wenn einer der Eltern bei ihm ist. In den Forderungen nach dauerhafter Anwesenheit beider Eltern kann sich auch schon ein altersgerechtes Machtbedürfnis zeigen. Dass ist zwar an sich in Ordnung, sollte einem Dreijährigen aber nicht die Macht gewähren, dauerhaft beide Eltern zu kontrollieren. Ich wünsche Ihnen alles Gute. Ingrid Henkes

von Ingrid Henkes am 27.05.2022



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