Nachfrage zum Thema nicht raus wollen

Dr. med. Ludger Nohr Frage an Dr. med. Ludger Nohr Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie

Frage: Nachfrage zum Thema nicht raus wollen

Sehr geehrter Herr Dr. Nohr, vielen Dank für Ihre Antwort auf meine Dienstagsfrage zu meinem kleinen "Stubenhocker", der es dann doch vielleicht noch irgendwann an den Pazifik schafft :-) Ihre Antwort gibt mir Sicherheit, dass ich ihm nicht schade bzw. ihn übergehe, wenn ich dennoch aufs Rausgehen bestehe. Was mich aber jetzt beschäftigt, ist, ob diese Drohung ("dann geh ich allein"), die ich ja leider auch schon 2 Mal mehr im Affekt genutzt habe, unserer Beziehung geschadet haben könnte? "Liebevolle Klarheit" klingt immer so einfach, aber im Alltag lässt man sich vom eigenen Ärger doch mal zu blöden Reaktionen hinreißen. So auch, wenn er das Wickeln verweigert und ich ihn dann auch schon mal habe ärgerlich stehen lassen... Wir lachen viel und insgesamt bin ich recht locker im Umgang mit ihm. Liebevolle Grenzsetzung usw. Aber es gibt eben auch mal die ungehaltenen Reaktionen (u.a. oben genanntes und etwas lauter werden). Wenn er sauer ist, dann wirft er mal kurz etwas durch die Gegend oder geht minimal und kurz körperlich gegen mich vor, schaut aber gleich wie ich reagiere (ich validiere nur seinen Ärger, wenn es nicht zu arg ist) und er will dann aber stillen oder kuscheln. Ein von mir weggehen, mich dann wegstoßen usw. kenne ich so gar nicht. Ist das ungewöhnlich? Hat er Angst meine Liebe zu verlieren? Habe ich da schon zu viel falsch gemacht? Vielen Dank!

von pacificocean am 15.11.2018, 15:04



Antwort auf: Nachfrage zum Thema nicht raus wollen

Hallo, im Gegensatz zu vielen Fragen bin ich der Ansicht, dass Störungen sowohl für die Entwicklung als auch für die Bindung meist förderlich sind. Die Erfahrung von verschiedenen Distanzen ist, auf dem Boden eines Urvertrauens, wesentlich. Und wir Menschen sind fehlbar, emotional, haben Grenzen usw.. Meine Erfahrung als Therapeut und Vater ist, dass distanzierende Reaktionen nicht übel genommen werden, wenn eine ehrliche Haltung spürbar ist. Weder gespielte Freude, noch gespielter Ärger sind da hilfreich. Einzelreaktionen sind also keine Gefahr, wenn sie in einer zugewandten und ehrlichen Haltung passieren. Und "liebevolle Klarheit" ist ein Idealbild, das uns eine Richtung zeigt, aber keine Bewertungsskala. Trauen Sie wieder mehr Ihrem Gefühl als Büchern, seien Sie eine "hinreichend gute Mutter" und geniessen Sie die gemeinsame Entwicklung. Ich wünsche Ihnen viel Freude dabei. Wir sehen uns am Pazifik. Dr.Ludger Nohr

von Dr. med. Ludger Nohr am 16.11.2018



Antwort auf: Nachfrage zum Thema nicht raus wollen

Irgendwie betrübt mich diese Unsicherheit von uns Müttern, die aus vielen der Anfragen hier spricht. Als würden wir uns ständig monitoren müssen, immer gewappnet, uns "richtig" zu verhalten, damit wir unserem Kind nicht schaden. Das ist doch eigentlich ganz fürchterlich. Es wäre so schön, wenn wir einfach "sein" könnten, ohne diesen dicken Denkapparat im Kopf, der ständig aufpasst - könnte das, was ich jetzt tue (wie ich jetzt bin) vielleicht meinem Kind schaden oder geschadet haben? Nein! Ganz gewiss schadet es dem Kind nicht, wenn wir sind, wer wir sind und uns verhalten, wie es zu uns passt. Schaden würde es, wenn wir unser Kind einfach allein zu Hause ließen, allein schreien ließen, es aktiv beschämend würden, es nicht schützen würden, wenn es dabei ist, etwas Gefährliches zu tun. Wenn wir es schlagen würden oder verbale Gewalt antäten... Das, was Du berichtest, klingt nach einer liebevollen, etwas zu sehr bemühten Mutter, die "sein" darf, ohne ihren inneren Kontrollapparat ständig auf "Alarm" gestellt haben zu müssen, um ja nichts falsch zu machen. Du bist eine ganz liebevolle Mama, die ihrem Kind auch Gefühle zeigt, die auch mal genervt ist, die auch mal was nicht will oder mal nicht perfekt gelaunt mit dem ewig seligen Lächeln im Gesicht, authentisch eben. Ein ganz normaler Mensch. Ist doch toll! Mehr kann Dein Kind sich gar nicht wünschen!!! Sei so, bleib so und GENIEßE Dein Kind, diese zauberhafte Zeit! Sie ist so kurz und kehrt nie wieder! Dein Kind wird damit wunderbar gedeihen und sich wohl fühlen. Es wird lernen, dass Menschen auch mal aufbrausen, dass sie auch mal genervt sind, dass sie auch mal keine Lust zu was haben und dass es ggf. auch mal warten oder auf etwas verzichten muss, weil das gerade nicht dran ist oder nicht geht. Es wird lernen, dass es selbst auch Gefühle zeigen darf, dass das ok. ist. Super, oder? Ich wünsche Euch ganz viel kuschelige Zeit, eine spannende Reise auf den Weg miteinander!

von Schniesenase am 15.11.2018, 19:38



Antwort auf: Nachfrage zum Thema nicht raus wollen

Hallo Schniesenase, danke für deine wohlgemeinten Worte... Ich verstehe gut was du meinst und sicher kann ich in meinen Selbstbewertungen freundlicher mit mir sein. Ich habe mich viel damit auseinandergesetzt, was für eine Mutter ich für mein Kind sein will und was seiner Entwicklung gut tut. Umso mehr fallen mir meine "Ausreißer" ins Auge. Nach einer blöden Reaktion meinerseits geht mir nur sehr oft durch den Kopf wie sich mein Kind gefühlt haben muss. Wieviel Angst hat er empfunden als ich leichtsinnigerweise so eine Drohung in den Raum geworfen habe... Ja, und wichtig ist mir eben, dass er mir seine Gefühle offen zeigt und genau an dem Punkt zweifel ich eben ob er dies tut. Ist sein gleich anhängliches Verhalten trotz Ärger seinerseits eben ein authentischer Gefühlsausdruck oder eben schon Resultat aus der Angst vor Verlust meiner Zuneigung. Hilfreich wäre hier für mich zu wissen, dass auch dieses Verhalten völlig im Rahmen sein kann. Vielen Dank dir!

von pacificocean am 15.11.2018, 21:46