Hallo Dr. Nohr, mein 22 Monate alter Sohn ist an zwei Tagen die Woche von 7 bis 17 Uhr bei seinem Papa. Früher hat ihn mein Ex von zu Hause abgeholt, das war dann aber mit Weinen und Verzweiflung verbunden. Seit etwa 3 Monaten bringe ich ihn in der Früh zu seinem Papa und hole ihn am Nachmittag - und wir lassen uns Zeit für die Übergabe, bis unser Sohn bereit ist. Am Anfang war die Verabschiedung von mir noch tränenreich, aber mittlerweile dreht er sich rasch um, winkt mir und sagt "Tschüß Mama" - und weg ist er zum Spielen. Seit kurzem ist das Abholen aber ein Problem. Normalerweise treffen wir uns im Park vor seiner Wohnung und er kann in Ruhe fertig spielen und sein Vater verabschiedet sich langsam. Plötzlich tendiert er aber dazu, in Tränen auszubrechen, wenn er mich sieht. Heute war es ganz schlimm, da hat er sich auf den Boden geworfen und immer wieder gesagt "Nein Mama noch nicht". Ich durfte ihn nicht angreifen, er war scheinbar ganz verzweifelt. Mir würde es helfen, die psychischen Mechanismen in der Situation zu verstehen und zu wissen, wie ich es ihm leichter machen kann. Danke für Ihren Rat!
von
Samsara
am 20.08.2020, 20:30
Antwort auf:
Abholen nach Besuchstag
Hallo,
ich glaube es ist recht einfach zu erklären. Ihr Sohn realisiert zunehmend, dass Kontakt zu den Eltern ein entweder-oder ist (vorher erlebte er es vielleicht sogar als Gewinn, weil der Vater sich mehr Zeit für ihn nahm als in der Familie). Da der Vater der seltenere Kontakt ist, ist hier die Sorge größer, ob er wichtig genug ist, den Vater wiedersieht usw.. Und er versucht die Situation des Dreierkontakts zu verlängern.
Natürlich ist es gut, dass die Kinder Kontakt zu beiden (getrennten) Eltern behalten. Aber es bedeutet auch, dass es immer wieder Trennungserfahrung gibt, die sich je nach Alter unterschiedlich äußert. Das Problem ist für sich entwickelnde Kinder nicht einfach mal gelöst, weil diese Trennungen in jedem Alter eine andere Bedeutung und Gewicht haben. Auch 15j. leiden noch oft unter den wechsenden Kontakten, auch wenn sie es rational verstanden haben.
Es ist nicht einfach diese Situation passend zu behandeln. Wenn Sie die gemeinsame Situation verlängern, könnte die Idee entstehen, die Eltern wieder zu vereinen. Trotzdem sollte man sich etwas Zeit lassen, die Übergabe nicht wie ein zerstrittenes Paar, sondern wie gemeinsame Eltern gestalten. Aber es bleibt für das Kind der stetige Verlust eines Elternteils und das tut weh. Versuchen Sie den Schmerz auch anzunehmen, zumindest ihn zu akzeptieren, aufheben können Sie ihn erstmal nicht. Ein Ziel könnte sein, dass Ihr Kind sich beider genug sicher wird und auch das Positive der Situation (evtl. bessere Stimmung und weniger Auseinandersetzung) spüren kann.
Dr.Ludger Nohr
von
Dr. med. Ludger Nohr
am 21.08.2020