Sehr geehrte Frau Ubbens, ich bin Mutter zweier Kinder (3 und 5,5). Mein Sohn war schon immer ein auffällig lebhaftes Kind, wenn er in unbekannten Situationen oder größeren Gruppen war. Er ist dann oft wild, rennt rum, ist nicht zugänglich und schwer "runterzubekommen". Ich habe sehr lange gehofft, dass sich dies auswächst und einfach Überforderung ist. Tatsächlich ist es ja auch immer besser geworden und zu Hause haben wir keine großen Probleme. Ich fasse ihn in solchen Situationen an, gehe auf Augenhöhe und leite eine ruhige Beschäftigung an. Am Anfang dachte ich oft, dass er vielleicht irgendwann die Diagnose ADHS bekommen wird. Aber er hört sehr konzentriert und lange zu beim Vorlesen, spielt Gesellschaftsspiele, hört sehr gerne Hörbücher und malt neuerdings auch gerne oder macht Rätsel/Vorschulübungen. Er kann in der Kirche oder im Theater lange still sitzen und aufmerksam Zuhören. Leider ist es aber im Kindergarten scheinbar nicht so. Vor einem halben Jahr hatten wir ein Elterngespräch, welches ganz schlecht lief und eine Abmahnung der zuständigen Erzieherin zur Folge hatte. (Diagnosestellung, Kompetenzüberschreitung, 3:1 Verhältnis, Weitergabe von persönliches Informationen). Danach gab es ein Gespräch mit der Leitung, in dem einige Defizite unseres Sohnes angesprochen wurden. Das waren vor allem Konzentrationsprobleme und Probleme im Verhalten wie das Wegrennen, Lachen in unangemessenen Situationen typische Übersprungshandlungen etc. Zu Hause ist er sehr konzentriert. Er ist sehr wissbegierig, konnte mit 1,5 Farben, mit 3 Zahlen erkennen, mit 4 Buchstaben und bis 100 zählen. Heute zählt er weit über 100, rechnet sicher im 10er Bereich und fast sicher Aufgaben wie 8+4. Er interessiert sich immer sehr stark für einige Bereiche und steigert sich da fast rein. Er kennt dann z.B. 40 Dinosaurierarten, bei vielen Größe, Gewicht und in welcher Zeit (Jura, Trias, Kreide, Oberkreide etc.) sie gelebt haben. Er kennt sich mit Vulkanen aus, kennt die verschiedenen Erdschichten und kennt die verschiedenen Planeten. Jetzt interessiert er sich für Haie. Auch da wieder sehr intensiv. Er geht zum Turnen und ist dort unauffällig, aber mal träumerisch. Er geht gerne zu den Pfadfindern und ist gern draußen (geht auch in einen Waldkindergarten). Ich habe die Probleme im Kiga bei der U9 angesprochen, der Kinderarzt war entspannt und meinte man könne auf weitere Maßnahmen verzichtet, weil mein Sohn sich auch beim Arzt konzentriert zeigte, Aufgaben umsetzte etc. Wir vereinbarten einen Kontrolltermin nach sechs Monaten. Ich war wieder relativ beruhigt, auch wenn es nach wie vor Situationen gab, die ich auffällig fand z.B bei Besuch, bei Terminen zu den ich ihn mitnahm wie Friseur etc. Da war er nach wie vor oft unruhig und war für meine Bitten oder Ermahnungen nicht empfänglich. Vorgestern hatte ich den Kontrolltermin beim Arzt. Der Arzt ist der Meinung unser Sohn sei eben auch vom Charakter lebhaft, aber durchaus fähig zur Konzentrationen, sei intelligent und empfänglich für Aufgaben etc. Ich war nach dem Arzttermin sehr bestärkt und entspannt, was die anstehende Einschulung in einem Jahr betrifft. Nun kam gestern die Erzieherin auf mich zu, sie hätten dringend Gesprächsbedarf, es würde grade keine Verbindung zu meinem Sohn bestehen, er sei unempfänglich und höre nicht. Ich weiß einfach nicht mehr weiter. Nach dem sehr unglücklichen Elterngespräch bin ich leider auch automatisch abwehrend neuen Gesprächen gegenüber, obwohl ich weiß, dass dies meinem Sohn und mir nicht weiter hilft. Ich sehe ja auch die Probleme und will meinen Sohn auch nicht ausnehmen. Trotzdem habe ich das Gefühl mein Sohn wird auf seine Defizite beschränkt, in seinen Interessen nicht abgeholt und in seinen positiven Eigenschaften nicht bestärkt. Ich kann es mir einfach nicht erklären, dass die genannten Probleme im Kindergarten scheinbar so massiv auftreten. Ich habe ihn dann auch selbst darauf angesprochen, ob es Probleme im Kiga gibt und wie er sich fühlt. Er geht sowieso in letzter Zeit nicht gerne in den Kindergarten. Er fühlt sich von den Anführern der Jungsgruppe dazu angestiftet Grenzen zu überschreiten durch typische "Du bist sonst nicht mehr mein Freund", "Du gehörst nicht mehr in mein Team". Er beschreibt, dass besonders eine Erzieherin ihn immer anschreit und er immer Ärger bekommt. Das ist natürlich sehr subjektiv und Selbstreflexion auch nur eingeschränkt erwartbar. Trotzdem erlebe ich eine gewisse Gruppendynamik in dem Kiga, die scheinbar schwer zu durchbrechen ist. Das merkt man auch daran, dass er mit Kindern von außerhalb des Kigas schön und ruhig spielt, während Spielverabredungen mit Kindern aus dem Kiga destruktiv und wild sind. Ich möchte ihn bestärken, aber auch klar machen, dass er sich an Regeln halten muss und Grenzen einhalten. Wir haben zu Hause mal einen Wochenplan gemacht, allerdings haben wir ja in der Regel die Probleme nicht zu Hause. Und ich möchte auch nicht in die Rolle fallen, jeden Tag sein Verhalten zu bewerten. Ich denke der Kiga wird nun Frühförderung oder Ergo ansprechen. Ich möchte meinem Sohn nicht im Wege stehen und ihn bestmöglich unterstützen. Trotzdem fällt es mir schwer diesen Schritt zu gehen, weil ich ihn einfach anders erlebe und kenne. Er äußert jetzt stark den Wunsch den Kindergarten zu wechseln (seine Schwester haben wir nach dem missratenenden Elterngespräch in einen anderen Kiga angemeldet, dort möchte er jetzt auch hin). Aber ist ein Kiga-Wechsel so kurz vor der Einschulung wirklich eine Alternative? Zumal der Waldkindergarten natürlich sehr besonders ist. Wir dachten dort hätte er wenig Reize und die Möglichkeit sich auszutoben. Oft habe ich aber das Gefühl, dass es dies nur verschlimmert und er klare Strukturen braucht. Der andere Kiga ist ein Waldorfkindergarten. Dieser würde ihm natürlich einen klaren Rahmen bieten und so auch mehr Sicherheit, denn scheinbar ist er in unsicheren Situationen einfach überfordert. Allerdings hätte er ja wieder das Problem sich neu einfinden zu müssen und wäre vielleicht eher noch stärker überfordert? Sollten wir den Ursachen seines Verhaltens näher auf den Grund gehen oder haben wir die Chance, dass er bis zur Schule noch einen gewaltigen Schub macht? Halten Sie Frühförderung oder Ergotherapie für sinnvolle Maßnahmen? Ich muss dazu sagen, dass wir innerhalb der Familie über gute Ressourcen verfügen, meinen Sohn zu stärken und zu fördern. Er ist gerne bei seinen Großeltern, ich beschäftige mich viel mit ihm (lesen, Gesellschaftsspiele, Freispiel, kreative Aktivitäten, Experimente). Ich sehe für mich also die Probleme leicht händelbar, habe aber Angst wie es in der Schule sein wird und was es mit ihm macht, wenn er mit seinem Verhalten so aneckt und seine vielen positiven Seiten gar nicht zeigen kann, weil irgendwas ihn hindert). In unser direkten Umgebung sind zwei Schulen. Die eine ist groß (100 Kinder pro Jahrgang) und geht von 7.30 Uhr bis 14.30 Uhr. Hausaufgaben werden dort gemacht. Die andere ist klein und geht nur bis 12.15. Hausaufgaben müssten zu Hause erledigt werden. Ich schreibe grade meine Masterarbeit und habe dementsprechend bald den Berufseinstieg vor mir. Deshalb habe ich bisher zur gebundenen Ganztagsschule tendiert. Diese bietet natürlich auch Ruhepausen. Trotzdem zweifel ich jetzt stark, weil ich glaube, dass es für meinen Sohn einfach zu viel und zu lang wäre wöchentlich 34 Stunden in der Schule zu verbringen. Ich glaube er wird in der Gruppe auch in Ruhepausen schwer zur Ruhe kommen.Wie schätzen Sie das ein? Eine weitere Möglichkeit wäre eine demokratische freie Schule. Oh je das war jetzt sehr viel Text. Vielen Dank für Ihre Arbeit im Rahmen des Forums uns viele Grüße Marie
von marie90 am 09.09.2019, 09:53