Kind (4 Jahre) kann sich nicht entscheiden

Dipl.-Soz.päd Sylvia Ubbens Frage an Dipl.-Soz.päd Sylvia Ubbens Diplom Sozialpädagogin

Frage: Kind (4 Jahre) kann sich nicht entscheiden

Hallo! Ich habe lange überlegt, ob ich mich hier in dem Forum an Sie wende, weil es ja doch sehr öffentlich ist. Aber ich weiß nicht mehr weiter, wir sind einfach verzweifelt mittlerweile. Unser Kind (Junge, 4 Jahre) befindet sich seit ca. 2 Jahren in mehr oder weniger schlimmen bzw. akuten Trotzphasen. Zwischendurch gibt es kurze, gute Phasen, so dass ich kurz vor Weihnachten der Meinung war, wir hätten es endlich überstanden. Seit dem 2. Weihnachtsfeiertag kamen die Bockanfälle so heftig wie nie zurück. Ich hatte mehrere Nervenzusammenbrüche zu Hause, war sogar krank geschrieben und überlege eigentlich, mir professionelle Hilfe zu holen. Aber Wartezeiten für Psychologen oder Beratungsstellen sind lang. Das Problem: unser Kind kann sich nicht entscheiden, egal worum es geht und er möchte alles allein machen. Innerhalb eines Satzes entscheidet er sich mehrmals um. Und ehe man sich versieht, befindet man sich in einem Teufelskreis. Das fängt an beim Nachhausekommen, er möchte, dass wir ihn ausziehen. Geht man zu ihm und fängt an, die Jacke aufzumachen, wird er wütend, dreht sich weg und will es allein machen. Geht man dann, rennt er hinterher und schreit. So geht das weiter: mit dem Katzen füttern (z. T. füttert er sie schon, merkt dann, dass er es eigentlich doch nicht wollte und kippt die Näpfe wieder aus), dem Nase putzen, dem Tisch decken usw. Er führt dabei z. T. Selbstgespräche, in denen er sich immer wieder widerspricht. Im Haushalt will er alles allein machen, v.a. beim Tisch decken. Dabei bummelt er aber extrem rum. Wenn ich ihm sage, er darf gemeinsam mit uns den Tisch decken, passt es ihm nicht. Zum Teil fängt er an, die Sachen wieder in den Kühlschrank zu räumen, um sie dann wieder selbst hervor zu holen. Dies alles steigert sich so sehr, dass er schon mehrmals allein essen musste, dass Türen zugeschmissen werden, Spielsachen die Treppe runter geworfen werden und dass gehauen und geschrien wird. Von beiden Seiten. Wir können einfach nicht mehr. Dabei tut mir mein Kind in erster Linie Leid. Er steckt in einem Teufelskreis, aus dem er selbst nicht heraus kommt. Es gibt Tage, da gibt es keine freundliche Minute. Gestern abend war erst um 22 Uhr Ruhe. Meistens ist er halt dabei auch übermüdet, gibt dies auch zu, kann aber nicht zur Ruhe kommen. Ich habe bereits versucht, seine allererste Entscheidung durchzusetzen. Dies ist aber z. T. gar nicht möglich, weil einfach die Zeit fehlt. Außerdem ist man, wie bereits geschrieben, in diesem Teufelskreis gefangen, bevor man es richtig bemerkt hat. Ich habe eine Belohnungstafel (für lieb anziehen, Tisch decken etc. gibt es einen kleinen Punkt und wenn er ein paar Punkte gesammelt hat, kriegt er eine Belohung) eingeführt. Die bringt aber nicht viel. Zu uns Eltern noch kurz: unser Kind ist ein absolutes Wunschkind (wir hätten auch gern noch eins), wir sind beide berufstätig, Vollzeit. Zur Zeit ist mein Mann nur alle 14 Tage am Wochenende zu Hause. Wir haben ein Haus und 3 Katzen. Es bleibt also leider nicht viel Zeit für ein ausgiebiges Familienleben. Woanders ist mein Kind der Sonnenschein. Ich kann mich nicht beklagen. Im Kindergarten, bei den Großeltern, überall. Auch in typischen anderen Situationen (Supermarkt etc.) ist er lieb. Nur zu Hause dreht er auf. Man kommt sich schon unglaubwürdig vor, wenn man das woanders erzählt, z. T. lachen die Leute auch, weil es lustig klingt. Ich bin aber am Ende. Dieser lange Text tut mir Leid, ich hoffe, Sie finden ein paar helfende Worte. Vielen lieben Dank schon einmal, Milchmaus

von Milchmaus2011 am 28.01.2015, 09:34



Antwort auf: Kind (4 Jahre) kann sich nicht entscheiden

Liebe Milchmaus, meine Vorrednerinnen haben schon sehr ausführlich und sehr richtig geantwortet. Nehmen Sie die Anregungen an und Sie werden schon nach wenigen Tagen Veränderungen spüren. Überlegen Sie, wie Sie sich bestimmte Dinge, wie z.B. Jacke ausziehen wünschen. Soll Ihr Sohn diese nach dem Nachhausekommen alleine ausziehen, dann sagen Sie es ihm freundlich, klar und deutlich. Knicken Sie nicht ein, wenn er meutert und lassen sich auf keine Diskussion ein. Stellen Sie nur fest, dass Sie schon in die Küche gehen und er nachkommen kann, wenn er die Jacke ausgezogen und aufgehängt hat. Nach wenigen Tagen wird er es ohne Gegenwehr tun. Gleiches gilt für alle anderen Dinge des täglichen Zusammenlebens auch. Ihr Sohn hat zuviele Entscheidungsmöglichkeiten. Diese hindern ihn, klare Entscheidungen zu treffen. Legen Sie eine Struktur fest, an der Sie sich beide langhangeln können. Viele Grüße Sylvia

von Sylvia Ubbens am 29.01.2015



Antwort auf: Kind (4 Jahre) kann sich nicht entscheiden

Hallo, ich wollte auch gern etwas dazu sagen, wenn ich darf. Also, Du hast sehr hohe Erwartungen an die geistige Reife eines Vierjährigen. Viel ZU hohe Erwartungen. Das unentschlossene Verhalten Deines Sohnes ist altersgemäß und normal. Das Problem scheint vielmehr zu sein, dass er von Dir zu wenig Leitung und Führung erhält. Du musst auf seine Launen und seine Unentschlossenheiten nicht ständig eingehen, sondern Du musst ihm Halt und Orientierung bieten. Wenn zum Beispiel zu Hause die Jacke ausgezogen werden muss, dann wird sie ausgezogen. Das ist nicht diskussionswürdig. Dabei muss man auch keinen Grundsatzstreit mit dem Kind anfangen, man fasst einfach die Jacke und zieht sie gemeinsam mit dem Kind aus. Ob Dein Sohn dabei dann ein bisschen motzt oder nicht, ist gar nicht wichtig, das darfst Du einfach überhören. Da Du sehr auf die Launen Deines Sohnes eingehst, wirkst Du vermutlich auf ihn sehr unsicher. Und dies verunsichert auch ihn, wodurch seine Stimmungsschwankungen und sein ständiges Umschwenken verstärkt werden. Du bist aber der Boss, nicht er. Du musst Deine Führungsrolle als Mutter wahrnehmen, darauf hat Dein Sohn ein Recht. Er wäre schwer damit überfordert, wenn ER Alltagsdinge entscheiden muss. Trau' Dich, Dich durchzusetzen! Es ist nicht schlimm, wenn er dann protestiert - das muss er sogar, denn er ist ja im sog. Selbständigkeitsalter. Sein Protest ist nicht schädlich für ihn, und Du darfst Dich dann trotzdem durchsetzen. Eigene Entscheidungen darf er in kleinen Dingen natürlich auch mal treffen, wenn dies möglich ist und Euren Ablauf nicht beeinträchtigt. Zum Beispiel kannst Du ihm morgens beim Anziehen zwei Outfits zur Auswahl anbieten. Entscheidet er sich für eines, schwenkst Du danach aber auf keinen Fall mehr um, auch wenn er seine Ansicht ändert. Wenn dies dann einen kleinen Konflikt mit ihm bedeutet, musst Du das aushalten, das ist überhaupt nicht schlimm. Wenn Du Dich traust, im Alltag eine klare, entschlossene Linie zu vertreten, werden auch Deine Überforderungsgefühle nachlassen. Es wird dann auch nicht mehr so leicht zu Wutausbrüchen oder Schlagen kommen. Dein Sohn wird nach einiger Zeit (in der er sich auf die neue Linie der Mama einstellen muss) pflegeleichter werden, weil er endlich die Orientierung bekommt, nach der er sich sehnt. Er will gar nicht die Führungsrolle haben, er möchte, dass Du die übernimmst. Alles andere ängstigt, überfordert und verunsichert ihn. Es könnte sein, dass es Dir noch schwer fällt, eine ruhige, souveräne und gelassene Führungsrolle zu übernehmen. Deshalb würde ich zunächst eine Erziehungsberatung machen, noch nicht unbedingt eine Psychotherapie. Eine Erziehungsberatung ist konkreter, wirkt schneller und kann vielleicht schon so gut den Alltag bei Euch verändern, dass keine weiteren Maßnahmen nötig sind. Kostenlose Erziehungsberatung bieten die Caritas, die Diakonie und der Kinderschutzbund an. Trau' Dich, dort einfach einen Termin auszumachen. Das ist nichts Peinliches, sondern man freut sich, wenn Eltern kommen - dafür ist man dort da und ausgebildet! Die Fachleute in den Beratungsstellen (Kinderpsychologen, Dipl.-Sozialpädagogen usw.) würden ihren Job verlieren, wenn keiner käme! :-) Spring jetzt über Deinen Schatten und mach' das, gell! Damit es Dir und Deinem Sohn bald besser geht und Du einfach auch mal eine glückliche Mutter mit glücklichem Kind sein kannst. Wirst sehen, wie sich alles entspannt, wenn Du Tipps und einen Blick von außen auf Eure typischen Konfliktsituationen im Alltag bekommst. Da ist nix dabei, und es hilft sehr! LG

von Windpferdchen am 28.01.2015, 10:27



Antwort auf: Kind (4 Jahre) kann sich nicht entscheiden

Hallo ich kann ich verstehen. Unser sohn ist 3, und es ist der Horror zu Hause. Nach langer zeit , da ih mich auch nicht getraut habe, habe ich mir HIlfe über das Jugendamt geholt. Und die nehmen einem nicht dad KInd weg. Nun habe ich eine beraterin, die 1x wöchtl. kommt . Wir sind noch längst nicht durch, und manchmal glaube ich auch wir rudern zurück. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf.

von sternchen1410 am 28.01.2015, 12:02



Antwort auf: Kind (4 Jahre) kann sich nicht entscheiden

Vielen Dank für die netten Worte. Ich habe mich am Montag bei der Caritas angemeldet, aber auch dort ist die Wartezeit sehr lang. Aber anders gehts halt nicht. Zum Beispiel Jacke ausziehen: wenn ich wortlos anfangen würde, ihm die Jacke auszuziehen, würde er sich von mir losreißen und mir sagen, er möchte sie sich selbst ausziehen. Wenn ich dann sage, "ok, mach du", würde das Spiel losgehen, dass ich sie ihm doch ausziehen soll. Und schon sind wir in diesem Teufelskreis gefangen. Dann geht das hin und her. Wenn ich versuche, das durchzuziehen, dass er sie sich dann bitte selbst ausziehen soll, zetert und schreit er natürlich. Das dauert dann halt auch, so dass er weder Zeit zum Tisch decken, spielen noch Katzen füttern hat und dort geht der Streit dann eben weiter. So geht das dann den ganzen Abend.

von Milchmaus2011 am 28.01.2015, 13:15



Antwort auf: Kind (4 Jahre) kann sich nicht entscheiden

Ich glaube jeder, der ein Kind in dem Alter hat, kennt diese Phasen :-). Mein Großer ist 3 Jahre und 3 Monate alt. Will ich das eine, will er das andere. Dann geb ich ihm die Möglichkeit, das zu tun. Entweder er will dann doch, worum ich ihn gebeten habe :-) (umgekehrte Psychologie?) oder er fängt auch an loszuzetern und zu wüten, weil er nicht weiß, was er will. Dann lass ich ihn sich ausschimpfen und warte bis er sich beruhigt hat. Interventionen helfen nicht und dringen auch nicht zu ihm durch. Vielleicht bist du zu bemüht, ihn zu beruhigen bzw. es ihm recht zu machen? Fahre du eine klare Linie und gib ihm keine Aufmerksamkeit für unerwünschtes Verhalten. Wenn er rumtobt, lass ihn und tröste ihn erst, wenn er sich beruhigt hat. Pass nur auf, dass er sich und anderen nicht weh tut. Aber reagier nicht groß drauf. Das ist nämlich das, was Euch zusammen in den Teufelskreis aus Emotionen zieht. Wenn ich auch anfange, emotional zu werden, dann steigern mein Sohn und ich uns auch rein. Es ist irrsinnig schwer, ich weiß, aber ich kann dir nur den Tipp geben, so gelassen, wie möglich zu bleiben. Was ich gemacht habe und eigentlich jedem empfehlen kann, einen TripleP-Kurs. Positive Erziehung. Vielleicht hilft dir das schon, dein Kind mit anderen Augen zu sehen und Tipps zu bekommen, wie du dich durchs Abenteuer "Erziehung" manövrieren kannst :-). Und vielleicht ist ein Platz in so einem Kurs schneller zu kriegen, als in Beratungsstellen oder so? Alles Gute!!!

von Primelchen79 am 29.01.2015, 12:27