Ich erkenne meinen Sohn (4) nicht wieder

Dipl.-Soz.päd Sylvia Ubbens Frage an Dipl.-Soz.päd Sylvia Ubbens Diplom Sozialpädagogin

Frage: Ich erkenne meinen Sohn (4) nicht wieder

Hallo, ich suche jetzt bei Ihnen Rat, da ich nicht mehr weiter weiß. Ich traue mich auch nicht zum Kinderarzt aus Angst gesagt zu bekommen es wäre unsere Schuld. Mein Sohn (4) ist ungefähr seit unsere Tochter im April auf die Welt gekommen ist, nicht wiederzuerkennen. Die Sachen die nicht klappen: - er hört nicht auf uns - er verneint alles - ist frech/ gibt Widerwort - er beschimpft uns - manchmal schlägt er nach uns oder spuckt - er diskutiert ALLES aus - er möchte sich nicht an/ausziehen - er möchte nicht in Kindergarten - er kommandiert alle rum auch im Kindergarten weshalb manche Kinder nicht mehr mit ihm spielen möchten - kommen zu uns Freunde von ihm, kann er nicht sein Spielzeug teilen - er kann sich nicht entscheiden (zb zwischen 2 Paar Schuhe) - er kann seine Gefühle nicht zum Ausdruck bringen - hat daraufhin Wutausbrüche - er widerspricht sich selbst ( "ich will Cornflakes" kommt dann an den Tisch und flippt aus "nein ich wollte keine Cornflakes") - macht immer den Pausenclown z.b. um seine Schwester zum lachen zu bringen. Findet aber kein Ende mehr - kann mit Veränderungen im Tagesablauf nicht umgehen - ihn stören Socken - kann z.b. nicht tschüss sagen im Kiga Dinge die er sehr gut kann - er zählt bis 30 - er kann im 10er Berich rechnen - er bringt sich Zahlen und Buchstaben bei - er malt und bastelt sehr viel - er ist sehr wissbegierig, fragt viel - interessiert sich für Dinge wie das Weltall, kann uns die Planeten benennen - er kann sich sehr gut ausdrücken hat einen großen Wortschatz - ist aber auch um keine Ausrede verlegen - er kann gut kombinieren und vorausdenken - er kann gut lügen wenn es für seinen Vorteil ist (zeugt für mich für intelligenz) - er liebt seine Schwester heiss und innig - er ist hilfsbereit aber nicht emphatisch All das bringt uns gerade an den Rande der Verzweiflung. Wir wissen damit nicht umzugehen. Alles schimpfen und Maßregeln versinkt im Sand und man hat den Eindruck es kommt nichts bei ihm an. Auch wenn er sagt er hat es verstanden, macht er im nächsten Augenblick weiter. Was fehlt ihm? Was können wir tun das es allen wieder besser geht. Er wirkt so unzufrieden und frustriert. Er bekommt Exklusiv-zeiten, jeden Abend vorgelesen, darf viel selbst entscheiden...wir wissen nicht weiter und mein Akku ist mehr als leer. Bitte geben Sie mir Ratschläge! Viele Grüße

von Schlumpfine1987 am 18.10.2018, 09:22



Antwort auf: Ich erkenne meinen Sohn (4) nicht wieder

Liebe Schulmpfine1987, da meine Vorrednerin schon sehr ausführlich geantwortet hat, werde ich die Worte hier nicht zusammenfassen und wiederholen. Hier ein paar konkrete Tipps für den Alltag: - Er hört nicht. - Gehen Sie von vorneherein zu Ihrem Sohn auf Augenhöhe und besprechen alles in direktem Kontakt und nicht "von weitem". - Er verneint alles. - Gehen Sie nicht weiter darauf ein. "Wir gehen jetzt einkaufen." Nehmen Sie Ihren Sohn an die Hand und gehen in den Flur zum Schuhe anziehen. - Er ist frech, beschimpft, haut. - "Ich möche so etwas nicht hören/nicht geschlagen werden und gehe darum jetzt in einen anderen Raum." Ohne Gegenüber lohnt es sich für Ihren Sohn nicht, frech zu sein. - Er diskutiert alles aus. - Lassen Sie sich nicht auf Diskussionen ein. Als Eltern darf man gerne mal antworten, dass etwas so ist, weil Sie es sagen. - Er möchte sich nicht an-/ausziehen. - Unterstützen Sie Ihren Sohn gerne, auch wenn Sie wissen, dass er es eigentlich alleine kann. Dem Baby wird ja auch geholfen, da möchte er auch gerne Unterstützung. - Er möchte nicht in den Kindergarten. - Mama ist mit dem Baby zu Hause, warum sollte er dann in den Kindergarten wollen. Besprechen Sie am Morgen, was Sie gemeinsam am Nachmittag Schönes machen können. - Spielzeug teilen - Bevor Besuch kommt, darf er zwei Lieblingsspielzeuge an die Seite legen, mit denen niemand spielen kann. - Er kann sich nicht entscheiden. - Machen Sie es ihm leichter und stellen nur ein paar Schuhe zur Verfügung. Usw.. - Gefühle zum Ausdruck bringen - Wird er noch lernen. - Wutausbrüche - Bleiben Sie in seiner Nähe und lassen ihm seine Wut. Erklären Sie ihm anschließend, dass Sie seine Wut verstehen können, ... aber nun nicht geht o.ä.. - Stellen Sie die Alternativen (Cornflakes usw.) auf den Tisch und er kann sich am Tisch sitzend entscheiden oder im Vorfeld sich die Dinge selbst aus dem Schrank nehmen. - Pausenclown - Er möchte seiner Schwester eine Freude machen. Kein Ende zu finden ist altersbedingt und sollte nicht negativ bewertet werden. Lenken Sie ihn lieber ab, wenn Sie das Gefühl haben, dass es nun genug ist. - Geben Sie dem Tag viel Struktur, damit es für ihn leichter ist. Um Ihren Sohn passieren so viel Dinge (Kindergarten, Mama muss sich ums Baby kümmern usw.), da fällt es ihm schwer, mit alltäglichen Veränderungen klar zu kommen. Gehen Sie zu ihm und erklären ihm im Vorfeld auf Augenhöhe, warum heute erst gegessen und dann erst eine Geschichte gelesen wird und nicht wie sonst umgekehrt etc.. - Vielen Kindern stören Socken. Überlegen Sie, ob die Socken vielleicht zu eng, zu weit, zu lang sind. Gibt es Alternativen? Oder Sie gehen mit ihm neue Socken kaufen. Selbst ausgesuchte Socken mag er sicherlich viel lieber anziehen. - Tschüss sagen, hallo sagen usw. fällt Kindern in dem Alter meist schwer. Das ist der ganz normalen Entwicklung geschuldet. Flüstern Sie es Ihrem Sohn ins Ohr, wenn er Hallo/Tschüss sagen soll. - Soll Ihr Sohn etwas nicht tun und kann trotz Erklärung, er wird damit aufhören, nicht aufhören, lenken Sie ihn gerne ab, damit es nicht zu Stress auf beiden Seiten führt. Vielleicht ist ja der eine oder andere Tipp dabei, der sich gut in Ihrer Familie umsetzten lässt. Viele Grüße Sylvia

von Sylvia Ubbens am 20.10.2018



Antwort auf: Ich erkenne meinen Sohn (4) nicht wieder

Hi. ich bin zwar nicht Frau Ubbens, würde dazu aber dennoch gerne etwas sagen. 4-jährige können seehr anstrengend sein. Sie können schon wahnsinnig viel und wollen auch wahnsinnig viel können. Nun war er eben auch 4 Jahre lang derjenige, um den sich alles gedreht hat - plötzlich kommt da so ein Winzling daher und nimmt ihm ein Stück weit die Aufmerksamkeit weg. Das ist hart ;-) Ich habe den Eindruck, ihr erwartet viel zu viel von ihm und gebt ihm die Schuld dafür, dass euer Leben gerade anstrengend ist. Selbst bei "was er gut kann" gelingt es euch, negative Dinge einzubauen. Er ist zwar jetzt großer Bruder -aber selbst eigentlich auch noch klein. Und in sehr vielen der von dir genannten Dingen verhält er sich wie ein ganz normaler 4-jähriger, der sich immer mehr Selbstbestimmtheit erkämpfen will (oder eben meint, er könne das schon ;-) 4-jährige wollen ziemlich oft plötzlich nicht in den KiGa (und bei ihm kommt noch hinzu: er soll aber die Schwester darf zu Hause bei Mama bleiben? Unfair!!). An-/ausziehen geht noch nicht so einfach von der Hand, dass es problemlos selbst klappt zu jeder Tageszeit (zB morgens, wenn man eh keine Lust hat in den Kiga zu gehen). 4-jährige können selten bereits genau ihre Gefühle benennen - sie werden von ihnen überrollt und das größte Problem ist erst mal, damit irgendwie klar zu kommen bzw. überhaupt zu begreifen, was da passiert, wenn man plötzlich so irre wütend wird. 4-jährige können sich tatsächlich noch nicht entscheiden. Sie üben es - aber immer erscheint genau das andere dann viel verlockender :-)Dann benötigt er eure Hilfe, in dem ihr ihm die Entscheidung auch mal abnehmt (freundlich) oder in darin bestärkt, dass diese getroffene Entscheidung schon ok ist. Kinder lieben Rituale - auch Tagesabläufe. Oder flippt er schon aus, wenn ihr mal 10 Min. später als sonst irgendwo hingeht oder weil das Auto nicht da steht, wo es sonst immer steht? Außerdem lügt er nicht - er weiß noch gar nicht, was eine echte Lüge (also vorausschauendes einkalkulieren dessen, was damit verhindert wird oder eintritt und wie andere darauf reagieren) ist. Auch da ist es an euch, ihm jetzt freundlich zu vermitteln, das schummeln meist keine gute Idee ist. Empathie ist ebenfalls etwas, was Kinder durch uns lernen müssen. Er ist hilfsbereit - prima! Daraus kann er mit eurer Hilfe Empathie entwickeln. der Grundstein ist ja gelegt. Aber Empathie ist Kindern nicht angeboren! Beleidigungen - also "blöde Mama" hat sicher jede Mama schon mehr als einmal gehört. Heißt einfach "ich finde es nicht gut, dass ich xy gerade nicht darf". Schlimme Schimpfwörter hat er wohl irgendwo aufgeschnappt - weiß aber gar nicht, was sie bedeuten. Merkt aber, wie unheimlich gut ihr darauf reagiert. Also ganz ehrlich? Ihr verlangt viel zu viel von ihm - und daraus kann durchaus das spucken, schlagen, beleidigen etc resultieren. Anders kann er sich nicht wehren. Er kann nicht mit euch ein Gespräch darüber führen - er ist ein kleines Kind! Er ist kein kleiner Erwachsener, der euch absichtlich triezt.

von cube am 18.10.2018, 12:14



Antwort auf: Ich erkenne meinen Sohn (4) nicht wieder

Falls ich im obigen Post zu vorwurfsvoll geklungen habe, tut mir das leid. Deshalb nochmal zusammengefasst und damit vielleicht etwas hilfreicher: Einen 4-jährigen und dazu ein Baby zu haben, ist sicher anstrengend und eine Herausforderung. Da erwartet man oft unbewusst, daß der "Große" doch jetzt bitte nicht ständig dazwischenfunkt mit seine "Macken" - schließlich ist er doch kein Baby mehr. Ich habe den Eindruck, ihr erwartet ein bisschen zu viel "funktionieren" von eurem Sohn. Für mich hören sich die geschilderten Dinge eher normal für einen 4-jährigen an. Wenn man aber eh sicher auch etwas gestresst ist, kann das Normale auch schnell sehr nerven und einem so unnötig erscheinen, dass man sich schnell darauf einschießt, was alles nicht "funktioniert". Mit 4 ist aber noch zu klein, um euch mit adäquatem Verhalten zu entlasten. Im Gegenteil wird das für euren Sohn eher sehr unverständlich sein. Und darauf reagiert er dann mit verstärktem Ausleben seiner persönlichen oder auch altersbedingten "Macken". Spucken und schlagen in dem Alter ist eher nicht als bewusste Provokation zu sehen - eher als Ausdruck einer Überforderung. Er kann seine Gefühle noch nicht in einem Gespräch äußern und darlegen, also verfällt er in sozusagen instinktgesteuertes Abwehr-/Verteidigungsverhalten und das ist dann oft schlagen, beißen, spucken. Das heißt nicht, er darf nun tun und lassen was er will - aber ihr solltet meiner Meinung nach ein bisschen den Druck was "funktionieren"/ Erwartungshaltungen angeht rausnehmen. Frau Ubbens wird euch ganz sicher noch mit konkreten Ratschlägen weiterhelfen. Und das Ganze möglicherweise auch ganz anders einschätzen als ich es gerade tue.

von cube am 19.10.2018, 13:09



Antwort auf: Ich erkenne meinen Sohn (4) nicht wieder

Hallo Cube! Hab vielen Dank für deine ausführliche Antwort. Damit könntest du natürlich irgendwie auch Recht haben und du hast mich damit auch sehr zum grübeln gebracht. Ich find halt dieses tägliche, ständige diskutieren und rechthaben-wollen am anstrengendsten von allem. Aber uch werde unsere Situation nochmal reflektieren und überdenken. Danke sehr für den Anstoß

von Schlumpfine1987 am 19.10.2018, 13:19