Frage: Empathie und Tiere quälen.

Hallo, meine große Tochter ist fast 6 und im Diagnoseverfahren für Asperger Autismus. Klar ist schon lange, dass sie schwer deuten kann, was andere ihr mit Körpersprache, Kommentaren etc. deutlich machen wollen. Auch der Perspektivwechsel ist schwer. Allerdings glaube ich dennoch, dass sie jetzt beginnt gezielt, immer wieder Kinder und Erwachsene zu verärgern. Sie wird bei Erwachsenen auch richtig übergriffig. Ich erkläre immer wieder, wie sie Kontakt aufnehmen kann, wie viel Distanz sie wahren muss und dass es Dinge gibt, die einfach kein Mensch mag, egal ob Kind oder Erwachsener. Um so Beispiele zu nennen, gestern hat sie einer befreundeten Mutter Kekse in den Ausschnitt gesteckt, sie riss ihr vorher die Tüte aus der Hand. Sie zerrt an Fremden herum, sie vergreift sich an fremden Taschen, etc. Sie macht lachend weiter, wenn wir mit ihr (auch sehr deutlich!) sprechen. Nein ignoriert sie völlig, auch wenn Fremde die Nase voll haben und sauer werden. Wenn wir später reden in Ruhe sagt sie, sie wisse nicht, warum sie das macht. Das gleiche gilt fürs Tiere quälen. Das macht sie ganz sicher nicht mit Absicht, sie liebt Tiere über alles, aber sie sammelt einfach jedes Insekt ein und dreht es zwischen ihren Fingern, bis es keine Beinchen mehr hat oder zerquetscht ist. Wir haben erst Begleiten und Beobachten versucht, Anleiten etc. Mittlerweile versuchen wir zu verbieten, dass sie die Tiere zwischen die Finger nimmt aber sie hört absolut gar nicht. Mein Mann ist nun schon mal so sauer geworden, dass er sie angeschrieen hat, wenn sie Tiere quetscht. Ob das nun sinnvoll war, mag dahingestellt sein, Fakt ist: Sie rennt trotzdem mit dem Tier weg, sucht sofort neue oder versteckt sie jetzt in Hosentaschen, Rucksäcken, in der Faust, Fahrradtasche... ich kann es nicht verstehen. Sie WILL das Tier nicht töten oder verletzen aber sie macht es ständig. Ich versuche auf jede Weise Empathie dafür zu wecken, frage auch wie sie es fände, wenn jemand sie festhält, etc, sie sagt auch, das wäre blöd aber das Tier lässt sie trotzdem nicht. Was machen wir, damit nicht andere Lebewesen so leiden müssen? Wir haben sie ja nun auch nicht ununterbrochen im Blick, davon abgesehen, dass "nein" eh nicht wirklich hilft. Nicht mal wenn wir echt sauer werden. Meistens betont sie sogar sie macht das trotzdem. Wir erziehen übrigens eher standard normal, wir sind weder streng/ autoritär noch lassen wir sie machen was sie will. Wir sagen nur an den Stellen nein, bei denen es uns wichtig ist und sind sonst recht locker. Wir können jetzt aber nicht alles auf Autismus schieben, irgendwas müssen wir falsch machen? Ich gehe natürlich davon aus, dass bei jedem Kind mal etwas Schwund in der Insektenwelt ist, aber wenn jedes Kind wie meines den ganzen Tag nix anderes tun würde, wären die Krabbler bald ausgestorben. Möglicherweise sind Insekten auch eine Art Sonderinteresse, wir lesen Wissenschaftsmagazine und Bücher darüber, sie kennt fast jedes Tier, dass sie findet mit Namen, weiß wie es lebt, wie die Pflanzen heißen, die es frisst, sich entwickelt etc. aber dennoch hätte ich gern, dass die Lebewesen ihre Gliedmaßen und Flügel dran behalten! Haben sie noch irgend einen Tipp oder müssen wir das jetzt wirklich hinnehmen? Wie gesagt, wir beobachten sie ja auch nicht rund um die Uhr. Der kleine Bruder (fast 4) geht vorsichtig mit Mensch und Tier um.

von Avraa am 13.08.2020, 11:04



Antwort auf: Empathie und Tiere quälen.

Liebe Avraa, erklären Sie Ihrer Tochter immer wieder, dass sie bestimmte Dinge nicht tun darf. Sind fremde Menschen dabei und Ihre Tochter zerrt an diesen herum, dann bitten Sie erst gar nicht freundlich damit aufzuhören, sondern schreiten gleich ein und "befreien" die fremde Person. Setzen Sie Ihre Tochter anschließend für einen Moment auf Abstand und erklären deutlich, dass sie das nicht darf. Für die Tiere stellen Sie Ihrer Tochter eine geeignete Box zur Verfügung und erlauben das Tiereeinfangen. Verbieten Sie es ihr, macht sie es ja trotzdem und ohne Box landen die Tiere in der Hosentasche, die sicherlich oft zur Todesfalle wird. Sehen Sie regelmäßig mit Ihrer Tochter in die Box und erklären, dass die Tiere nun freigelassen werden müssen, damit sie nicht sterben. Mit fünf Jahren können die wenigsten Kinder einschätzen, ab wann es für Tiere zur Quälerei wird. Je älter Ihre Tochter wird, wird sie auch vorsichtiger mit den Tieren umgehen. Je mehr etwas verboten wird, je mehr interessiert es die Kinder. Und für Ihre Tochter sind Insekten und Käfer eine Leidenschaft, wie ja auch das theoretische Interesse zeigt. Viele Grüße Sylvia

von Sylvia Ubbens am 14.08.2020



Antwort auf: Empathie und Tiere quälen.

Ich glaube nicht, dass sie das gezielt ärgert. Das hieße nämlich, dass die Emotion Ärger wirklich versteht und einsetzt. Erst mal aber finde ich, die Stelle, die das Asperger-Syndrom diagnostiziert hat, sollte euch auch beratend zur Seite stehen (oder an eine entsprechende Stelle/Arzt) verweisen. Habt ihr da überhaupt Ansprechpartner, die euch erklären, wie Asperger-Menschen so ticken, wie man ihnen im Alltag helfen kann, Erziehungstipps bzgl. Asperger etc? Wenn nicht, sucht euch da eine Stelle! Man kann Asperger-Menschen eben nicht einfach ganz normal behandeln und erwarten, dass sie das genau so normal lernen/verstehen, wie andere Kinder/Menschen. Asperger-Patienten können die Emotionen anderer nicht einschätzen und empfinden selber alles deutlich abgeschwächt. Dementsprechend auch der oft nicht vorhandene Ausdruck eigener Emotionen oder Reaktion auf Emotionen anderer. Aber sie merken natürlich, dass eine bestimmte Reaktion offenbar normal ist und versuchen, diese nachzuahmen. Auch Asperger wollen dazu gehören. Kind bemerkt zB, dass man Freude zeigen soll, wenn man die Oma sieht. Beim nächsten Treffen läuft Kind also freudenstrahlend auf Oma zu und rennt sie dabei förmlich um. Darauf hin wird geschimpft, sie hätte der Oma weh getan, was das denn solle. Kind versteht die Welt nicht mehr - es hat doch nur Freude zeigen wollen. Das Kind kann eben noch nicht wirklich einschätzen, wie stark man diese Freude zeigt. Es hat nur gesehen, dass andere Kinder auf die Oma zulaufen und diese sie dann auffängt und hochhebt. Und genau das hat sie doch auch gemacht? Nur, das ein Asperger-Kind eben die "Heftigkeit" des Freude zeigen noch nicht wirklich gut steuern kann. Besser wäre, anzuerkennen, dass Kind das "Richtige" (im Sinne von "wird erwartet") tun wollte und ihm dann zu erklären, dass es aber reicht, wenn man die Oma umarmt. Euer Kind kann zB gesehen haben, dass Kinder sich untereinander ärgern oder nur necken mit etwas wegnehmen, irgendwo hin stecken etc. Oder das Kinder (sie weiß ja nicht, das diese Kinder und Erwachsenen zusammen gehören) am Ärmel der Frau ziehen und dann wird sich ihnen zugewendet. Und da sie Emotionen nicht gut erkennen kann, merkt sie gar nicht, dass die Fremden sauer sind, wenn sie auch so etwas tut. Habt ihr eurer Tochter mal Bilder von verschiedenen Gesichtssaudrücken gezeigt und sie gefragt, wie der Mensch darauf gelaunt ist? Kann sie das überhaupt erkennen? Man kann sowas mit solchen Bildern auch üben bzw. verdeutlichen. Natürlich kann es auch sein, dass das alles quatscht ist und ärgert absichtlich. Aber genau deswegen solltet ihr eine Anlaufstelle haben, die auch euer Kind kennen und euch da beraten, wie ihr damit umgehen solltet. Bzgl. Insekten quälen: Sie ist offenbar sehr interessiert und untersucht das Tier. Darüber vergisst sie aber alles andere wie zB das dieses Untersuchen das Tier tötet. Das Ausblenden aller nicht zum aktuellen Hauptinteresse gehörenden Dinge ist aber typisch Asperger. Deswegen kann sie nicht sagen, warum sie das tut. Die Tochter eines Familienmitgliedes hat mal alle Kaffee-Pads aufgeschnitten, ausgeschüttet und gewogen. Und dann alles liegen lassen. Auf die Frage warum sie das gemacht habe: "ich wollte wissen, ob in allen wirklich das Gleiche drin ist". Und nachdem dieses Interesse befriedigt war, war das Thema abgehakt. Irgendetwas wegräumen? Warum? Das kam ihr einfach nicht in den Sinn weil es nicht zu ihrer "Mission" gehörte. Vielleicht kauft ihr ein Kinder-Mikroskop, mit dem sie in einem entsprechendem Behälter gefangene Tiere genau unter die Lupe nehmen kann und danach wieder frei lässt: Wobei ihr sie daran sicher erinnern müsst, es wieder frei zu lassen. Aber nochmal: wenn euer Kind Asperger hat und offenbar der Alltag zunehmend problematisch wird, braucht ihr professionelle Beratung, wie ihr eurer Tochter den Alltag und den Umgang mit anderen, aber auch Regeln und No-Go´s so verständlich machen könnt, dass es bei ihr auch ankommt.

von cube am 13.08.2020, 14:30



Antwort auf: Empathie und Tiere quälen.

Hallo Cube, Danke für deine Antwort. Da ich selbst Asperger Autistin bin, sowie meine Mutter, kennen wir uns eigentlich recht gut aus mit dem Thema. Meine Schwester ist zudem Kanner Autistin. Ich habe selbst 4 Jahre Therapie hinter mir und bin gut angepasst. Zudem bin ich in Marte Meo geschult und wende dies auch bei meiner Tochter an. Mir ist klar, dass vieles anders und explizieter erklärt werden muss. Sie ist aber in der Lage Empathie zu empfinden, wenn darüber gesprochen wird. Sie erkennt es nur von außen nicht gut, da sie Gesichter, Mimik und Gestik nicht interpretiert. Da geht es ihr genauso wie mir, sie erkennt Leute auch eher an Frisuren oder Bewegung als am Gesicht. Dass sie "nein" ignoriert halte ich momentN eher für Absicht/ Trotz. Sie betont es ja sogar. Auch die Tiere tun ihr nach dem Tode leid und wenn andere Kinder Tiere in der Hand haben, drängt sie diese dauernd die frei zu lassen und "nett" zu behandeln, erklärt, dass man sie nicht festhalten darf etc. Selbst hat sie sich aber absolut nicht unter Kontrolle.

von Avraa am 13.08.2020, 15:59



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