Frage: Schlechte Esserin

Hallo Dr. Posth, Tochter 10Monate, empfindsamer Charakter (braucht viel Körperkontakt) mag keinen Brei. Ich habe mit 5,5Mon. zum ersten Mal versucht zuzufüttern. Sie nahm einen Löffel Brei und hat fast gewürgt und anschließend Mund zugesperrt. Ich habe es immer wieder versucht. Mit 8 Monaten hat sie langsam etwas Getreide-Obst-Brei gegessen, andere Breisorten nicht. Seit 2 Wochen isst sie immer kleine Brotstücke, während wir essen. Isst auch etwas Obst. Aber nur winzige Mengen. Sonst wird sie noch voll gestillt. Gedeiht aber gut (9,4kg). Ich habe nun gedacht, ich mache einfach so weiter. Immer etwas von unserem Essen anbieten, ab und zu auch nochmal Brei versuchen. Ich dachte zwischen 1 und 2 Jahren kommt es dann automatisch, dass sie richtiges Essen isst. Nun habe ich bei Ihnen aber schon öfters das Wort "Fütterstörung" gelesen. Was bedeutet das? Kann das bei uns passieren? Mein Sohn war auch ein schlechter Esser, er hat aber mit Ablenkung (essen+spielen) gegessen. Danke!

von Mylinda am 07.10.2013, 07:55



Antwort auf: Schlechte Esserin

Hallo, der Begriff Fütterstörung stammt aus der Sammelbezeichnung "Regulationsstörungen" und betrifft alle Formen der Verweigerung von altersgemäßer Nahrungsaufnahme und schwierigem Essverhalten. Wo aber die Grenzen zwischen noch normalen und entwicklungsbedingten Verhaltensweisen und Störungsformen liegt, ist schlecht definiert und gibt Anlass zu vielen kontroversen Auffassungen. So werden auch die Ursachen etwas unterschiedlich verortet. Im Regulationsstörungskonzept liegt der Schwerpunkt vornehmlich auf der kindlichen Seite. Im Beziehungsstörungskonzept, das ich hier vertrete, liegt der Schwerpunkt mehr auf der Umweltseite und den Angeboten der Bindungs- und Bezugspersonen. Es ist bis heute nicht messbar, wo das Problem beim Kind und so bei den Eltern und der Umwelt beginnt. Es ist aber im Sinne der psychischen Gesundheit des Kindes wichtig, nicht zu früh von einer Störung zu sprechen und erst einmal die kindlichen Reifungsschritte zu beachten, bevor man zu Eingriffen schreitet. Mit 10 Monaten befindet sich ein Säugling immer noch in den Anfangsstadien der Beikost. Das heißt, man bietet ihm immer wieder zusätzliche Nahrung an, wobei vieles probiert wird und vieles auch wieder verworfen. Grundsätzlich wirkt der Imitationstrieb. Was die Bindungspersonen sich in den Mund stecken und essen, möchte auch der Säugling probieren. Er muss es aber nicht mögen. Das Ausspucken ist also zu respektieren. Empfindsame Säuglinge sind auch häufig sensorisch empfindsam. Das heißt, sie erfassen nicht nur den Geschmack der neuen Nahrung, sondern auch deren Konsistenz, Temperatur und Aussehen. Also so wie Sie derzeit vorgehen, ist es richtig. Die Hauptnahrungsquelle ist dann weiterhin die Muttermilch, was in Ordnung ist. Sie sehen es am guten Gedeihen Ihrer Tochter. Verlockungen, schmackhaft machen von Nahrung und Spielen mit und bei der Nahrung sind richtig und geboten. Es gehört zum Lebenstrieb des Säuglings und Kleinkindes dazu, dass es keine Unterschied macht zwischen Spielen und Essen. Im Gegenteil, im Spiel lernt das Kind mit Nahrung umzugehen und sie zu essen. Außerdem braucht das Kind Lust zum Essen. Leider werden vielfach Empfehlungen gegen diese Vorgehensweise ausgesprochen, was an der Realität vorbei geht. Auf diese Weise werden manchmal Fütterstörungen verschlimmert statt verbessert. Viele Grüße

von Dr. med. Rüdiger Posth am 09.10.2013