Muss eine Mutter im ersten Lebensjahr schon "loslassen" können?

Dr. med. Rüdiger Posth Frage an Dr. med. Rüdiger Posth Facharzt für Kinderheilkunde, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut

Frage: Muss eine Mutter im ersten Lebensjahr schon "loslassen" können?

Sehr geehrter Herr Dr. Posth, Ich werde ab August zweimal wöchentlich vormittags arbeiten gehen. Unsere Zwillinge, dann ein Jahr alt, werden von unserer derzeitigen Haushaltshilfe bei uns zuhause betreut werden. Sie und die Kinder kennen sich bereits, sie geht liebevoll mit ihnen um und genießt unser volles Vertrauen. Dennoch habe ich Bedenken, zum einen, weil eine unserer Töchter äußerst sensibel ist und ängstlich auf andere Menschen reagiert (bisher eben auch auf die zukünftige Kinderfrau), zum anderen aber auch deswegen, weil ich selbst mich eigentlich noch nicht von meinen Kindern trennen möchte und mich emotional damit schwer tue, zu akzeptieren, dass sie eine Bindung zu einer außenstehenden Person aufbauen werden (mir ist aber klar, dass dies notwendig ist, deshalb kommt eine andere Betreuungsform für uns auch nicht in Frage.Mein Mann versteht mich im Prinzip zwar, ist aber der Ansicht, ich müsse langsam auch mal "loslassen" können. Argumente dagegen? Danke!

Mitglied inaktiv - 16.05.2011, 09:36



Antwort auf: Muss eine Mutter im ersten Lebensjahr schon "loslassen" können?

Hallo, sehr schön, dass Sie auch einmal den mütterlichen Standpunkt zur Notwendigkeit einer frühen Fremdbetreuung thematisieren. Es kommt eigentlich immer nur das Porblem des Kindes zur Sprache. Über das Leid der Mutter spricht niemand, als wenn es das gar nicht geben dürfte. Aber Bindung bedeutet ja eine innige Beziehung von zwei Seiten kindlicher wie mütterlicher. Folglich leiden beide Seiten, wenn die Bindung stark beansprucht wird. Ihre Kinder werden dann keine nachhaltigen Probleme mit der frühen Fremdbetreuung haben, wenn die Kriterien der sanften Ablösung einghalten werden. Und das scheint mit Ihrer Haushaltshilfe auch gewährleistet zu sein. Aber Sie müssen verkraften können, dass Ihre Kinder an zwei Tagen mehrere Stunden von Ihnen getrennt sind und sich in der Obhut einer anderen Person befinden, die auch nicht selbst Teil der Familie ist. Das auszuhalten ist nicht leicht, und ich kann Sie gut verstehen, dass Sie deswegen auch Trauer empfinden. Dafür, dass man als Mutter oder Vater von seinem Kind so ohne Weiteres "loslassen" kann, sind Ihre Töchter noch viel zu klein. Man spürt noch ganz stark in sich selbst das Verantwortungsgefühl ihnen gegenüber und das Schutzbedürfnis, dessen sie bedürfen. Und dann ist ja da auch noch die Liebe, die sich vom Gefühl her gegen Trennung ausspricht. Dennoch verlangt die Gesellschaft, alles diese Gefühle zu unterdrücken, damit sie selbst optimal funktioniert. Man sollte es wenigstens einmal klar zur Sprache bringen. Viele Grüße

von Dr. med. Rüdiger Posth am 18.05.2011