Sehr geehrter Herr Dr. Nohr.
mein Sohn, 17 Monate, ist ein sog. Later-Talker. Gehörtest wurde durchgeführt und war zum Glück befundlos. Er sagt „Mama“ „Baba“ „Nein“ und hat seine eigenen Laute zb. Für das Licht, Wasser, Schnuller, Essen und unseren Kamin.
Ist das soweit alles im Rahmen?
Die Eltern meines Mannes und auch meine Eltern kommen ursprünglich aus der Türkei. Bei unserer großen Tochter, die schon sehr früh gesprochen hat, haben wir es so gehandhabt, dass ich immer Türkisch gesprochen habe und zb mein Mann und ich untereinander deutsch. Sie konnte damals mit 2 perfekt Türkisch und kam dann auch mit 2 in die Kita und hat dann auch innerhalb kürzester Zeit dialektfrei und grammatikalisch korrekt deutsch gelernt. Nun zur Frage:
Überfordere ich meinen Sohn, wenn ich es genauso Handhabe? Er kommt in 5 Monaten in die Kita. Sollte ich lieber ausschließlich deutsch mit ihm sprechen? Das ist natürlich für ihn wichtiger. Ich möchte ihn einerseits nicht überfordern und andererseits wäre es aber natürlich auch sehr schön, wenn er auch seine Muttersprache beherrschen würde.
Vielen Dank schon mal im Voraus.
Freundlichste Grüße
von
Lamama611
am 06.12.2018, 11:19
Antwort auf:
Late-Talker - Zweisprachige Erziehung?
Hallo,
keine leichte Frage in der Situation (late-talker) und mit den verstehbaren Wünschen, dass Ihr Sohn auch türkisch kann, damit er auch mit den Großeltern und Verwandten gut kommunizieren kann. Man kann nicht grundsätzlich davon ausgehen, dass Ihr Sohn das genauso wie die Schwester schafft (Mädchen sind da oft pfiffiger und er scheint eine andere Sprachentwicklung zu machen, als sie). Zu bedenken ist deshalb, was Ihnen im Augenblick wichtiger erscheint, seine Kommunikationsmöglichkeiten im KiGa oder der Kontakt mit den Großeltern usw.. Z.B. könnte jetzt Deutsch die führende Sprache sein und sie sprechen untereinander auch immer wieder türkisch, damit er mit der Sprachmeldodie vertraut wird. Das wird ihm den Spracherwerb Türkisch später leichter möglich machen.
(Eine von mir befragte Familie mit drei Kindern in einer ähnlichen Situation hat es bei allen drei Kindern verschieden gemacht.)
Also welche Prioritäten gibt es, wie schätzen Sie seine Sprachentwicklungsmöglichkeiten ein und dann entscheiden Sie Ihr Vorgehen. Die gemeinsame elterliche Klarheit ist ein wichtiges Hilfsmittel.
Viel Erfolg.
Dr.Ludger Nohr
von
Dr. med. Ludger Nohr
am 07.12.2018
Antwort auf:
Late-Talker - Zweisprachige Erziehung?
Ich kenne die Problematik aus der Schule. Grundsätzlich wird geraten, die "Herzensprache", mit der man auch träumt, wünscht, Tagebuch schreibt usw. mit den Kindern zu sprechen. Das hat den Grund, dass eine komplette, grammatikalisch und lexikalisch perfekte Grundstruktur der Sprache erlernt werden kann. Diese ist sozusagen das Modell für andere Sprachen und sichert, dass das Kind später leichter die zweite und dritte Fremdsprache so lernen kann, dass es auch höhere Ansprüche erfüllen könnte.
Was dabei schwierig sein kann, ist, wenn Menschen aus Familien, die vor mehreren Generationen aus der Türkei nach Deutschland kamen und auf diese Weise sowohl ein unfertiges, lückenhaftes Deutsch sprechen als auch die ursprüngliche Sprache nicht korrekt gelernt haben. Viele sehr bemühte türkische Großeltern und Urgroßeltern haben eben immer versucht, so gut wie möglich Deutsch zu sprechen, und das war dann leider gerade falsch, weil dieses Deutsch eben nicht komplex genug war, damit die Kinder eine ausreichend differenzierte Sprachstruktur erlernen konnten. Das, finde ich, ist ein kultureller Jammer für die Familien, die es doch wirklich mit allem guten Willen versucht haben, richtig zu machen! Dann gibt es aber in der Familie quasi kein komplettes Sprachmuster mehr, auf das aufgebaut werden könnte. In diesem Falle macht es Sinn, evtl. doch Deutsch zu sprechen, aber es wäre sehr wichtig, viele Gelegenheiten zu schaffen, in denen frühzeitig die komplexe Sprachstruktur vom Kind gelernt werden kann, in Kommunikation mit reinen Muttersprachlern. Kinderturnen, Krabbelkurse, Musikalische Früherziehung usw. bieten solche Gelegenheiten.
Ich habe das als Lehrerin oft erlebt, wenn die Eltern so bemüht waren, mit Akzent und nicht perfekt Deutsch mit ihren Kindern zu sprechen, zugleich aber auch eng in eine Gesellschaft ihres eigenen Kulturkreises eingebunden waren, d.h., wenig Kontakte mit Muttersprachlern pflegten. Das ging dann nach hinten los, wenn die Kinder, kognitiv durchaus begabt, in höhere Klassenstufen kamen. In allen sprachlichen Bereichen - und zunehmend in den anderen auch, denn da wird dann auch viel mehr sprachliche Fähigkeit verlangt - hatten sie zum Teil große Probleme. Ihr grammatisches Sprachkonzept der ersten Sprache war unvollständig angelegt, und genau diese Rudimentation verhinderte dann erfolgreiche Weiterentwicklung bzw. die Übertragung zur erfolgreichen, anspruchsvollen Erarbeitung der Drittsprache.
Darum war und ist mein Hinweis immer, dass Eltern sehr gern "ihre" Sprache verwenden sollen, wenn sie mit dem Kind sprechen, aber Vorbild sein sollten, außerhalb der Familie eben konsequent die Landessprache zu sprechen und auch vor allem Fernsehen in der Landessprache schauen (nicht mit so ganz Kleinen natürlich), Radio usw. Auch Bücher in der Landessprache sind hilfreich, da hier die Strukturen ja richtig gelesen werden können, es sei denn, die Eltern sprechen mit starkem Akzent.
Schließlich ist es natürlich sehr hilfreich, Kontakte zu deutschsprachigen Familien aufzubauen oder die Mitgliedschaften in Vereinen zu fördern, so dass die Kinder durch Freundschaften und viel Spielen mit Muttersprachlern und dem Kontakt zu erwachsenen Muttersprachlern dann auch komplexes Deutsch erleben und selbst sprechen können. Kita ist in diesem Falle eh hilfreich, allerdings während des Sprachlernprozesses ggf. ein Grund für eine längere Eingewöhnung, denn das Kind kann ja dann die Sprache noch gar nicht, was verunsichernd wirken könnte.
Ich weiß nicht, wie gut Ihr Deutsch sprecht. So gut wie ein Native Speaker? Fühlt und denkt Ihr auf Deutsch?
In unserem KiGa gab es drei Kinder, die zu Hause nur die Landessprache ihrer Eltern gesprochen haben und mit ca. 2,5 Jahren in den Kiga kamen. Das war am Anfang nicht ganz leicht, weil sie wirklich kaum was verstanden, aber es hat sich schnell gegeben, und später sprachen sie alle recht gut Deutsch. Ein Junge musste ein Jahr lang zur Extra-Sprachförderung gehen, die anderen haben es so gut hinbekommen. In der Schule sind die zwei, die schon dort sind, ganz unauffällig, was ihre Sprache anbetrifft.
Jetzt habt Ihr zwei konträre Meinungen. Bin gespannt, was Ihr am Ende machen wollt.
von
Schniesenase
am 07.12.2018, 21:41
Antwort auf:
Late-Talker - Zweisprachige Erziehung?
Hallo,
Dein Sohn ist 17 Monate. Mit 24 Monaten sprechen die Kinder ca. 50 Wörter. Spricht man da tatsächlich schon vom late talker?
Ich denke, deine Tochter hat sehr früh sehr gut gesprochen. Ich denke, du erwartest zu viel.
Wir erziehen auch zweisprachig. Mein Sohn hat in dem Alter auch nicht mehr gesprochen. Jetzt spricht er völlig normal.
Ich denke, bei der zweisprachige Erziehung achtet man viel mehr auf die Sprache. So viele Leute geben gutgemeinte Ratschläge ab. Und man hat auch ständig Angst, man würde was falsch machen und die Kinder keine Sprache richtig lernen können. Man ist viel kritischer.
Ich finde, du sollst weiterhin türkisch mit ihm sprechen. Kontakt mit dem Deutschen hat er im Alltag sicher sowieso. Er versteht ja auch deutsch, oder? Deutsch wird er sowieso in Kiga und Schule sprechen, mit seinen Freunden... Deutsch wird wahrscheinlich bald seine dominante Sprache. Wahrscheinlich brauchst du bald mehr türkisch-Input.
LG luvi
von
luvi
am 08.12.2018, 23:13
Antwort auf:
Late-Talker - Zweisprachige Erziehung?
Vielen Dank für die zahlreichen Antworten.
Ich und auch mein Mann sprechen und denken auf deutsch.
Die deutsche Sprache beherrsche ich akzentfrei und perfekt. Ich spreche aber auch Türkisch perfekt und akzentfrei. Das liegt aber daran, dass ich bis zu meinem 7. Lebensjahr in der Türkei gelebt habe aber meine Mutter zu Hause mit mir deutsch gesprochen hat (sie hat in Deutschland ihr Abitur gemacht und ist dann in die Türkei zum studieren)
Daher haben wir - denke ich - eine andere Situation als andere türkischstämmige Mitbürger.
Ich denke, dass ich so weitermache wie bisher. Ich spreche mit meinem Sohn türkisch zu Hause und wir untereinander, unsere Freunde und draußen deutsch. Damit fühle ich mich am wohlsten. Und ja, vielleicht erwarte ich ein wenig zu viel da meine Tochter sehr sprachbegabt ist und war. Sie spricht jetzt schon mit 4 deutsch, türkisch und auch französisch (war ihr eigener Wunsch etwas zu lernen)
Ich danke euch für die ausführlichen Antworten. Liebste Grüße
von
Lamama611
am 18.12.2018, 19:32