Schon einige Tage vor Beginn des neuen Schuljahrs schrecke ich gelegentlich nachts hoch. Was wird mich dieses Mal erwarten? Wovor fürchte ich mich? Sind es die neuen Lehrer? Werden meine Kinder mit dem Schulstoff zurechtkommen? Aber nein, darum mache ich mir keine Gedanken. Meine Probleme sind viel profanerer Natur. Was werden wir für absonderliche Unterrichtsmaterialien besorgen müssen? Werde ich die nötigen Sachen finden? Habe ich die Ellenbogenschützer und den Sturzhelm parat, den ich brauchen werde, wenn ich mich in den Tagen nach Schulbeginn in die Schreibwarengeschäfte stürze? Wird mein Chef Verständnis für mich haben, wenn ich abgekämpft zum Nachtdienst erscheine, erschöpft von der Schlacht um Schnellhefter und Stahlfedern „Brause Cito fein“? Ich fühle mich gut vorbereitet. Die Schulsachen für mein kleines Drittklassmädchen habe ich schon besorgt. Dankenswerterweise haben wir die Besorgungsliste schon mit dem Jahreszeugnis erhalten, auch wenn noch nicht feststand, welche Lehrerin sie unterrichten wird. (Freunde der genderneutralen Ausdrucksweise mögen mich entschuldigen, Grundschulunterricht ist ausschließlich in weiblicher Hand). Hefte in liniert und kariert, mit und ohne Rand, sowie Heftumschläge in allen möglichen Größen und Farben stapeln sich im meinem Arbeitszimmer. Schnellhefter und Kollegblöcke liegen bereit, das Schuljahr kann kommen! Dienstag Mittag bricht das Inferno über mich herein. Das Sechstklasskind kommt heim, die Notizen erscheinen auf den ersten Blick harmlos: 4 Hefte, liniert mit Rand, kein Problem. Heftumschläge in hellblau und dunkelblau, sehen wir mal nach. Wir sind mit dunkelblau ausgestattet, aber nicht mit hellblau. Die karierten Hefte treiben mir die Tränen in die Augen. Nein, meine vorbereiteten Hefte mit und ohne Rand sind zu profan. Karierte hefte mit umlaufendem Rand müssen es sein. Auch ein Schnellhefter in hellgrün wird verlangt. Ungefähr 4 neue dunkelgrüne Schnellhefter besitze ich, leider muss es hellgrün sein. Das Kind findet im Stapel einen Hefter in türkis, übrig von letztem Jahr, und zieht mit diesem glücklich von dannen. Das Neuntklasskind will dieses Jahr gar keine Hefte mehr, ein Ordner samt Register muss es sein. Auch damit bin ich bereits ausgestattet, der Vorbereitung sei Dank. Allerdings benötige er noch dazu Heftstreifen in verschiedenen Farben, falls Lehrer mal ein Bündel einsammeln wollen. Ok, das Schreibwarengeschäft sieht mich heute eh noch. Der kleine frische Gymnasiast beglückt mich mit einer ganzen Liste. Ich liebe Listen! Warum schaffen die anderen Klassen das nicht auch? Interessanterweise finde ich fast alle Materialien in meiner Schreibwarendependance im Keller. Passen muss ich lediglich bei einem Schnellhefter in violett und einem brauen Heftumschlag. Die erste Stufe dieses Spiels habe ich erfolgreich absolviert, leider geht es ohne weiteres in den nächsten level. Der Fünftklässler benötigt 9€ passend für das English-Workbook, sowie 3€ passend für Kunstmaterialien. Damit sind meine Kleingeldvorräte bereits erschöpft. Die Sechstklässlerin benötigt aber auch 3€ passend. Der Neuntklässler hat sich pubertierend in sein Zimmer verzogen, ich frage ihn jetzt besser nicht, wieviel Kleingeld er benötigt. Nicht um seine Laune zu schonen, nein, es geht mir um mein Seelenheil. Die folgenden Tage geht das Spiel munter weiter. So einige Supermarktkassen müssen bei meinen Kleingeldwünschen schon passen, offensichtlich sind auch andere Eltern bereits auf der Suche nach Kleingeld für Lehrer. Die Liste des zu besorgenden Materials wächst. Ich habe beschlossen, Samstag alles gesammelt zu beschaffen, die Lehrer müssen bei meinen Kindern damit zurechtkommen, dass der gewünschte Heftumschlag halt erst in Stunde 3 bereitliegt. Vorsichtshalber habe ich eine Liste angelegt, welchem Kind ich welchen Betrag in Bargeld für welchen Verwendungszweck übergeben habe. Sonst verlöre ich sofort den Überblick, und nur zu leicht könnte eines der Kinder die günstige Gelegenheit zur Taschengeldaufbesserung nützen. Ich habe die erste Schulwoche bewusst den Nachtdienst gewählt, um nachmittags für das große „Schulsachbesorgungsspiel“ zur Verfügung zu stehen. Berufstätig und Mutter von schulpflichtigen Kindern zu sein ist nach wie vor eine logistisch anspruchsvolle Kombi. Völlig erschöpft falle ich nach dieser Woche wieder in Bett und beginne zu träumen: Ich finde mich am Schuljahresanfang 2019/20 wieder. Aber plötzlich ist alles ganz anders. Ich empfinde gar keinen Stress? Alles scheint parat zu sein und glatt zu laufen? Was ist passiert? Die Lehrer haben im Elternportal eine Liste erstellt für jede Klasse! Ich kann das Material gelassen auf einmal besorgen, es bleibt mir kein Vorratsmaterial übrig. Auch haben sich die Lehrer der Schule plötzlich auf einige wenige Heftsorten geeinigt. Keine verschiedenen kariert- und liniert-Hefte mehr, einfach nur noch DinA4 mit Rand. Auch scheinen Standardfarben wieder in Mode gekommen zu sein, kein Violett, kein Grau, nur noch rot, gelb, grün, blau, weiß und schwarz. Ab der Klasse 7 sind offensichtlich die Kinder jetzt auch in der Lage, selber zu entscheiden, welche Farbe (oder auch ganz ohne) sie ihren Heften verpassen wollen. Im Sinne der Nachhaltigkeit können sie nun einfach nehmen, was vom Vorjahr noch übrig ist. Auch die Arbeitshefte und Workbooks stehen nun auf der Liste. Ganz bequem setze ich mich auf die Couch und bestelle für alle Kinder alle Arbeitshefte auf einmal bei Amazon. Schon übermorgen werden die geliefert, die Abbuchung passiert auf einmal vom Konto, ich muss nicht mehr tagelang nach Kleingeld fahnden. Dieser Traum ist so schön, ich möchte gar nicht aufwachen!
von tina14 am 12.09.2018, 13:54