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Geschrieben von Holzkohle am 30.06.2017, 14:02 Uhr

Kindheit heute (auch viel Text)

also auf eine gewisse Art und Weise finde ich, dass mein Sohn eine schönere Kindheit hat als ich sie hatte. Wie gesagt, auf eine gewisse Art und Weise.

Ich bin 81 in die Schule gekommen und das zu DDR-Zeiten. Hab das ganze Pionier- und FDJ-Gedöns inkl. Jugendweihe mitgemacht. Samstags Schule kenne ich auch noch. Meine Mama war immer daheim, wenn ich von der Schule kam. Zumindest die ersten Schuljahre, davon abgesehen war ich ja auch im Hort (den ich zum Kotzen fand!) und im Schulchor. Mein Vater hat Schicht gearbeitet, den habe ich manchmal eine Woche am Stück nicht zu Gesicht bekommen... Wir waren im Jahr zweimal weg. Im Winter irgendwo in den typischen DDR-Wintersportorten und im Sommer meistens Ostsee. Dann hab ich immer noch eine Woche bei der einen Oma, eine bei der anderen Oma verbracht.
Einmal im Jahr war ich im Ferienlager von der Firma meiner Mutter. Im Vogtland. Hammer! Da war ich, bis ich aufgrund meines Alters nicht mehr mitfahren durfte. Von Beginn an war ich immer mit den drei gleichen Mädels in einem Zimmer untergebracht. Zu einer davon habe ich heute sogar immer noch Kontakt.

Dass wir das nicht-sozialistische Ausland nicht bereisen durften fand ich jetzt nicht so tragisch. Wir waren in Polen, in Ungarn und in der damaligen Sowjetunion.
Durch eine alte Kriegsbekanntschaft meines Opas hatten wir auch "Kontakte nach drüben" - materiell bin ich eigentlich aufgewachsen wie ein West-Kind. Ich bin sogar mit Scout-Ranzen eingeschult worden. Sorgte natürlich für irritierte Blicke. Aber ich bin tatsächlich damit groß geworden, das war für mich nichts... außergewöhnliches oder so.

Ich bin gerne draußen gewesen, hab aber genauso gerne meine Zeit im Zimmer verbracht. Ich war nie sehr beliebt, ich schwamm immer irgendwo mit aber eher hinten oder im hinteren Mittelfeld als ganz vorne.
Meine Eltern hatten, bis inkl. meinem 18ten Lebensjahr, ein akutes Problem damit, mich iiiirgendwo alleine hingehen zu lassen, wenn es außerhalb der Sichtweite unseres Fensters war. Ebenfalls hatten sie immer ein Problem damit, wenn ich woanders schlafen wollte. Das wurde grundsätzlich untersagt. Da brauchte ich auch nicht, wie es heute gerne gemacht wird, noch dreimal betteln oder nachfragen - nein hieß nein.
Bei mir wiederum schlafen durfte aber auch keiner :(

Ich erinnere mich nicht daran, dass wir jemals Geldprobleme gehabt hätten. Also ich hab es nicht erlebt, dass zum Monatsende es im Kühlschrank leerer wurde oder so.

Ebenfalls waren in meinem kompletten Familien - und Freundeskreis überall die Ehen intakt. Also... zumindest für meine kindliche Einschätzung. Die Eltern waren alle noch zusammen und Scheidungskinder kannte ich überhaupt nicht...

So, jetzt mein Sohn.
Der wird jetzt 14 im September. Er ist n ziemlicher Wirbelwind und war das schon immer. Hat diagnostiziertes ADHS, nimmt Medis. Mit den Jahren hat sich sein ganzer Zustand sehr verbessert.

Er ist jetzt seit der 5. Klasse Schlüsselkind. Vorher war er im Hort. Heute komme ich manchmal erst 20 Uhr nach Hause. Er genießt es allerdings auch, daheim alleine zu sein und Herrschaft über den Fernseher zu haben. Oder mit Freunden vor der Konsole zu sitzen. Gleichwohl geht er aber auch, und das jetzt im Sommer vermehrt, viel raus. SEHR VIEL raus. Er hat einen riesengroßen Freundeskreis und im Vergleich zu mir ist er tatsächlich einer von denen, die "vorn" sind. Nicht auf ekelhafte Weise oder bestimmend oder so, er wird einfach sehr gemocht.
Er hat irgendwann, ohne mein Wissen, seinen Aktivitätsradius auf eine ziemlich weit von unserer Wohnung entfernte Ecke gelegt. Ich habe dadurch nur durch Instagram-Fotos seiner Freunde erfahren. Es waren schöne Sachen dabei (an den Badesee gefahren, Shopping mit drei Weibern...) und nicht so schöne (auf den Dächern eines Abbruchhauses rumklettern) Inzwischen hat er das Letztere zumindest abgestellt.

Ich finde es schön, dass er viel unternimmt. Ich weiß nicht, ob ich so war. Also mit Freunden an den See gefahren (nein, war ich nicht) oder den Jugendklub besucht (hatten wir nicht), die machen Grillpartys, Übernachtungspartys, Kinoabend usw - Ich musste meine Eltern ANBETTELN ins Kino zu dürfen... Auch diese Übernachtungen bei Freunden haben SEHR zugenommen in den letzten Wochen. Um ehrlich zu sein sehe ich meinen Sohn meistens das letzte Mal Freitagabend, dann kurz zum Wäschewechsel und Duschen am Samstag und dann wieder Sonntagabend. Ja, ist blöd, da das Wochenende aufgrund der Arbeitszeit eigentlich genau die zwei Tage sind, wo wir uns mal wirklich SEHEN könnten. Gleichwohl ist mir aber klar, dass er halt einfach mit seinen Freunden lieber zsamm ist als jetzt ständig mit mir. Wobei wir solche Tage AUCH haben. Da flacken wir dann von Sa - So auf der Couch und gucken irgendwelche Serien... und kochen zusammen.

Ich finde das mit dem Übernachten schön. Irgendwie. Wie gesagt, meine Eltern haben mir das verboten. Bei uns gab es sowas nicht. Das geht aber auch NUR, weil ich das Gefühl habe, dass ich mich auf meinen Sohn verlassen kann.

Inzwischen hat mein Sohn auch von Deutschland und der Welt mehr gesehen als ich. Auch das finde ich schön. Dass er im Grunde genommen frei ist, oder wir es sind, und hinkönnen wo wir wollen (und was der Geldbeutel zulässt)
Überhaupt dass er so viele Möglichkeiten hat, auch beruflich, die ich damals zu DDR-Zeiten nicht hatte. Er kann n Jahr in den USA lernen. Oder wohin er möchte. Auslandspraktikum machen. Gab es alles damals nicht.
Er ist jetzt aufm Gym und "arbeitet" nebenher als Schauspieler/Kleindarsteller, verdient somit seit er 8 ist, sein eigenes Geld. Also nicht ständig... aber z.B. letztes Jahr kam eine ordentliche Summe zusammen.

Und da sind wir beim nächsten Thema: Geld. Ich bin alleinerziehend, wir bekommen keinen UHV (ok jetzt hat sich ja das Gesetz geändert) und keine Halbwaisenrente, der KV ist 2014 verstorben. Wir leben vom Gehalt und Kindergeld. Am Ende des Montats ist es manchmal bei uns eng, also RICHTIG eng. Also so, dass das Konto dicht ist oder meine Mama mir was leihen muss. Dass nicht mehr drei sondern nur noch eine Sorte Wurst im Kühlschrank sind bzw. man sich im Einkauf eh nur noch auf das Nötigste beschränkt.
Sämtliche "Großgeräte" wie XBox und Wii hat er sich von seinem Schauspielgeld gekauft. Und so blöd unsere finanzielle Situation oft ist- DAS fand ich wieder toll.

Was ich nicht so schön finde, ist, dass mein Sohn ohne Vater aufwächst. Dass dieser auch nie den Kontakt zu seinem Kind wollte. Dass mein Sohn im Freundeskreis ganz viele Kinder hat, wo die Eltern daheim streiten, sich schlagen, saufen. Sich getrennt haben. Einige seiner Freunde konsumieren Drogen und trinken. Eltern wissen das. Machen nichts. Eine seine Freundinnen ist von der Schule supsendiert worden (mit 13!), postet auf Instagram Fotos mit Joint in der Hand. Sein damals bester Freund ist von der Mutter in eine betreute WG gegeben worden, sie konnte nicht mehr. All das habe ich nie erleben müssen!

Terror habe ich nie erleben müssen. ich hatte nie Angst vor einem Angriff, einem Attentat. Sowas gabs irgendwie nicht.
Mein Sohn gleichwohl hat am eigenen Leib den 19.12.16 miterleben müssen, da ich (wenn auch nicht körperlich aber psychisch) eins der Opfer des Attentats des Berliner Weihnachtsmarkts bin. Ich war mit drei Kolleginnen vor Ort, als der Lkw auf uns zugerast kam und nur 10 m vor uns zum Stehen kam. Ich finde es schade, dass mein Sohn mit Angst aufwachsen muss, mich fast verloren zu haben. Und nicht, weil ich bei rot über die Straße bin oder ne Krankheit habe - nein, aus einem terroristischen Hintergrund...

Aber wir sind n ziemlich geiles Team. Auf eine andere Art und Weise als ich damals mit meinen Eltern. Zu denen ich ein super Verhältnis habe. Wir sind irgendwie... enger, hab ich das Gefühl. Er hat schon viele Freiheiten bei mir. Er hat kaum häusliche Pflichten. Wobei, die hatte ich auch nie.

Ich bin vielelicht sicherer und behüteter (eher eingesperrt?) aufgewachsen. Dafür hatte ich wahrscheinlich aber auch wesentlich weniger Spaß als mein Sohn jetzt :)

Und viele Sachen gab es halt einfach damals noch nicht. Handy. Internet. Farbfernseher! Die Reize sind heute wesentlich höher, die Möglichkeiten andere.

 
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