Wenn aus Eltern Vorbilder werden

Eltern mit Kind am Strand

© Adobe Stock, Dmitry Ersler

Auch wenn es bisher noch nicht aufgefallen ist - spätestens gegen Ende des zweiten Lebensjahres ihres Nachwuchses dämmert es den meisten Eltern, dass sie kaum mehr aus den Augen gelassen werden. 

Nun wird manchmal mehr übernommen wird, als den "Vorbildern" eigentlich lieb ist. Aber was bleibt den Kleinen denn übrig? Sich nur bei Opa Willi das Grimassenschneiden oder bei Tante Frieda das Kußmundmachen abzuschauen - nein, das wäre Mami und Papi schließlich auch nicht recht. Also bleiben doch die Eltern. Aber was ist das Abgucken wert - und was eher nicht ? Das als kleiner Krabbler unterscheiden zu können, wäre wohl ein bißchen viel verlangt.

Lernen am Modell: das Vorleben ist entscheidend

Ja, ja - heben die Entwicklungspsychologen belehrend den Finger: selbst die besten und ausgeklügelsten Erziehungsstrategien und -methoden greifen nicht, wenn sie nicht mit dem "Vorgelebten" in Einklang stehen. Uff - werden viele Eltern mit einem langen Blick in den Stubenwagen denken - das kann ja heiter werden. Wird es auch :-)

Nein, im Ernst - im zweiten und dritten Lebensjahr ist die Nachahmung derjenigen Personen, die am nächsten stehen, die wichtigste Quelle der Verhaltensentwicklung. Psychologen nennen diese Phase "Lernen am Modell". Dabei richtetet sich das Interesse der kleinen Sprößlinge - deren Wahrnehmungsfähigkeit immer öfter nicht mehr viel zu wünschen übrig läßt - nicht selten viel intensiver auf Mami und Papi, als diese vermuten.

Übernommen werden jetzt nicht nur äußere Verhaltensweisen, sondern auch schon sehr genau beobachtete "Einstellungen" der Eltern zu diesem und jenem. Die Kleinen verfolgen, wie Mami und Papi mit Problemen umgehen und wie sie sich in bestimmten Situationen verhalten. Wenn Mami mit dem Wäschekorb auf die Terrasse geht und sich unter einer Wäscheleine hindurchbeugt - dann kann es sein, daß auch Klein-Luzie den Kopf unter der Leine durchsenkt - auch wenn diese gut einen Meter über ihr verläuft. Das Problem ist erkannt - nur die Feinheiten noch nicht :-)

Aber auch wenn Besuch kommt, den die Eltern am liebsten schnell wieder loswerden würden, ist das für die Kleinen oft zu spüren - und sie sind durchaus in der Lage, Gesprächsfetzen, Gesichter und Handlungen der Eltern (angenommen, sie sind für einen Moment in der Küche unter sich) schon mit dem Wunsch "die Tante langsam wieder loszuwerden" zu verbinden. Wenn dem Sprößling die Tante beim nächsten Besuch selbst auf den Wecker geht, wird er das Beobachtete natürlich als das vermutlich beste Mittel anwenden.

Keine Sache der Vererbung: Verhalten wird abgeschaut

Heute weiß man, daß viele Verhaltensmuster - viele Eigenschaften eines Menschen nicht, wie früher fälschlich angenommen, auf die Vererbung zurückzuführen sind. Vielmehr sind sie aus Beobachtetem und Nachgeahmten - aus dem "Modell-Lernen" gewachsene Verhaltensweisen, Bewegungsformen, Charaktereigenschaften und Persönlichkeitsstrukturen; ja sogar neurotische Symptome können auf diese Weise von einer Generation an die andere "weitergegeben" werden.

Wichtig zu wissen ist auch, daß nicht nur Verhaltensmuster von Personen übernommen werden, sondern auch ihre Beziehung zueinander - z.B. die der Eltern - unter die Lupe genommen werden. Aus der Beobachtung der Beziehung der Eltern - wie reagiert der eine wenn der andere dieses oder jene tut - z.B. sagt, daß er schmusen will oder vielleicht das Radio zu laut aufdreht, ihm ein Missgeschick passiert oder ... oder ... oder. Aus diesen Beobachtungen erwächst das erste eigene soziale Verhalten. Dabei kommt es nicht darauf an, was die Eltern in diesen Situationen denken oder fühlen - es kommt darauf an, wie das Kind diese erlebt und bewertet. Auch wenn es sich noch gelegentlich täuscht - z.B. einen ausgelassenen heftigen Wortwechsel als ernsten Konflikt deutet - so formen sich doch schon Antworten auf Fragen wie: Was ist Fürsorge, Fairness oder Rücksichtnahme? Kinder verinnerlichen immer zuerst das in Elternbeziehung Erlebte als Antwort auf solche Fragen.

Neben dem Kontakt zur Mutter ist der Kontakt zum Vater - das "ihn in der Beziehung zur Mutter erleben und erfahren" viel wichtiger, als man früher glaubte. Kinder brauchen für ihre Entwicklung eigentlich beide Elternteile gleichermaßen - auch wenn das leider nicht immer machbar ist. Ihr eigenes Verhaltensrepertoir wächst wesentlich schneller, wenn sie nicht nur die Mutter als einziges Vorbild haben - also schon früh das Verhalten und die Persönlichkeit zweier "Modelle" - bzw. deren Miteinander - erleben und daraus lernen können. So kann es z.B. leichter lernen, daß man ein und dasselbe auf verschiedene Art und Weise machen kann - oder auf Probleme und Situationen verschieden reagieren kann.

Rituale mit Papa: regelmäße Abläufe vermitteln Vertrauen

Damit ein Kind neben der Mutter auch den Vater als Bezugsperson und "Vorbild" akzeptiert, sollten sich auch Väter von Anfang an viel mit ihm beschäftigen - zum Beispiel regelmäßig das BadenWickeln oder Geschichtenerzählen übernehmen. Wichtig ist eine Regelmäßigkeit, die dem Kind ein Vertrauen auf Zuverlässigkeit vermittelt. Vertrauen wiederum ist die beste Basis für das Lernen vom "Vorbild".

Aber keine Regel ohne Ausnahme: Es kommt immer wieder vor, dass Kinder sich scheinbar völlig unmotiviert in die "Gegenrichtung" der Eltern zu entwickeln scheinent - leidgeprüfte Mamis und Papis pflegen das mit einem kopfschüttelndem "... wenn ich wüßte, woher das Kind das hat - von mir jedenfalls nicht" zu begleiten. Oft ist so ein Verhalten nichts als Trotz gegenüber dem Verhalten der Eltern, das nicht verstanden wurde - und deshalb erst einmal mit einem gegensätzlichen Verhalten abgelehnt wird. Oder das Kind zeigt ganz einfach unbedarft Verhaltensmuster, deren "gut" oder "schlecht", "angebracht" oder "nicht angebracht" es für sich selbst noch nicht klären konnte - die wir als Erwachsene für uns selbst möglicherweise längst ausgeschlossen haben. Auch Kinder müssen ihre Erfahrungen eben erst machen.

Zuletzt überarbeitet: April 2019

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