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Stillen - Tipps, Erfahrungen und Austausch für stillende Mütter

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Geschrieben von sileick am 21.07.2014, 22:51 Uhr

Rosafizierung und harte jungen

Das Problem hab ich professionell in der Schule häufig erlebt. Ich habe sowohl an Grundschulen als auch an Gesamtschulen jeweils lange Zeit gearbeitet. Besonders an Grundschulen ist es ein Riesenproblem, dass es fast nur Lehrerinnen gibt. Ich hab nur ganz wenig Männer dort erlebt, und davon wieder nur wenige, die Grip genug hatten, um hilfreiche Vorbilder zu sein. Die Jungs in meinen Klassen kamen überwiegend klar, aber sehr oft habe ich mir einen hilfreichen männlichen Partner gewünscht, der das Rollenbild, das sie zum Teil mitbrachten oder verwirrenderweise nicht so recht im institutionellen Rahmen entwickeln konnten, unterstützen konnte.

Am windigsten wurde es beim Sexualkundeunterricht. Da habe ich schließlich die Lehre gezogen (als Frau kann ich per se einfach keine Anti-Klischee-Arbeit gegen Männer-Macho-Klischees bei Jungs oder Muss-machen,-was-Junge/Mann-will-sonst-hat-er-mich-nicht-mehr-lieb-Klischees bei Mädchen machen, bin ja kein Mann, der eine Alternative dazu bietet). Zumindest in den Gesamtschulen habe ich deswegen einen von mir als geeignet befundenen und in der Klasse mit einem Fach selbst vertretenen Kollegen gebeten, mal mitzumachen, so dass ich die Gruppe teilen konnte, Jungs mit ihm, Mädchen mit mir und umgekehrt. Das war extrem hilfreich und aufschlussreich!

Aber sowohl ich als auch er hatten es hammerschwer: Bei den Jungs ein Riesenhaufen an machomäßigen Vorstellungen über Sex, über Verhütung, über entsprechende Verantwortlichkeiten, über Umgang miteinander, Orgasmus bei Frauen vs Männern etc. Bei den Mädchen ein Riesenhaufen gedeckelter Verlegenheit, Ängstlichkeit, will sagen Opferbereitschaft oder im anderen Extrem ganz viel trotziges Aufbegehren gegen ebendiese Vorstellungen, dass Frau klein und ängstlich sei und Mann sich Frau nehmen kann etc. Das nur kurz.

Nach meinen Erfahrungen mit den Kindern und Jugendlichen ist da Emanzipation gesellschaftlich null angekommen, zumindest in den breiten Massen. Dazu beitragen tut im erheblichen Maße das Fernsehprogramm, aber natürlich auch das Umfeld, die männlichen und weiblichen Vorbilder.

In einem Fall wurde ein Mädchen der 6. Klasse quasi vergewaltigt von Klassenkameraden, die das Einführen eines Regenschirms mit Festhalten etc. nachstellten, wenn auch nicht tatsächlich machten und andere Praktiken mit dem (sich kaum wehrenden aber leidenden) Mädchen durchführten.

Das war aber nicht das Schlimmste. Als sich das Mädchen der Klassenlehrerin anvertraute, gaben die Jungs das zu. Die in die Schule zur Hilfe geholten Polizisten wiegelten ab, es seien ja Minderjährige, da sei die Polizei nicht zuständig. Der Rektor fand, dass Jungs, die eine Gymnasial- oder Realschulempfehlung hatten (Gesamtschule, man hatte dort so viele Hauptschüler und strebte die Drittelung GY/RS/HS-Empfehlung an und wollte die Leistungskurse vollkriegen, besseres Renomme usw.), doch besser in Klasse und Schule verbleiben müssten, das Mädchen (leider nur HS) könnte dann ja besser die Schule wechseln. Selber Rektor stellte auf Feiern immer einer Referendarin nach, indem er sie übergriffig anfasste und in den Arm nahm etc.

Ich habe damals als Gleichstellungsbeauftragte eine Expertin vom Jugendamt ausfindig machen können, die zu diesem Thema beratend hinzugezogen werden konnte (einzige im Bundesland!). Sie war hochkompetent und hilfreich, meinte aber, fast resigniert, das sei normal, wenn an institutionellen Einrichtungen Fälle von sexuellen Übergriffen passierten. Am liebsten totschweigen.

Das Ende vom Lied war, dass ich in Gesprächen mit den Eltern dafür sorgte, dass die Jungs zwecks Vermeidens der ewigen Re-Traumatisierung des Mädchens an einer neuen Schule anfingen, begleitet durch therapeutische Maßnahmen, um diese Erfahrungen aufzuarbeiten und ggf. die "Verursacher" in den Familien bzw. der Umgebung der Jungs ausfindig zu machen und ihren Einfluss abzuschalten. Auch für das Mädchen wurde therapeutisch darfür gesorgt, dass das gut begleitet werden konnte, inklusive der Familie. Das Verhalten von Kollegen, Polizei und Eltern war himmelschreiend. Ich war nach dieser mehrere Monate sich hinziehenden Kraftprobe erst einmal längere Zeit krank, es nahm mich unheimlich mit zu sehen, was hinter den Kulissen läuft, und der ewige Kampf gegen diese gewaltigen Windmühlen von Ignoranz und Arroganz war unheimlich anstrengend.

Ich will hier keine alten Sachen ausheulen, sondern mehr darauf hinweisen, dass wir gesellschaftlich noch ziemlich weit weg von ernsthafter Emanzipation sind und dass sowohl ein großer Teil der Frauen immer noch tief innewohnende Vorstellungen von Kleinheit, Dienertum und Unterlegenheit in sich tragen und weitergeben, genau wie ein großer Teil der Männer sich noch immer bewusst oder unbewusst als Überlegende, Kontrollierende, rechtmäßig Fordernde etc. begreifen.

Da sind rosa Kleidchen nur ein kleiner Nachhall des Problems, das darunter liegt, Jungs die nicht weinen oder kein rot tragen desgleichen. Was nicht heißt, dass man nicht andere Zeichen setzen kann, wenn es für das Kind ok ist.

Ich wünsche mir mehr Männer in der früheren institutionellen Erziehung (dafür muss man den Beruf "aufwerten", sonst kommen die kaum!!!), mehr kritisch aufmerksame Menschen und mehr Möglichkeiten, offiziell in den institutionellen Rahmen eingebettet, um ein Gesellschaftsbild zu mehr Gleichwertigkeitsvorstellung zu entwickeln.

Wieder eine nette Diskussion hier.

 
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