Hallo liebes Stillteam,
der Kleine ist jetzt über 8 Monate alt und eigentlich hab ich Mittags-, Nachmittags- und Abendbrei bereits eingeführt. Aber leider isst er momentan fast garnichts, nach 3 bis 4 Löffeln ist Schluss. Mittags wird mit dem 1. Löffel die Verdauung so angeregt, dass ich ihn erstmal krabbeln und die Windel füllen lassen muss.
Nachmittags kaum was, abends gelegentlich 1/2 Milchbrei.
Nachts stille ich ununterbrochen. Rechts/links/rechts/links ....Er verweigert sowohl Flasche als auch Schnulli.
An den Tagen, wo er nicht so viel isst, ist auch nach dem Nacht-Stillen die Windel nicht besonders voll.
Kann es sein, dass er durch das Nacht-Stillen seinen Bedarf völlig stillt -im wahrsten Sinne des Wortes?
Er ist nicht dick, eher einer von den Dünnen. Der Doc sieht aber kein Problem darin.
Was soll ich machen? Er kommt doch überhaupt nicht an seine Nährstoffe aus Fleisch und Getreide, wenn das so weitergeht.
Und wie soll ich da je abstillen?
Um Rat bittet: Doris
Mitglied inaktiv - 28.10.2010, 17:48
Antwort auf:
Hauptnahrungsquelle das nächtliche Stillen?
Liebe Doris,
Ihr Baby ist gerade erst acht Monate alt und damit noch am Beginn der "Beikostkarriere" und in
dieser Zeit sollte der Begriff "BEI Kost" wörtlich verstanden werden. Beikost ist etwas, was
die Muttermilch ergänzt und nicht ersetzt. Es ist deshalb normal und richtig in Verbindung mit
der Beikost zu stillen, nicht zuletzt deshalb, weil auf diese Weise bestimmte Bestandteile der
Beikost vom Kind besser verwertet werden können.
Ich weiß, dass fast überall steht: "zunächst wird die Mittagsmahlzeit ersetzt und im Abstand von etwa vier Wochen ersetzen Sie die nächste Mahlzeit usw". Gleichzeitig wird "eine Mahlzeit" als die Menge definiert, die in ein Gläschen passt und zwar für alle Kinder gleich. Doch dieses Schema, das leider immer noch oftmals propagiert wird verursacht in vielen Fällen nichts weiter als Stress und Tränen. Es ist einfach zu sehr in den Köpfen vieler Menschen verwurzelt, dass eine Stillmahlzeit "ersetzt" werden müsse, dabei stimmt das gar nicht. Schon der Begriff BEI Kost drückt doch aus, dass es sich bei dieser Nahrung um eine ergänzende Nahrung und nicht um einen Ersatz für die Muttermilch handelt. Wäre es ein Ersatz, dass würde es ANSTATT Kost heißen.
Die Empfehlung lautet also nicht strikt erst eine komplette Mahlzeit vollständig zu ersetzen, ehe die nächste Mahlzeit ersetzt wird, sondern erst etwa eine Woche abwarten, ehe ein neues Nahrungsmittel eingeführt wird und die Beikost als Ergänzung und nicht als Ersatz für die Muttermilch betrachten. Daher gibt es auch keine festgelegte Zahl für die Stillmahlzeiten, sondern das Kind kann weiterhin nach Bedarf gestillt werden. Im gesamten ersten Lebensjahr sollte Muttermilch das Hauptnahrungsmittel des Kindes sein.
Man kann eine Faustregel aufstellen, dass ein Baby mit sieben Monaten eine bis zwei zusätzliche Beikostmahlzeiten ergänzend zur Muttermilch bekommt, mit acht Monaten zwei bis drei, mit neun Monaten zwei bis vier, mit zehn Monaten vier und mit zehn bis zwölf Monaten drei bis fünf. Daneben kann und darf es so oft gestillt werden, wie es möchte.
Mit sieben bis neun Monaten braucht das Kind noch mindestens drei Milchmahlzeiten, mit zehn bis zwölf Monaten noch mindestens zwei. Wird das Kind ausreichen häufig gestillt, braucht es keine andere Milchnahrung und auch keinen Milchbrei oder Flaschennahrung.
Allmählich wird sich die Menge der Beikost von selbst steigern und etwa ab den ersten Geburtstag werden sich das Verhältnis Beikost zu Muttermilch langsam umkehren, bis sich das Kind (wenn es dazu die Gelegenheit erhält, die Entscheidung selbst zu treffen) schließlich irgendwann ganz abstillen wird.
Was nun die "berühmten" Mangelerscheinungen betrifft, möchte ich Ihnen die Zusammenfassung
einer Kollegin von mir zu einem Vortrag von dem spanischen Kinderarzt Dr. Carlos Gonzales
auf der LLL Europa Konferenz in Nottingham hier anhängen, ich denke, das
wird Sie beruhigen.
LLLiebe Grüße
Biggi
Mein Kind will nicht essen
Vortrag von Dr. Carlos Gonzales auf der LLL Europa Konferenz 2000 in Nottingham
zusammengefasst von Denise Both IBCLC
Dr. Carlos Gonzales ist Kinderarzt in Barcelona. In den letzten zwölf Jahren hat er Vorträge
bei zahlreichen La Leche Liga Konferenzen gehalten. Er gründete ACPAM (eine
katalanische Stillorganisation), organisiert Stillkurse für medizinisches Fachpersonal in ganz
Spanien, übersetzte Veröffentlichungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ins
spanische und ist Mitglied des Medizinischen Beirates von LLLInternational. Dr. Gonzales ist
Vater von drei gestillten Kindern.
1999 hat Dr. Gonzales sein Buch "Mi nino no me come" (Mein Kind will nicht essen)
veröffentlicht und mit diesem Thema beschäftigte sich auch sein Vortrag in Nottingham.
"Mein Kind isst nicht(s)" das ist einer der Sätze, mit denen Kinderärzte fast täglich in ihrer
Praxis konfrontiert werden. Besorgte Mütter berichten entsetzt, wie wenig ihre Kinder essen
und schildern mit welchen Tricks sie versuchen, Nahrung in ihr Baby oder Kleinkind
hineinzuzwingen. Der Kampf ums Essen spielt sich täglich ab und letztlich gibt es nur
Verlierer.
Dr. Gonzales erklärte in seinem Vortrag, dass er nun nicht ein Patentrezept liefern mag, mit
dem erreicht wird, dass das Kind isst, sondern er will erklären, warum das Kind nicht isst.
Zunächst einmal gibt es drei Gründe, warum ein Kind nicht isst: es gibt nichts zu essen, das
Kind hat keinen Hunger oder das Kind ist krank. Der erste Grund ist in unserer Gesellschaft
meist auszuschliessen. Ein gesundes Kind isst in der Regel wenn es hungrig ist, allerdings
nicht immer das, was die Mutter möchte und schon gar nicht so viel wie es nach den
Vorstellungen der Mutter essen müsste. Verwunderlich ist dabei, dass die Kinder noch nicht
verhungert sind, obwohl sie laut Aussage der Mütter "nichts" essen.
Gestillte Babys lehnen oft feste Nahrung über einen langen Zeitraum ab, nicht selten bis zum
Alter von acht Monaten oder gar einem Jahr. Die Mutter verzweifelt und das Kind leidet, weil
ständig versucht wird, es zum Essen zu überreden oder gar zu zwingen. Wie kommt es nun
dazu, dass (anscheinend) immer mehr Kinder die Nahrungsaufnahme verweigern? Und ist
es notwendig ein Kind zum Essen zu zwingen?
Dr. Gonzales vergleicht, wie sich die Empfehlungen, wann das Baby feste Nahrung erhalten
beziehungsweise wie lange es ausschliesslich gestillt werden sollte, im Verlaufe der letzten
100 Jahre verändert haben. Dann hat er das "Phänomen" der nicht essenden Kinder sowie
die Sorge der Mütter, dass Ihre Kinder nicht essen, anhand der diesbezüglich in
Kinderpflegebüchern auftretenden Ratschläge beleuchtet und einen erstaunlichen (oder
vielleicht doch nicht erstaunlichen) Zusammenhang gefunden:
Anfang des 20. Jahrhunderts wurde in spanischen Büchern zur Säuglingspflege eine Zeit
von zwölf Monaten mit ausschliesslicher Muttermilchernährung empfohlen. Gleichzeitig findet
sich nirgends ein Hinweis in diesen Büchern, wie mit einem Kind zu verfahren sei, das nicht
essen will. Je weiter das Jahrhundert fortschreitet, um so jünger sollen die Kinder laut den
Empfehlungen der diesbezüglichen Bücher sein und: um so mehr Ratschlage gibt es, was
mit einem Kind zu tun sei, das nicht essen will. Wird zu Beginn der dreissiger Jahre noch nur
ganz kurz auf dieses Thema eingegangen, so sind 30 Jahre später schon seitenweise
Abhandlungen zu finden, was mit einem die Beikost (im Alter von drei bis sechs Monaten)
verweigernden Kind zu tun sei und die Seitenzahlen zu diesem Thema werden von Jahr zu
Jahr mehr.
Wie viel Nahrung braucht ein Kind?
Der Nahrungsbedarf eines Kindes hängt ab von seiner Körpergrösse, seiner Aktivität und
vom Wachstum des Kindes. Allerdings ist es nicht so, dass das Kind wächst, wenn es isst,
sondern umgekehrt, das Kind isst, wenn es wächst. Der Nahrungsbedarf des Kindes lässt
sich daher nicht pauschal bestimmen. Am ehesten gelingt dies, wenn das Kind sich in einer
Wachstumsphase befindet, dann lässt sich eine Relation zwischen Gewicht des Kindes und
erforderlicher Nahrungsmenge herstellen.
Ein Kind im Alter zwischen einem und vier Jahren benötigt etwa 1000 bis 1100 kcal pro Tag
(das entspricht etwa 102 kcal pro Tag und kg Körpergewicht). Nun gibt Dr. Gonzales an, was
ein "nicht essendes Kind" täglich nebenbei zu sich nimmt:
1/2 l Milch (335 kcal), einen Becher Joghurt mit Früchten (141 kcal), einen Schokoriegel (275
kcal) und 150 ml Apfelsaft (85 kcal). Zusammen ergibt das bereits eine Kalorienaufnahme
von 836 kcal. Wie soll das Kind dann noch zwei komplette weitere Mahlzeiten essen können,
wenn es seinen Kalorienbedarf bereits zu gut 80 Prozent quasi "nebenbei" gedeckt hat?
Wie lange kann ein Baby ausschliesslich mit Muttermilch ernährt werden?
Die derzeit verbreiteste Empfehlung lautet, dass ein Baby mit sechs Monaten zusätzliche
Beikost ergänzend zur Muttermilch benötigt. Nun gibt es aber bekanntermassen viele
gestillte Kinder, die zu diesem Zeitpunkt noch keine Beikost akzeptieren. Dr. Gonzales hat
deshalb eine Aufstellung gemacht, wie viel Muttermilch (MM) ein Baby im Alter zwischen
neun und zwölf Monaten benötigt, um den empfohlenen Bedarf an verschiedenen
Nährstoffen zu decken:
Energie: 830 kcal = 1185 ml MM
Eiweiss: 9,6 g = 910 ml MM
Vitamin A: 350 µg = 700 ml MM
Vitamin B: 0,4 µg = 412 ml MM
Vitamin C: 25 mg = 625 ml MM
Diese Angaben zeigen, dass Muttermilch den Bedarf des Kindes an vielen Nährstoffen lange
zu decken vermag und nicht unbedingt Eile geboten ist, das Kind zum Essen zu zwingen.
Ohnehin sind die Empfehlungen dazu, wie viel ein Baby benötigt meist zu hoch. Die
Empfehlungen beruhen beispielsweise darauf, dass untersucht wird, welche Mengen
gesunde, reif geborene Babys im Durchschnitt essen. Daraus werden Richtwerte berechnet,
die sich immer an den Höchstmengen orientieren und zusätzlich noch Sicherheitszuschläge
enthalten.
Babys benötigen auch weniger Eisen, als meist angegeben wird. Dabei lässt sich
beobachten, dass die meisten Kinder instinktiv das essen, was bei einem Mehrbedarf an
Eisen sinnvoll ist.
Babys sind Skeptiker, wenn sie neue Lebensmittel essen sollen. Dieses Misstrauen ist ein
Schutzmechanismus, der das Kind davor bewahren soll, etwas zu essen, was ihm nicht
bekommt. Bevorzugt isst ein Baby das, was auch seine Mutter isst, denn dieser Geschmack
ist ihm durch die Muttermilch vertraut. Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass ein Baby
gekochte Karotten ablehnt, wenn die Mutter nie gekochte Karotten isst.
Die meisten Babys mögen kein Gemüse, aber sie essen gerne Bananen, Nudeln und
Süssigkeiten. Ein Vergleich der Kaloriendichte ergibt, dass Babys Nahrungsmittel mit einer
grösseren Kaloriendichte bevorzugen und Muttermilch liefert mehr Kalorien als Gemüse und
die meisten Nahrungsmittel, aus denen Mahlzeiten für Babys hergestellt werden. Um die
gleiche Menge an Kalorien, wie sie in 100 ml Muttermilch enthalten sind, durch den Verzehr
von Karotten aufzunehmen, müsste das Kind fast 400 g gekochte Karotten essen!
Daraus lässt sich ein Zusammenhang zwischen Unterernährung und Nicht Stillen erklären:
da der Magen des Babys klein ist, benötigt es hochkalorische Kost. Gemüse kann nicht in so
grossen Mengen gegessen werden, wie es notwendig wäre, um das Kind mit genügend
Kalorien zu versorgen.
Laut Dr. Gonzales weiss das Kind ganz genau, was und wann es essen muss. Deshalb
lautete sein Schlusssatz, den er den Zuhörern mit nach Hause gab:
Zwingen Sie ein Kind niemals zum Essen. NIEMALS!
von
Biggi Welter
am 28.10.2010
Antwort auf:
Hauptnahrungsquelle das nächtliche Stillen?
Danke wieder einmal für die Antwort, die mir Mut macht.
Nur noch eine kurze Frage: Gestern u heute habe ich versucht, tagsüber nicht zu stillen und er hat trotzdem nichts gegessen. Bedeutet das, dass er das wirklich "aussitzt" und von sich aus quasi wartet, bis er wieder gestillt wird?
Ich werde jetzt jedenfalls Ihre kompetente Antwort den nervigen Omas zeigen
und weitermachen, wie gehabt. Nämlich mit Stillen nach Bedarf, nachts vormittags und auch nachmittags.
LG
Doris
Mitglied inaktiv - 28.10.2010, 20:28
Antwort auf:
Hauptnahrungsquelle das nächtliche Stillen?
Liebe Doris,
es wird so sein, dass Ihr Baby einfach noch nicht bereit ist, größere Mengen Beikost zu essen.
Auch wenn es immer wieder behauptet wird: mit neun Monaten ist ein Baby noch nicht so
"raffiniert", dass es die Mutter so bewusst austricksen will und gar durch
Nahrungsverweigerung das Abstillen verzögern will.
Es kommt immer wieder einmal vor, dass ein Baby die Beikost ablehnt und statt dessen wieder
häufiger oder mehr gestillt werden will. Dafür gibt es viele Gründe von einer sich
ankündigenden Erkältung über Zahnungsprobleme oder einfach nur einem zu hektischen Tag.
Das Abstillen ist ohnehin kein kontinuierlich verlaufender Prozess, dass gibt es immer wieder
einmal kleinere oder größere Rückschritte.
Wichtig ist, dass aus dem Thema "Essen" kein Kampf gemacht wird. Einen solchen Kampf
verlieren die Eltern sehr schnell und viele Essstörungen haben ihre Ursache in der ganz frühen
Kindheit, wenn das Baby zum essen gezwungen werden sollte.
Lassen Sie sich nicht verunsichern!
LLLiebe Grüße,
Biggi
von
Biggi Welter
am 28.10.2010