Frage: Stillrhythmus

Liebe Stillberaterinnen, meine Tochter ist vier Monate alt. Bis vor etwa drei Wochen hat sie nach dem Stillen abends von 20 Uhr bis 2/2:30 Uhr, teilweise sogar 3 Uhr geschlafen. Sie ist dann beim Stillen eingeschlafen bis 5 Uhr, dann bis 8/8:30 Uhr. Manchmal hat es um 5 Uhr sogar gereicht, dass ich sie einfach nur zu mir ins Bett geholt habe und ich somit nur einmal nachts gestillt habe. Das ist jetzt leider vorbei und wir sind aktuell bei einem 2,5/3-Stunden-Rhythmus. Kann es sein, dass sie nicht mehr satt genug wird um länger durchzuhalten? Ich bin versucht, ihr abends Pre-/Folgemilch zu geben. Wie ist Ihre Einschätzung? Vielen Dank im Voraus!

von Sissy2011 am 19.09.2017, 03:38



Antwort auf: Stillrhythmus

Liebe Sissy2011, als Eltern glauben und hoffen wir immer auf eine lineare Weiterentwicklung der Fähigkeiten unserer Kinder. Beim Schlafverhalten können wir jedoch nicht davon ausgehen, dass die Entwicklung kontinuierlich verläuft, im Gegenteil, relativ viele Babys schlafen mit zwei Monaten deutlich länger und anhaltender als mit vier oder sechs Monaten. Das Schlafverhalten hängt nicht unbedingt oder nur in extrem geringem Maße von der Ernährung ab. Gerade in der Zeit ab etwa vier bis sechs Monate wachen viele Babys (wieder) vermehrt auf. Dies liegt nicht an der Ernährung des Kindes, sondern ist entwicklungsbedingt. Deshalb ist die Einführung von fester Nahrung oder künstlicher Säuglingsnahrung auch keine Garantie für angenehmere Nächte. Die Kinder beginnen um diesen Zeitraum die Welt sehr konkret zu erleben, sie müssen das am Tag Erlebte in der Nacht verarbeiten, sie lernen neue Fähigkeiten (umdrehen, robben, krabbeln, gezieltes Greifen ...), sie beginnen den Unterschied zwischen fremd und bekannt zu erkennen. All dies ist ungeheuer aufregend und auch anstrengend. Dazu kommt, dass sich die Zähne verstärkt bemerkbar machen, dass vielleicht die erste Erkältung kommt und, und, und ... Der scheinbare Rückschritt im Schlafverhalten ist eigentlich ein Fortschritt, denn er zeigt, dass die Entwicklung des Kindes voranschreitet. Es hat seinen Grund, warum stillende Mütter die besten Einschlafhilfen SIND. Beim Saugen an der Brust findet ein Baby das, was es braucht: Trost, Nahrung, Sicherheit. Es liegt vermutlich an einer gewissen neurologischen Unreife, wenn einige Babys das mehr brauchen als andere, und es "verwächst" sich wirklich von alleine!! Dein Baby braucht also vor allem eines: Zeit zum Reifen. Vielleicht "schenkst" Du ihm einfach noch ein bisschen von dieser Zeit, in der du ihm gestattest, so zu sein, wie es ist. Du machst nichts falsch! Die unruhigen Nächte sind furchtbar anstrengend, daran kann ich mich auch noch gut erinnern. Trotzdem: Sie sind normal und werden garantiert irgendwann vorbei sein. Wann, kann ich leider nicht sagen. Aber sie gehen wirklich vorbei! Bis dahin kannst du probieren, dir den Alltag so einfach wie möglich zu machen, so dass auch du tagsüber mal ein kurzes Nickerchen machen kannst. Abgesehen von den umstrittenen Schlaftrainingsprogrammen, die von Stillexperten nahezu einhellig abgelehnt werden, bleibt in dieser Zeit nicht viel, als geduldig zu bleiben und sich die Tage und Nächte so einfach wie möglich zu gestalten. Das Buch von William Sears, "Schlafen und Wachen", dass es z.B. über La Leche Liga Deutschland zu kaufen gibt, kann hier tatsächlich hilfreich sein. Nicht, dass es große Auswege aufzeigen würde, aber es erklärt, warum das so ist mit unseren Babys, und warum das auch ok ist. Allein das Wissen kann eine Mutter schon beruhigen, und ihr den Stress nehmen, sie hätte ihrem Kind etwas Verkehrtes antrainiert. Überlege dir auch einmal zu einem Stillgruppentreffen zu gehen und tausch dich dort mit den anderen Müttern aus. Vielleicht hast Du sogar das Glück so wie ich vor Jahren, dass Du dort Mütter oder eine Stillberaterin kennen lernst, die bereits ältere Kinder haben und Du kannst miterleben, dass es sich lohnt noch etwas durchzuhalten. Eine Stillberaterin in deiner Nähe findest Du im Internet unter http://wwwlalecheliga.de (La Leche Liga), http://www.afs stillen.de (Arbeitsgemeinschaft freier Stillgruppen) oder http://www.bdl stillen.de (Still und Laktationsberaterinnen IBCLC). Ich hoffe, der Text war dir jetzt nicht zu lange und wenn Du noch Lust zum Lesen hast, dann schau dir auch den angehängten Text von Dr. Paky an. Ich hoffe, die Antwort hilft dir weiter. LLLiebe Grüße Biggi Die Kunst, sein Kind schlafen zu lassen Prim. Dr. Franz Paky, Leiter der Schreiambulanz (Ambulanz für Schreien und Schlafstörungen) der Kinderabteilung des LKH Mödling Schlafen, Alleinsein, Finsternis Für ein Kind gibt es nichts Schlimmeres, als den Schutz und die elterliche Geborgenheit zu verlieren. Mit der Finsternis der Nacht reißt die Gewißheit ab, dass der elterliche Schutz gegeben ist. Nichts ist leichter verständlich, als dass sowohl das Einschlafen als auch das nächtliche Aufwachen für ein Kind mit Angst verbunden ist. Es ist ebensowenig verwunderlich, dass viele Methoden entwickelt wurden, den Übergang vom Wachzustand in den Schlaf für das Kind zu erleichtern. All diesen Riten ist gemeinsam, dass sie die elterliche Gegenwart in den Schlaf hinein zu erhalten suchen (Wiegenlied, Gute Nacht Geschichte, Gute Nacht Kuß, Kuscheltier als Übergangsobjekt usw.). Schlafen Loslassen Nicht nur für das Kind ist mit dem Einschlafen eine Trennung von den Eltern verbunden. In ähnlicher Weise erleben die Eltern das Einschlafen des Kindes als Trennung. Insgeheim stellt sich die Frage: Wird das Kind ohne unsere Hilfe einschlafen? Wird sich das Kind ohne weiteres (?) von mir trennen? Wird es auch wieder von selbst wach? Zwei Arten von guten Schläfern die echten und die resignativen Nicht alle Kinder, die unkompliziert einschlafen und durchschlafen, sind zu beneiden. Wenn Babys spüren, dass ihr Schreien in der Nacht die Eltern unter keinen Umständen auf den Plan rufen kann, geben sie auf und schlafen den Schlaf der Resignation. Auf diesem Mechanismus beruht der scheinbare Erfolg der älteren Generation, ein Kind beim Einschlafen unbegrenzt schreien zu lassen. Die Entwicklung des Babys und das Schlafproblem Um das sechste Lebensmonat erweitern Babys ihren sozialen Horizont beträchtlich. Sie lernen zwischen ihren vertrauten Eltern und fremden Menschen zu unterscheiden ("Fremdeln"). Die Angst, die damit einhergeht ("Achtmonatsangst"), führt nicht selten zu einer Störung des Schlafes. Kinder, die in den ersten Lebensmonaten zur Freude ihrer Eltern bereits durchgeschlafen haben, beginnen dann nachts mehrmals wach zu werden. Oft brauchen sie nicht mehr als die Versicherung, dass alles in Ordnung ist. Ein kurzes Nuckeln an der Brust oder allein der Zuspruch einer vertrauten Stimme genügen, dass das Kind weiterschläft. Häufig führt aber die Schlafstörung zur Sorge der Mutter, dass das schon größer gewordene Kind mit ihrer Milch nicht mehr genug hat. Dann erhält das Kind an Stelle des Trostes, den es braucht, mehrere Mahlzeiten, die eigentlich überflüssig sind. Welcher Erwachsene, der gut schlafen will, würde sich absichtlich zu diesem Zweck den Bauch voll schlagen? Das Schlafparadoxon Wenn wir den Schlaf dringend herbeisehnen, stellt er sich am zögerndsten ein. Eine ganz ähnliche Erfahrung machen wir mit unseren Kindern. Wenn wir am wenigsten darauf angewiesen sind, schläft unser Kind am leichtesten ein. Brauchen wir dagegen unseren eigenen Schlaf dringend, weil wir am nächsten Tag früh aufstehen müssen oder einen schwierigen Termin haben, dann spielt das Kind nicht mit. Es will und will nicht einschlafen. Und noch weniger gönnt es uns einen ununterbrochenen Schlaf. Man gewinnt fast den Eindruck, als würden wir das Kind mit unserer Aura des Schlafzwanges am Schlaf hindern. Wenn sich ein Vater, der sein Kind mit allergrößten Mühen zum Einschlafen gebracht hat, auf leisesten Sohlen vom Bett fortschleicht, weckt er das Kind mit seiner Angst, dass es wieder wach werden könnte, tatsächlich auf. Dieses Phänomen zwingt uns dazu, über den eigenen Schatten zu springen. Wir müssen uns nach dem Rhythmus des Kindes richten und aufhören, ihm unsere Bedürfnisse aufzuzwingen. Individueller Schlafbedarf Jedes Kind braucht wie übrigens erwachsene Menschen auch eine individuelle Zahl von Schlafstunden. Die Spannbreite liegt bei Kindern im zweiten Lebenshalbjahr bei 9 bis 14 Stunden (Largo Kinderjahre 1999, S. 27). Behinderung der Selbstregulation Groß ist die Gefahr, dass sich Eltern in guter Absicht in Vorgänge einmischen, über deren Ablauf das Kind selbst bestimmen soll. Als Beispiele seien das Essen und das Trinken, die Kleidung und die Kontrolle von Stuhl und Harnausscheidung genannt. Die Selbstregulation über diese Vorgänge wird vom Kind im Lauf seiner normalen Entwicklung übernommen. Greifen die Eltern allerdings in diese Entwicklung ein, wird die Selbständigkeit nicht erreicht. Den Eltern bleibt damit die Bürde der Kontrolle erhalten, und das Kind bleibt in Abhängigkeit. In typischer Weise tritt dieser Mechanismus beim Schlaf auf. In der Meinung, dass die Eltern die volle Verantwortung für die Tiefe und die Dauer des Schlafes ihres Kindes tragen, wird dem Kind seine Selbständigkeit verwehrt und die Eltern zerbrechen an der Bürde der Kontrolle, die sie selbst nicht abgeben können. Die Kunst, sein Kind schlafen zu lassen Auf übermüdete und erschöpfte Eltern wirkt es vermutlich zynisch, wenn ich davon spreche, dass es bei der Kunst, sein Kind schlafen zu lassen, um die eigene Gelassenheit und das Loslassen des Kindes geht. Nach allem, was man schon versucht hat, sollte es gerade mit dem Loslassen funktionieren, wo man doch weiß, dass nichts schwerer ist im Leben als das Loslassen. Vertrauen in die Selbstregulation des Kindes ist der Schlüssel zum Loslassen und damit auch zum Schlafenlassen des Kindes. Wenn man dieses Vertrauen erwirbt, wird man sich vom Kind für die Zeit des Schlafes trennen können, ohne den Kontakt ganz zu verlieren. Das Kind wird auch in einer unruhigen Umgebung und ohne großes Geschrei einschlafen können. Vor allem wird es möglich sein, das Kind im Elternbett schlafen zu lassen und auf diese Weise das Stillen nach dem natürlichen Bedarf von Mutter und Kind beizubehalten. Jedes Kind kann schlafen lernen Weil es schwierig ist, diese Zusammenhänge bewusst zu machen, erfreuen sich Bücher, die sich auf ein Training bzw. auf eine Dressur des kindlichen Verhaltens beschränken, großer Beliebtheit. Am populärsten sind zur Zeit wohl Methoden der dosierten Frustration. Anstatt bei sich selber anzufangen, lässt man das Kind etwas länger schreien, so lange, bis es davon überzeugt ist, dass man als Nachtwächter oder Tröster nicht in Frage kommt. Der Erfolg stellt sich scheinbar ein, indem das Kind den Schlaf der Resignation schläft. Die Chance, dass sowohl die Eltern als auch das Kind aus dem Problem des gestörten Schlafes etwas lernen und auch für sich gewinnen, wird damit aber vertan. Wir sollten die Chance wahrnehmen, die darin liegt, die Kunst zu erwerben, sein Kind schlafen zu lassen

von Biggi Welter am 19.09.2017



Ähnliche Fragen ähnliche Fragen

Stillrhythmus aus dem Takt - was kann ich tun?

Hallo, unser Sohn ist 11 Wochen und 4 Tage alt. Er wurde 10 tage vor ET geboren, falls das relevant ist. Aktuell ist unser Stillrhythmus total aus dem Takt. Zunächst eine Vorgeschichte dazu: Ich habe bis zur 8. LW mit Stillhütchen gestillt. Zu dem Zeitpunkt hat er anstandslos Tag und Nacht an beiden Brüsten getrunken und hat extrem zugenommen. Pr...


Unregelmäßiger Stillrhythmus nachts

Hallo und Danke für die Möglichkeit, hier Fragen stellen zu dürfen! Mein Sohn ist jetzt fünf Monate alt und wird nach Bedarf gestillt, zusätzlich bekommt er mittags und am späten Nachmittag Brei. Er isst und verträgt die Beikost gut, allerdings habe ich nicht das Gefühl, dass er deswegen tagsüber jetzt bedeutend weniger Milch trinkt, er möchte na...


Nächtlicher Stillrhythmus 7 Monate altes Baby

Hallo, Sie haben mir vor ein paar Monaten schon mal geholfen, deswegen wende ich mich nochmals an Sie, da ich wirklich nicht mehr weiterweiß... Ich habe eine 7 Monate alte Tochter, die praktisch voll gestillt wird. Ich habe, als sie 5,5 Monate alt war, das erste Mal Brei gefüttert - oder es zumindest versucht, denn meine selbstgekochten Breie...


Veränderter Stillrhythmus mit 5 Monaten

Liebe Biggi, Sie und dieses Forum haben mir schon oft geholfen, daher wende ich mich mit einer aktuellen Frage an Sie. Meine Tochter ist aktuell 5,5 Monate alt und voll gestillt. Vor 4,5 Wochen haben wir Mittags mit Beikost begonnen und sind seit einer Woche beim Gemüse-Kartoffel-Fleisch-Brei angekommen. Die ganze Zeit hatte sie folgenden St...


2 Stunden Stillrhythmus

Hallo. Mein Kleiner ist jetzt 4 Monate (korrigiert 3) und hat tags und nachts einen stillrhythmus von 2 Stunden- man kann fast die Uhr nach ihm stellen. In Wachstumsschüben manchmal dann sogar jede Stunde. Nachts schläft er ganz friedlich und wird kaum wach beim stillen, da er auf mir schläft (nur so komme ich selbst zu Schlaf). Tagsüber hat er ...


Stillrhythmus einführen mit 1 Jahr?

Liebe Biggi, ich hatte mich schon einmal an das Forum gewendet, da ich unsicher war, ob meine Tochter (damals 9M, mittlerweile fast 1 Jahr) zu oft stillt. Damals hieß es, am besten Stillen ist nach Bedarf, was wir noch immer so praktizieren, jedoch wird die Kleine demnächst 1 Jahr, isst mal mehr mal weniger Beikost (pro Mahlzeit aber nie besond...


Stillrhythmus

Hallo Allerseits! Mein Sohn fast 5M ist seit neuestem total abgelenkt beim Stillen. Entweder zappelt er ganz viel herum oder er dreht und wendet sich in alle Richtungen wo ein Licht brennt, es raschelt oder sich jemand räuspert. Untertags erkenne ich auch kaum noch Hungerzeichen bei ihm. Manchmal stelle ich erschrocken fest, dass er den gan...


Stillrhythmus

Liebe Biggi Welter, mein Sohn ist 9 Wochen alt, ich stille ihn voll aber wegen einer OP nur mit einer Brust. Er nimmt gut zu, aber es gibt ein paar Besonderheiten: - ich stille recht oft, mindestens 9 Mal, tagsüber klappt es zwischen 2 und 4 Stunden, nachts manchmal auch, manchmal auch wieder nach 1 Stunde - ich hab einen Schnuller tagsüber pro...


Stillrhythmus Veränderung

Hallo Frau Welter, Ich habe eine Frage bezüglich des Stillens. Meine kleine ist nun 8 Wochen alt, ich stille sie immer nach Bedarf. Bisher kam sie so alle 1 1/2 bis 2 Stunden und hat dann ca 5 Minuten gegessen. Seit zwei Tagen sind die Abstände plötzlich viel größer geworden (4 std) aber ich habe das Gefühl, dass sie dann trotzdem nur genauso vie...


Stillrhythmus möglich?

Guten Abend, meine Tochter ist 13 Tage alt und mit dem Stillen klappt es ganz gut. Doch wir schaffen es nicht einen Rhythmus zu bekommen, so dass ich auch mal entspannt für kurze Zeit etwas machen kann. Ich stille sie fast den ganzen Tag über und das schränkt mich im Alltag sehr ein. Haben Sie Tipps für einen stillrhythmus oder soll ich bisher w...