Wie kann es weitergehen? Wir stehen auf der Stelle.

Dr. rer. nat. Meike Bentz Frage an Dr. rer. nat. Meike Bentz Diplom-Psychologin

Frage: Wie kann es weitergehen? Wir stehen auf der Stelle.

Liebe Frau Bentz, vielen herzlichen Dank für Ihre wundervolle Arbeit. In den ersten Wochen mit unserem schreibaby haben Sie uns damals schon sehr geholfen. Oft habe ich weitere Fragen verfasst aber durch das Lesen Ihrer unzähligen Antworten, konnte ich immer den Bezug und die Hilfe zu unserer aktuellen Problematik finden. Unser Sohn ist nun dreizehn Monate. Er war sechs Monate ein Schreibaby. Lange Zeit, bis zum neunten Monat hat das Einschlafstillen funktioniert. Teilweise hatten wir wochenlang 30 Minuten Abstände, doch irgendwie haben wir das geschafft. Nach dem abstillen wurde es leichter. Dennoch schläft unser sohn in unserem Bett und wird einschlafbegleitet. Er wird immer noch zwei drei mal wach bis Mitternacht. Hat Schwierigkeiten sich selbst runter zu fahren. Ich singe und streichel ihn. Das macht mir auch gar nichts aus. Dennoch denke ich dass wir gerade auf der Stelle stehen und ich mich frage, was die nächsten Schritte sein könnten. Denn immer wenn er aufwacht fragt er sich natürlich warum die Situation nicht ist, wie beim einschlafen. Mama ist weg... Er ist zum einschlafen fürchterlich unruhig. Er turnt, will aus dem Bett krabbeln und und und. Für mich ist das sehr anstrengend. Ich bin in der 13. Ssw. Ich möchte ihm keine Nähe entziehen aber habe das Gefühl dass ich durch die Gewohnheit mit mir ein - und besonders!! weiterzuschlafen einer positiven Entwicklung, dass er es alleine schafft, im Wege stehe. Ich möchte einfach auch nicht mehr dass er so auf mir herum turnt. Wie würden Sie vorgehen? Direkt ins eigene Bett im eigenen Zimmer? Oder eigenes Bett im elternschlafzimmer? Erst noch einschlafbegleiten und dann immer mehr den Raum verlassen? Die erste Zeit hat uns so sehr geprägt dass ich das Gefühl habe, zwischen uns passt kein Blatt Papier. Ich bin in der Zwickmühle...möchte ihm die Nähe geben aber so langsam auch mal wieder etwas Freiraum und ihm nicht im Weg stehen alleine einschlafen zu können. Zumal ich denke dass diese ständige aufwachen und nur durch hilfe weiterschlafen zu können, ihm schaden könnte. Ich danke Ihnen ganz herzlich. Beste Grüße!!!!

von matsismama am 16.06.2016, 21:24


Antwort auf: Wie kann es weitergehen? Wir stehen auf der Stelle.

Liebe Matsismama! bitte entschuldigen Sie die späte Rückmeldung! Wir mussten eine gesundheitliche Durststrecke überwinden und uns durch einen Virus kämpfen. Es freut mich natürlich sehr, dass Ihnen mein Forum gefällt und Sie schon einige Anregungen mitnehmen konnten. Doch die erzielten Fortschritte sind Ihr Verdienst und Ihre Leistung! Darauf können Sie stolz sein, denn ein Schreibaby zu haben ist eine enorme Belastung für die gesamte Familie und nicht jede übersteht diese Schwierigkeiten unbeschadet. So schrecklich diese Erfahrung auch gewesen sein mag, so sollten Sie sich bewusst machen, dass Sie durch diese Zeit unheimlich viel gelernt haben, was Sie für die Zukunft stärkt. Krisen wird es immer mal wieder geben, doch die werden Sie meistern. Zu Ihrer Frage: Nun eigentlich liefern Sie die Antworten selbst, wenn Sie schreiben, Sie hätten das Gefühl, dass das, was bisher funktioniert hat, möglicherweise nun eine weitere Entwicklung blockiert. Außerdem berichten Sie, dass Sie es mittlerweile einfach nicht mehr mögen, wenn Ihr Sohn so auf Ihnen herumhopst. Warum sollten Sie diesen Gefühlen misstrauen? Sie liefern Ihnen die wertvolle Information, dass etwas nicht mehr passt. Das nennt man intuitive Elternkompetenz! Soll heißen: Sie sind der Experte für Ihr Kind und Ihre familiäre Situation und sind daher sehr gut in der Lage, richtige Entscheidungen zu treffen. Als Mutter eines ehemaligen Schreikindes ist das natürlich nicht einfach. Sie sagen ja selbst, dass diese erste Zeit sie sehr geprägt habe, und wie sollte sie es auch nicht. Psychologisch kann man die Wirkung von ständigem Schreien mit ständigem negativem Feedback vergleichen, und zwar unabhängig von dem was man tut. Dies kann das Vertrauen in die eigenen Kompetenzen erheblich erschüttern. Es ist daher auch völlig normal, dass Sie im Kontakt mit Ihrem Kind nicht ganz unbefangen sind. Während eine Mutter ohne diese Erfahrungen vielleicht einfach sagen würde, jetzt ist Schluss, so geht es nicht mehr, so haben Sie natürlich die Sorge im Kopf, den mühsam erarbeiteten Frieden zu gefährden. Das Problem ist jedoch, dass wir als Eltern genau dies hin und wieder einfach tun müssen. Ihr Kind ist mittlerweile ein Kleinkind und braucht Sie als Wegweiser, wie diese Welt, Ihre Familie funktioniert. Ihr Sohn kann die Folgen seines Handelns nicht überblicken und braucht daher Ihr Wissen, Ihren Weitblick und Ihre Vernunft, um sich entwickeln zu können. Stundenlanges Rumturnen auf der schwangeren Mama ist keine gute Option, doch dies weiß Ihr Sohn nicht. Er ist daher auch nicht motiviert, sein Verhalten zu ändern, d.h. der Impuls muss von Ihnen kommen. Scheuen Sie sich also nicht, die Zügel in die Hand zu nehmen und zu entscheiden, dass jetzt eine andere Einschlaf-/ Schlafsituation an der Zeit ist. Entwicklung ist immer dynamisch, man wird also immer wieder an den Punkt kommen, wo man Dinge anpassen muss. Dies beinhaltet immer ein wenig Konflikt, vor dem man jedoch keine Angst haben muss. Eine gute Beziehung zu einem Kind zeichnet sich nicht durch die Abwesenheit von Problemen aus. Sie werden jetzt zunehmen mit Situationen konfrontiert werden, wo Ihr Sohn eigene Wege gehen möchte. Das ist jedoch nicht immer möglich und es ist an Ihnen, es ihm zu zeigen, was geht und was nicht. Mit zunehmendem Alter ist es dann auch möglich, die Kinder mehr und mehr aktiv ein zubinden. Doch ein Kleinkind, dem man die alleinige Verantwortung für die Entwicklung überlässt, wäre damit überfordert. Ich sehe es immer wieder, dass Eltern sich nicht trauen, Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen, und zwar nicht, weil sie inkompetent, faul oder gleichgültig sind, sondern aus einer großen Verunsicherung heraus. Sie möchten nichts falsch machen, kein Risiko eingehen, studieren Ratgeber über Ratgeber und werden dabei nur n och verwirrter. Sie tolerieren es, wenn ihr Kind auch noch mit fünf ständig mit einem Schnuller rumläuft, weil er oder sie es eben so möchte, sie verzichten aufs Zähneputzen, weil ihr Kind dabei so viel Theater macht oder sie spielen nachts mit einem Dreijährigen, weil dieser sonst schreit usw. usw. Das mag bei vielen Kopfschütteln hervorrufen, doch es ist eben auch ein Phänomen unserer Zeit, in der es weniger an Informationen, wohl aber an Erfahrungen mit Kindern mangelt, und in der hohe Erziehungsideale auf einen oft sehr hektischen und überfrachteten Alltag treffen. Fazit: Sie sind eine kluge, sensible und vernünftige Frau. Sie haben Ihr Leben bisher gemeistert und sind daher sehr gut in der Lage, gute Entscheidungen zu treffen, Ihrem Sohn das zu geben was er braucht, aber auch zu erkennen, was er nicht braucht. Sie werden Fehler machen und nicht immer wird alles so funktionieren wie gedacht, doch auch das gehört dazu. Kinder brauchen keine perfekten Eltern, und Sie brauchen keine perfekten Kinder um eine glückliche Familie zu sein! Ich wünsche Ihnen weiterhin alles Gute und eine schöne Schwangerschaft! Herzlichst, Ihre Meike Bentz

von Dr. Meike Bentz am 03.07.2016