Unsichere Bindung? Was ist da los?

Dr. rer. nat. Meike Bentz Frage an Dr. rer. nat. Meike Bentz Diplom-Psychologin

Frage: Unsichere Bindung? Was ist da los?

Liebe Frau Dr. Bentz, Ich bin gerade etwas verunsichert und traurig. Meine jetzt 12 Monate alte Tochter und ich aind bei Oma und Opa zu Besuch. Uns trennen einige 100 km und wir sehen uns etwa alle 4 bis 6 Wochen. Trotzdem kennt die Kleine ihre Großeltern sehr gut und liebt sie heiß und innig - meist bin ich angeschrieben, wenn Oma im Raum ist. Gestern waren wir zu dritt in einer Kleinstadt unterwegs. Ich bin zum Frisör. Meine Tochter und Oma waren in der Zeit auf dem Spielplatz und ein Eis essen. Als sie mich im Frisörsalon abgeholt haben, wurde mir die kalte Schulter gezeigt. Die Kleine hat nicht mit mir gelacht, Blickkontakt gemieden und sich demonstrativ von mir weggedreht, als ich die Arme öffnete und sie zu mie rief. Nach ein paar Minuten war alles wieder beim Alten. Mich hat diese Situation stark verunsichert und traurig gemacht. Heißt das, sie ist unsicher vermeidend gebunden? Ich gebe ihnen noch ein paar mehr Infos: Zeitgerecht spontan geboren, anfangs Schreibaby, nie alleine brüllen gelassen, viel getragen, noch gestillt, keine Fremdbetreuung bis auf mal eine h alleine mit Oma. Insgesamt vllt 5 bis 7 Mal bisher. Sie ist temperamentvoll und kann schon sehr energisch zeigen, was sie will und was nicht. Lässt sich nicht immer von mir trösten, sondern wendet sich auch mal ab - v.a. wenn Ärger die Ursache ist. Wenn sie mit Papa alleine ist und ich vom Einkaufen wieder komme, freut sie sich. Nimmt direkt Kontakt auf. Auch vor kurzen für ein paar Minuten ohne mich bei der Nachbarin gewesen. Als ich zur Tür rein kam, kein Lachen, hat mir aber direkt gezeigt, was sie macht und sich an mir zum stehen hochgezogen, um dann weiter zu spielen. Sie hat enorm gefremdelt bis vor 2 Monaten und ist auch jetzt bei Fremden noch zunächst zurück haltend. Nach 10 Minuten wird sie aber warm und kann auf Entdeckungsreise gehen. Vor 2 Wochen waren wir auf einer Hochzeit : die kleine kannte dort nur ihren Papa und mich. Eine ihr sehr sympathische Frau hat ins angeboten mit ihr laufen zu geheb, damit wir in Ruhe essen können. Das fanden wir Ok und die Kleine ging gerne mit. Weit weg von uns. Nach 10 Minuten kamen die 2 in Richtung unseres Tisches. Ich bin ihr entgegen. Die Frau sagte, siw habe nach Mama gerufen. Als sie mich sah, hat sie gestrahlt und ist auf mich zu - dann aber wieder abgebogen, weil das laufen mit der Frau scheinbar so super war. Bisher dachte ich es sei mie gelungen eine stabile und sichere Bindung mit der kleinen aufzubauen. Mir ist dies sehr wichtig und ich habe mein möglichstes getan. Einzig nachts war ich aufgrund maßloser Überlastung vereinzelt gereizt und genervt. Habe nicht immer einfühlsam reagiert, sondern auch schonmal ruppig und sie grob aus dem Bett gewuchtet. Diese Ereignisse waren in der deutlichen Minderheit. Vllt 15 Mal im kompletten Jahr? Schlafen ist phasenweise immer schwierig. Im moment auch wieder: nächtliches Dauernuckeln. Sonst habe ich ein fröhliches ziemlich gewieftes Mädchen. Ansonten habe ich versucht auf jedes Bedürfnis einzugehen, sie nie schreien lasse, immer prompt hoch genommen und getröstet- selbst bei Ärger. Und auch heute mache ich das noch so. Sie merken: ich bin traurig, verunsichert und etwas in Sorge. Können sie mir zum einen einschätzen, wie unsere Bindung ist und zum anderen sagen, wie schlimm eine unsichere Bindung wäre? Kann ich das noch aufholen, auch wenn das 1. Jahr vorbei ist? Ich bin fix und alle. Was bedeutet das denn konkret für meine Tochter und mich? Ich möchte so gerne eine gute Mutter sein, deren uneingeschränkte Liebe sich meine Tochter stets bewusst sein kann. Am liebsten würde ich einen richtigen fremde Situation Test machen- aber ich habe nun enorme Angst vor dem Ergebnis. Vllt können sie mir helfen wieder klar zu sehen und zu denken. Im Moment bin ich einfach nur geknickt. Mit bestem Gruß und herzlichem Dank. Siegfriedstochter

von Siegfriedstochter am 10.08.2016, 12:12


Antwort auf: Unsichere Bindung? Was ist da los?

Liebe siegfriedstocher! ja, es wird deutlich, dass Sie sicher mit diesem Thema belasten. Doch das hat sicher Gründe. Ich kann Ihnen jetzt sagen, dass aus meiner Sicht – ohne Sie nun wirklich zu kennen – keines Ihrer Erlebnisse für eine unsichere Bindung spricht. Sie haben bei Ihren Vermutungen sicher den Fremde-Situations-Test im Hinterkopf, mit dem man Bindungsstile erfassen kann. Richtig? Doch alle diese Situationen unterscheiden sich ganz deutlich von diesem Szenario! Im Gegenteil, ich vermute, dass in beiden Situationen Ihre Tochter einfach keine (bei der Oma) oder nur eine kurze (bei der netten Dame) Rückversicherung brauchte und noch weiter im Spiel war. Außerdem dürfen Sie nicht vergessen: Ihre Tochter ist jetzt in einem Alter, wo Sie viel ausprobiert. Dazu gehört auch immer wieder der Wechsel zwischen Nähe (Rückversicherung, Bestätigung, Unterstützung) und Distanz (alleine machen, entdecken, den eigenen Willen entdecken). Ein sicher gebundenes Kind sucht daher eben nicht immer die Nähe seiner Mutter, denn es ist dieser so sicher dass es sich traut, frei zu explorieren, seinen Willen auszuprobieren. Selbst wenn Sie in der Vergangenheit mal etwas unsanft, genervt oder ungeduldig waren, wenn Sie auch mal gebrüllt oder geweint haben – das ist alles menschlich und macht noch keine Bindungsstörung! Bindung ist ein dynamischer Prozess und einzelnen Szenen, wie die, die Sie beschreiben, sind in Ihrer Dramatik so gering, das nachhaltige Erschütterungen nicht zu erwarten sind. Eine sichere Bindung heißt ja nicht, dass immer alles Friede, Freude, Eierkuchen ist und sich alle nur selig anlächeln. Doch selbst wenn ich Ihnen das jetzt sage, so werden Sie zwar vermutlich zunächst erleichtert sein, die Unsicherheit wird davon wahrscheinlich aber nicht weggehen. Es wäre daher vielleicht gut, sich mal auf die Suche nach den Gründen für Ihre Unsicherheit zu machen. Was macht Sie so unsicher? Was haben Sie für eigene Erfahrungen aus Ihrer Kindheit und Jugend, die Sie vielleicht nun beeinflussen? Was sind Ihre Ängste? Es gibt nicht nur unsicher gebundene Kinder, sondern auch unsicher gebundene Erwachsene… Davon abgesehen, besteht natürlich die Möglichkeit, sich mit dieser Frage ml an eine Erziehungsberatungsstelle zu wenden, die Eltern kostenlos berät, oder sich mal bei einem Kinder- und Jugendpsychotherapeuten bzw. einem Familientherapeuten eine Einschätzung abzuholen. Vielleicht reich es Ihnen ja doch, wenn wirklich mal jemand Ihren Verdacht durch eine gründliche Diagnose prüft? Unsicherheiten gehören zum Elternsein dazu, doch wenn sie eine Eigendynamik entwickeln, können sie einen natürlichen, unverkrampften Umgang mit dem Kind natürlich erschweren, und dann in letzter Konsequenz auch Unsicherheiten beim Kind erzeugen. Grundsätzlich ist das Thema Bindung schon lange und breit erforscht. Ziemlich klar ist auch, dass ein sicherer Bindungsstil gegenüber den anderen Stilen Vorteile bietet und zwar für die gesamte Lebensspanne. Doch je nach Studie sind in Deutschland maximal die Hälfte aller Personen sicher gebunden. Da die ja auch nicht alle lebenunfähig, kriminell, suchtkrank oder psychich gestört sind, muss man dann dorch die Kirche im Dorf lassen, Bindung ist daher schon sehr wichtig, aber nicht im Sinne eines unverrückbaren Schicksalgefüges. Korrigierende Erfahrungen können ein Leben lang gemacht werden, nur ist es später einfach schwerer. Leider wird mehr und mehr das ganzeThema "Bindung" wirklich inflationär gebraucht, und das viele Halbwissen macht es aber engagierten Eltern wie Ihnen nicht unbedingt leicht. Diese Verunsicherung werde ich Ihnen allerdings wohl nicht nehmen können, doch damit sind Sie nicht allein. Ich wünsche Ihnen weiterhin alles Gute! Herzlichst, Ihre Meike Bentz

von Dr. Meike Bentz am 12.08.2016


Antwort auf: Unsichere Bindung? Was ist da los?

Ich möchte gerne noch etwas hinzufügen.... Wie sie geseheb haben, ist mir diese Sache mit der Bindung unheimlich wichtig und ich tendiere dazu mich diesbezüglich verrückt zu machen. Ist das überhaupt gerechtfertigt, oder handelt es sich letzten Endes "nur" um eine Theorie, der sich viele andere gleichwertige und ebenso psychologisch als wertvoll zu betrachtende "Erziehungsstile" entgegenstellen? Vielen Dank für Ihre jederzeit einfühlsame und kompetente Antwort!

von Siegfriedstochter am 11.08.2016, 09:28