Kann ich die große Schwester zum leise sein erziehen?

Dr. rer. nat. Meike Bentz Frage an Dr. rer. nat. Meike Bentz Diplom-Psychologin

Frage: Kann ich die große Schwester zum leise sein erziehen?

Hallo Frau Bentz. Meine große Tochter wird am 1.12. 3 Jahre alt. Vor zwei Monaten bekam sie eine kleine Schwester. Nun ist sie sehr laut und aktiv. Anfangs hat es das Baby gar nicht gestört (weil sie wahrscheinlich noch nicht so gut hörte), doch nun ist sie ziemlich empfindlich geworden. Draußen stören sie nicht mal eine Bohrmaschine nebenan, doch daheim, wenn es still ist und die große plötzlich los schreit, dann wacht sie auf und weint. Deswegen sage ich sehr oft, sie soll leise sein in der Nähe des Babys und wenn sie schreien wolle, solle sie in ihr Zimmer gehen. Sie schläft auch seit der Geburt des Babys in ihrem Zimmer (vorher spielte sie nur dort und schlief bei uns). Sie ist ziemlich eifersüchtig, macht alles um Aufmerksamkeit zu erlangen. Jedoch nie was gegen ihre kleine Schwester. Nun meine Frage. Ist das richtig, dass ich sie immer ermahne leise zu sein oder ist das gegen die Natur der Kinder? Die kleine schläft tagsüber kaum noch und wenn sie dann mal schläft, möchte ich halt nicht das sie gleich wegen Geschrei aufwacht. Sie schläft dann nicht mehr ein. Das ist anstrengend. Wegen übermüdung bin ich selbst auch nicht wirklich geduldig und werde schnell laut und streng. Kann das die Psyche belasten der großen? Ich möchte sie ja nicht bremsen im Spiel oder so, nur kann man es eben nicht immer beiden gerecht machen und ich weiß dann auch nicht weiter.. Vielen Dank für Ihren Rat. Und alles Gute, ich habe gelesen, dass sie bald nicht mehr hier sind. Liebe Grüße

von melek39 am 26.08.2016, 10:25


Antwort auf: Kann ich die große Schwester zum leise sein erziehen?

Liebe Melek! Das klingt wirklich turbulent und sicher bietet Ihnen Ihr Alltag bestimmt keine Langeweile! Es ist daher auch nicht verwerflich, sich müde, gereizt und erschöpft zu fühlen. Die Umstellung von einem Kind auf zwei Kinder ist enorm, vieles, was man beim ersten noch locker auffangen kann, geht nun mit zweien nicht mehr. Gewissermaßen zwingen mehrere Kinder also zu Pragmatismus, und das ist – wie Sie sicher irgendwann auch merken werden, gar nicht schlecht. Allerdings muss es nicht gleich so ausfallen, wie Ihr Mann es möglicherweise in seiner kinderreichen Familie erlebt hat. Auch wenn es für Kinder sicher nicht schädlich ist, nicht immer ungeteilte Aufmerksamkeit zu bekommen, so kann man daraus nicht ableiten, dass man durch promptes und feinfühliges Reagieren Säuglinge verzieht. Natürlich brauchen Babys mehr als nur versorgt zu werden. Früher ging man davon aus, dass Säuglinge ziemlich wenig können und wahrnehmen, ja sogar die Fähigkeit, Schmerzen zu empfinden wurde ihnen abgesprochen. Es galt als gute Schule, Kinder allein ausschreien zu lassen und hat dem Säuglingsschreien gar keine größere emotionale Bedeutung beigemessen. Tatsächlich galt es als Reflex und natürliches Training für die Lungen. Heute weiß man, dass das Modell des kompetenten Säuglings, der als soziales Wesen auf die Welt kommt und schon allerlei wahrnimmt und empfindet, weitaus zutreffender ist. Es ist daher wichtig und richtig, Babys nicht einfach allein schreien zu lassen. In diesem Alter setzten Kinder ihr Schreien nicht manipulativ ein, weil sie sich etwas ertrotzen wollen, sondern weil irgendein Problem vorliegt, was auch über Hunger, Windel voll, Bauchweh hinausgehen kann. Allerdings ist es mit zwei kleinen Kindern natürlich nicht immer möglich, prompt auf alle Bedürfnisse einzugehen. Das ist aber auch gar nicht nötig. Klar kann es mal sein, dass Ihre kleine Tochter schreit während Sie gerade Ihrer Tochter helfen sich anzuziehen u.Ä. dann ist es auch nicht schlimm, wenn die Kleine mal kurz warten muss. Das liegt einfach in der Natur der Sache, schließlich haben Sie nur zwei Arme und Hände. Würde Kindererziehung es erfordern, dass alles immer perfekt laufen muss, wäre die Menschheit schon ausgestorben. Doch es ist eben ein Unterschied, ob ich grundsätzlich feinfühlig und respektvoll mit den Bedürfnissen eines Babys umgehe oder ob ich diese ignoriere. Bei einem Kleinkind ist dies schon eine andere Sache. Hier ist es Aufgabe der Eltern nicht mehr zu versorgen und prompt zu reagieren, sondern zu erziehen. Dazu gehört eben auch, dass Mama nicht immer gleich springt und bei weitem nicht all das macht, was das Kind so möchte. Nichtsdestotrotz sind auch die Fähigkeiten zur Vernunft, vorausschauendem Handeln, Perspektivenübernahme, Empathie, Frustrationstoleranz und Impulskontrolle immer noch sehr begrenzt. Sie können daher tatsächlich nicht erwarten, dass eine Dreijährige einsieht, dass sie nun leise sein muss. Was sie aber verstehen kann ist, dass dies eine Regel ist, deren Befolgung (!) ihr die gewünschte Aufmerksamkeit schenkt. Wir neigen leider häufig dazu in Kategorien von Strafen zu denken, doch gerade beim Thema Aufmerksamkeit ist es kleinen Kindern manchmal von nachrangiger Bedeutung, ob sie sich positive (Lob, Belohnung) oder negative Aufmerksamkeit (Schimpfen, Drohen, Strafen etc.) sichern – Hauptsache Mama guckt. Möglicherweise könnten Sie hier tatsächlich noch etwas im Umgang mit Ihrer Ältesten optimieren, um nicht in die Falle der negativen Aufmerksamkeit zu kommen. Wenn sie also dann mal wirklich ruhig ist, ist es wichtig, dies anzuerkennen und zu würdigen. Das ist nicht ganz einfach, schließlich ist man oft so erschöpft, dass einem das was nicht klappt, viel mehr auffällt. Die ruhigen Momente nimmt man dagegen einfach so hin, mit dem Lerneffekt für ein Kind, dass es durch Stören mehr Aufmerksamkeit bekommt. Achten Sie daher mal bewusst auf gute Situationen. Wenn Ihre Tochter sich z.B. mal ruhig und selbstständig mit etwas beschäftigt, zeigen Sie Interesse, fragen nach, loben das Ergebnis („toll, was du da baust“) und sind aktiver Beobachter. Wenn etwas gut klappt, sollten Sie dies auch gegenüber anderen positiv erwähnen und so den Stolz Ihrer Tochter wecken. Es müssen gar nicht immer viele Worte oder gar Belohnungen sein, auch ein Lächeln und Blickkontakt sind viel wert. Ein Kind spürt, wenn man nur anwesend oder auch wirklich da ist. Wenn Ihre Tochter Regeln verletzt, ermahnen Sie sie in ruhigem Ton nochmal, wiederholen die Regel und sollte dann es wiederholt zu einem Verstoß kommen müssen Sie eine Konsequenz folgen lassen. Ich finde da Ihre Lösung („wer laut schreit darf das im Zimmer machen, aber nicht woanders“) gut, da sie Ihre Große nicht in eine Ecke drängt (sie darf ja schreien), aber gleichzeitig eine klare, einfache Grenzen setzt. Gucken Sie bei der Kommunikation mit Ihrer Großen aber auch, dass Sie klar und einfach, auf Augenhöhe mit Blickkontakt reden und nicht zu viele Regeln aufstellen. Vermeiden Sie rhetorische Fragen („Wollen wir jetzt Zähneputzen?“), sagen Sie was Sie wollen und nicht, was Sie nicht wollen (Verneinungen verstehen Kinder nicht gut). Wichtig ist auch, Kindern abstrakte Begriffe wie etwa „Leise“ und „Laut“ zu veranschaulichen, denn wenn Sie Ihrer Großen sagen, Sie möge bitte leise sein, heißt das nicht, dass Sie beide unter leise das gleiche verstehen. Zeigen Sie ihr durch Vormachen, was von der Laustärke ok ist und spiegeln Sie ihr das immer wieder. „Hör mal, das [vormachen]war jetzt zu laut. So [vormachen] ist es besser.“), Hier kann man auch mal spielerisch ansetzen und einen Leisewettbewerb u.Ä. starten. Das alles sind natürlich keine Wundermethoden. Sie haben es immer noch mit einer eifersüchtigen Dreijährigen zu tun, da gehören Trotzanfälle und Testen von Grenzen einfach dazu, und es ist auch kein Zeichen von schlechter Erziehung, wenn Ihre Tochter eben nicht einfach lieb und brav allein den ganzen Tag spielt. Sich diesen Druck zu nehmen und zu akzeptieren, dass es lebendige, unruhige und quirlige Kinder gibt, hilft manchmal auch schon, die Situation zu entspannen. In diesem Sinne alles Gute für Sie und Ihre Familie und weiterhin viel Geduld! Herzlichst, Meike Bentz

von Dr. Meike Bentz am 30.08.2016


Antwort auf: Kann ich die große Schwester zum leise sein erziehen?

Noch etwas :. ☺ Mein Mann meint, dass ich nicht immer gleich nach der kleinen sehen soll wenn sie schreit. Das würde sie 'verziehen' und schreien die Lungen stärken. Babys bräuchten das anscheinend mal. Ich finde das Blödsinn, aber er bekommt das von der Familie mit vielen Kindern gesagt und glaubt das dann. Ich denke, dass schreien immer bedeutet, dass das Baby was hat und unsere Nähe braucht (sei es Nähe, Fläschchen oder Windel wechseln oder langeweile). Mein Mann ist der festen Überzeugung, dass das Baby sich daran gewöhnt auf dem Arm zu sein und meint ich solle es nicht zu viel tragen. Nur zum füttern und windeln wechseln und wenn es Bauchweh hat. Aber das ist doch auch ein Mensch mit Bedürfnissen und braucht Kuscheleinheiten und nicht nur das nötigste. Was denken Sie? Kann man ein Baby 'verziehen' sodass es nur noch auf den Arm möchte und nicht lernt sich selbst zu beschäftigen? Die große spielt kaum selbst und er denkt, dass liegt eben daran, dass wir sie zu sehr verwöhnt haben. Dankeschön nochmal für Ihre Antwort

von melek39 am 26.08.2016, 10:40