Einschneidendes Erlebnis...

Dr. rer. nat. Meike Bentz Frage an Dr. rer. nat. Meike Bentz Diplom-Psychologin

Frage: Einschneidendes Erlebnis...

Hallo... ich habe zwar kein Schreibaby aber ich wüsste sonst nicht wohin mit meiner Frage.... Unser Sohn wird im April 3 und vor knapp 14 Wochen ist sein Bruder zur Welt gekommen. Die Wehen fingen nachts an und so kam meine Mutter um unseren Sohn zu betreuen und mein Mann und ich fuhren ins KH. Er schlief zu dem Zeitpunkt und merkte demnach nicht, dass wir gegangen sind und die Oma nun da war. Die Geburt dauerte dann bis mittags. Anschließend holte mein Mann unseren Großen und kam ins KH. Ich war dann noch drei Tage auf der Wochenstation. Ich habe ihn vorher so gut es ging versucht darauf vorzubereiten auch mit einem Buch wo alles gut und kindgerecht erklärt wird. Unser Großer war bis zu diesem Zeitpunkt nachts noch nie ohne mich. Tagsüber haben Oma und Opa schon öfter mal auf ihn aufgepasst. Jetzt ist es so, dass er diese Situation immer mal wieder erwähnt. Er sagt dann, dass er aufgewacht ist und wir nicht da waren weil wir im KH waren und das er mich dann später mit dem Papa abgeholt hat. Es scheint ihn sehr zu beschäftigen, denke es nicht unnormal, war ja ein einschneidendes Erlebnis für ihn. Mache mir aber trotzdem Gedanken, dass es ihn in irgend einer Weise belasten könnte.... Vielen Dank für Ihre Rückmeldung

von Locken-Rocken am 03.03.2016, 10:43


Antwort auf: Einschneidendes Erlebnis...

Liebe Locken-Rocken! erst einmal Gratulation zur Geburt Ihres zweiten Kindes! Es ist jetzt natürlich für Sie alle eine gravierende Änderungen und gewisse Anpassungsprobleme sind da völlig normal. Ihr Großer ist in einem Alter, wo er natürlich schon mitbekommt, dass sich etwas an seiner Rolle ändert und nun Konkurrenz im Haus ist. Eifersucht, anklammerndes Verhalten sowie vermehrtes Trotzen sind daher nicht ungewöhnlich und können als Orientierungsreaktion interpretiert werden ("Wo ist jetzt mein Platz", "Haben mich Mama und Papa noch lieb?). In der Evolution war dieses Verhalten überlebensnotwendig - ging es doch rein nüchtern um den Kampf um sehr begrenzte Ressourcen. Geschwisterlieb muss man sich also "leisten können" und das geht erst über die Erfahrung, dass man selbst seinen Stellenwert nicht verliert, obwohl sich die Rolle ändert. Was die konkrete Geschichte angeht, so ist dies klar ein Erlebnis mit hohem Erfahrungswert für Ihren Sohn gewesen- Sie sagen ja selbst, dass dies die erste Trennung nachts war. Doch auch wenn dies Ihren Sohn beschäftigt, sind Erfahrungen wie diese gerade wertvoll, um ein Grundvertrauen und Selbstbewusstsein zu gewinnen. Was hat Ihr Sohn gelernt? Dass Sie nachts nicht da waren UND dass er nicht allein war, sondern die Großeltern sich gekümmert haben. Eine sichere Bindung kann sich nur in dem ständigen Spannungsfeld aus Nähe und Autonomie bewegen, dazu gehört auch das Loslassen. Reine Elternexklusivität ist nicht erforderlich und kann unter Umständen sogar dazu führen, dass Kinder nur zögerlich autonomer werden, da schlicht entsprechende positive Erfahrungen fehlen. Wenn Ihr Sohn nun dieses Thema öfter zur Sprache bringt vermute ich dahinter weniger dramatische Ängste, sondern eher den Versuch, anhand Ihrer Reaktion abzulesen, wie Sie denn das ganze einordnen ("Ist das ok gewesen? Habt ihr mich noch lieb, wenn ich ohne euch bin?", "Musste ich mich etwa fürchten?"). Die ersten Schritte in Richtung Autonomie werden immer durch vermehrtes Bindungsverhalten begleitet, da sich die Kinder so immer wieder rückversichern, dass sie auf dem richtigen Weg sind. Die elterliche Reaktion auf Autonomie ist daher entscheidend, wenn es um die Bewertung von solchen Erfahrungen geht. Reagieren Eltern sehr ängstlich, besorgt und haben selbst Schwierigkeiten damit, ihr Kind loszulassen und ihm /ihr was zuzutrauen, dann wird auch das Kind alarmiert. Mein Rat daher, fragen Sie sich selbst einmal, was diese Situation bei Ihnen ausgelöst hat. Selbstverständlich sind Gedanken wie "wird es klappen?", "geht es meinem Kind auch gut?", "bin ich eine schlechte Mutter, wenn ich ihm das zumute?" häufig, wenn die Kleinen die ersten Schritte in Richtung Selbstständigkeit machen (müssen). Zum Problem kann das Ganze nur werden, wenn hier elterliche Ängste aktiviert werden, die darüber hinaus gehen und oft Ihren Ursprung in der eigenen Kindheit haben (Angst vor Kontrollverlust, Angst nicht mehr geliebt zu werden und vielleicht sogar den Wunsch durch Abhängigkeit an sich zu Binden oder Angst vor negativen Gefühlen, so dass man sein Kind erst gar nicht solche Gefühle zumuten will, weil man selber so schlechte Erfahrungen gemacht etc,) Vielleicht hilft es Ihnen, sich zu vergegenwärtigen, dass es nicht Aufgabe von Erziehung ist (sein kann), ein Kind vor jeglichen Herausforderungen zu bewahren, sondern es in die Lage zu versetzten, damit umzugehen. Ich finde es daher auch prima, dass liebevolle Großeltern in der Nähe sind, die hier wunderbar Starthilfe geben können und würde sogar vorschlagen, solche Übernachtungsaktionen öfter mal zu machen. Ihr Sohn kann dadurch zweimal profitieren: durch wachsendes Selbstbewusstsein und auch durch exklusive Aufmerksamkeit und etwas mehr Unabhängigkeit von Ihnen, denn Sie stehen ja nun nicht mehr ungeteilt zur Verfügung. Auch für Sie kann das eine tolle Erfahrung sein, schließlich ist es auch mal schön, ein bisschen Entlastung zu erfahren und gleichzeitig sein Kind bei seinen Schritten in die Selbstständigkeit zu begleiten. Wenn Sie das ganze gut verpacken, die Neugier wecken und Ihrem Sohn gleichzeitig die Kontrolle nicht entziehen (anrufen dürfen und abholen, wenn es nicht geht), ist dies eine positive Herausforderung, die Ihr Kind stärken kann (und Großeltern jung hält). Bis zum Zelten in Omas Garten können Sie sich ja noch Zeit lassen, doch etwas länger aufbleiben, Eis mit ganz viel Farbstoffen und Zuckerstreuseln und extralange Gute-Nacht-Geschichten sind natürlich super Großelternprivilegien, die einfach Spaß machen (-; Ihnen alles Gute! Herzlichst, Ihre Meike Bentz

von Dr. Meike Bentz am 13.03.2016