Ehemaliges Schreibaby immer noch auffällig

Dr. rer. nat. Meike Bentz Frage an Dr. rer. nat. Meike Bentz Diplom-Psychologin

Frage: Ehemaliges Schreibaby immer noch auffällig

Hallo Frau Benz, ich habe mich schon einmal an Sie Gewand, damals war der kleine gerade geboren und hat nur geschrien, wenig geschlafen. Nun ist Maximilian 11 Monate alt, er läuft kann auch kurz alleine spielen. Die durch die Schreierei befürchtete entwicklungsverzögerung blieb also aus. Wir haben nun allerdings änder Probleme die mir große Sorgen machen. Er kann nicht in die Kita weil er immer noch nicht alleine einschlafen kann, das ist bei uns Vorraussetzung. Er hat oft Wutausbrüche, seitdem er ca. 8 Monate alt ist. Man kann ihm nichts wegnehmen oder verbieten ohne das er losschreit und sich auf dem Boden wirft. Er ist oft sehr unzufrieden, egal ob wir ihn tragen oder er läuft. Kinderwagen und Auto fahren sind immer noch ein Problem. Außerdem kann er nicht ruhig sitzen, weder auf dem Arm noch im Hochstuhl. Nähe lässt er nur zu wenn er müde wird. Meiner Meinung nach haben wir eine gute Bindung, er weint wenn ich gehe und auch trösten oder lachen klappt nur mit Mama. Ich habe meinem Kinderarzt schon oft davon erzählt, auch von meiner Angst das er ADHS hat. Aber dies wird immer mit der Begründung abgetan das Babys soetwas nicht haben. Ich habe gedacht nach der Schreiphase ist alles überstanden, aber so ist es eben nicht. Ich weiß nicht wie ich mit seinem Wutausbrüchen umgehen soll. Mein Mann meint das er verwöhnt ist und es in keinem Zusammenhang mit der Regulationsstörung steht. Ich hätte sogerne ein zufriedenes Kind mit dem man Ausflüge oder Urlaub machen kann. Zur Zeit gehe ich nur ganz ungern mit ihm weg, andere Leute halten ihn immer für verzogen und frech durch sein andauerndes heulen.

von Baby2015meike am 05.07.2016, 10:40


Antwort auf: Ehemaliges Schreibaby immer noch auffällig

Liebe baby2015Meike! Sie haben nun einige anstrengende Monate hinter sich und das hinterlässt Spuren. Nicht nur bei Ihnen, sondern auch bei anderen, die vielleicht nun die Geduld verlieren und meinen, die Schonfrist sei nun vorbei. Verständnis habe ich für beide Seiten: Für die Außenstehenden, wie Ihren Mann, der vielleicht das Gefühl hat, es passe kein Blatt mehr zwischen Sie und Ihren Sohn und dadurch Schwierigkeiten hat, seine Vaterrolle zu finden und für Sie, die offensichtlich unglücklich ist, Sorgen hat, aber bisher offenbar nur wenig Gehör und Verständnis für Ihre Ängste findet. Das ganze beinhaltet für mich eine ungute Dynamik, die sich wechselseitig verschärft. Je unsicherer und unverstandener Sie sich fühlen und Ihren Sohn in der Kritik stehen sehen, desto mehr werden Sie ihn schützen und sich zurückziehen – eine Bestätigung für andere, die genau darin einen Grund für das Verhalten Ihres Sohnes sehen. Um es ganz klar zu sagen, ich glaube nicht, dass Ihr Sohn verwöhnt oder verzogen ist. Dafür ist er einfach noch zu jung. Nichtsdestotrotz kann ein „schwieriges“ Temperament und Regulationsschwierigkeiten auch durch ungünstige Interaktionsmuster verschärft oder aufrechterhalten werden. Dabei geht es niemals um Schuld! Sie machen sicher Fehler, wie andere Eltern eben auch, nur dass Sie wahrscheinlich einfach ein Kind haben, das auf diese Dinge sensibler reagiert, oder eben „besondere Bedürfnisse“ hat. Einen Grund sich deshalb Vorwürfe zu machen oder darüber zu streiten, wer in der Erziehung was falsch macht, gibt es daher nicht. Es muss schon eine Menge ungünstiger Dinge zusammenkommen, damit ein Kind zum Schreibaby wird und nicht alle Dinge hat man immer in der Hand. Dass man die bestehenden Probleme mit Härte und harschen Eingreifen lösen könnte, ist ein Trugschluss, der meist auf Hilflosigkeit und auch Scham beruht. Wie Sie selbst sagen, kann einem das eigene Kind peinlich werden, und auf diesen Druck reagieren Menschen unterschiedlich. Die einen fühlen sich durch das Benehmen des Kindes gedemütigt und meinen, sie müssten sich insbesondere wenn Dritte unliebsame Zeugen des vermeintlichen elterlichen Unvermögens werden „durchsetzen“, das Kind müsse gehorchen. Andere wiederum ziehen sich zurück und vermieden mögliche kritische Situationen. Das beides für die Dynamik ungünstig ist, dürfte auf der Hand liegen. Aus meiner Sicht wäre es daher wichtig, dass Sie versuchen, wieder gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Dafür wird sich jeder aus seiner (gedanklichen) Komfortzone bewegen müssen, damit wieder eine positive Bewegung möglich ist. Hilfreich fände ich eine Beratung bei einem Sozialpädiatrischen Zentrum. Wenn Sie dort schon waren, vereinbaren Sie einen neuen Termin. kümmern sich nicht nur um exzessiv schreiende Babys sondern um das gesamte Spektrum der Regulationsstörungen und ach das Thema ADHS können Sie dort ansprechen. Ich muss Ihrem Kinderarzt zwar Recht geben, doch andererseits nehmen ich Eltern auch immer ernst. Es ist zwar unwahrscheinlich, doch es gibt bestimmte neurologische Auffälligkeiten oder Stoffwechselstörungen, die zu chronischer Unruhe führen können. Hat sich so eine Idee erstmal festgesetzt, lässt sie sich ja auch nicht einfach so wegwischen. Vielleicht hilft Ihnen daher das Gespräch beim Profi und die Sicherheit durch einige Tests. Ansonsten gibt es ein paar sehr schöne Bücher zum Thema 24-h Kind oder „spirited child“, die nochmal mehr Verständnis für die Welt Ihres Kleinen beinhalten. Doch bei allem Verständnis für Ihren Sohn, sollten auch Sie sich nicht vergessen! Sowohl für Sie als auch Ihren Sohn ist es wichtig, dass Sie eigene Grenzen wahren und vermitteln, selbst wenn das an der ein oder anderen Stelle Konflikt (= Schreien) bedeutet. Ihr Sohn ist tatsächlich nun kein bedürftiger kleiner Säugling mehr, Sie dürfen und sollten Ihm mehr zutrauen und ihn auch fordern – mit Härte hat das nichts zu tun. Wohl aber mit Loslassen und Vertrauen. Letzteres müssen viele Eltern nach so einem schwierigen Start erstmal lernen, denn viele möchten Ihr Kind immer noch möglichst ruhig und zufrieden stellen, weil die Angst vorm Schreien immer noch präsent ist. Vertrauen Sie Ihrem Kind, dass es ich tatsächlich mal fünf Minuten allein beschäftigen kann; vertrauen Sie darauf, dass ein Schreien aus Frust oder Wut nicht gleich wieder eine Katastrophe bedeutet, dann tut es auch Ihr Sohn. In diesem Sinne alle Gute! Herzlichst, Ihre Meike Bentz

von Dr. Meike Bentz am 07.07.2016