Frage: Bisphenol A in Aufbissschiene?

Sehr geehrter Dr. Paulus, ich trage seit rund 15 Jahren Aufbissschienen in der Nacht, zuvor lose Zahnspangen. Zunächst trug ich ca. 12 Jahre eine weiche Aufbissschiene, welche ich schon lange durchgebissen hatte, seit Herbst 2011 eine feste, durchsichtige, von ich auch langsam winzige Stückchen "wegknirsche". Ich habe in der 11. SSW aufgehört, die Schiene zu tragen, da ich las, dass viele Schienen schädliche Kunststoffe wie Bisphenol A enthalten. Mein Zahnarzt konnte mir noch keine Auskunft über die Zusammensetzung geben. Angenommen, sie enthält BPA, wie schädlich mag das für die Entwicklung des Embryos gewesen sein - gerade während der sensiblen ersten Wochen, auch für die Gehirnausbildung? Oder könnte ich davon ausgehen, dass sich in den letzten 2 Jahren schädliche Inhaltsstoffe bereits herausgelöst haben und den Embryo nicht mehr beeinflussen? Gibt es ein empfehlenswertes Material für die Schiene oder kann ich meine alte weitertragen? Herzlichen Dank für die Beantwortung meiner Frage!

von _Glückspilz_ am 31.01.2014, 10:44



Antwort auf: Bisphenol A in Aufbissschiene?

Bisphenol A (BPA) ist eine Chemikalie, die für die Herstellung von Kunststoffen und Kunstharzen verwendet wird. Es ist in Plastik enthalten, das mit Lebensmitteln in Kontakt kommt, wie Babyfläschchen, Innenbeschichtung von Konservendosen, Plastikgeschirr und Folienverpackungen. Aus diesen Kunststoffen wird es freigesetzt und wird dann vorwiegend mit kontaminierter Nahrung aufgenommen. In den Industrieländern sind bei praktisch allen Menschen BPA-Mengen im Blut, Urin und Gewebe vorhanden, die höher sind als die, die im Tierversuch Veränderungen hervorrufen. Bisphenol A wirkt östrogenartig, beeinflusst die Synthese und den Metabolismus von Hormonen und bindet schwach an den Östrogenrezeptor (Klingmüller & Alléra 2011). In Tierexperimenten mit Bisphenol A an Ratten und Mäusen trat unter oralen Dosen von 160-1000 bzw. 500-1250 mg/kg/d keine Zunahme von nicht-genitalen Anomalien auf (Morrissey et al 1987; Kim et al 2001). Allerdings verursachten diese Dosen meist toxische Effekte bei den Muttertieren, so dass man eine Zunahme von Aborten und fetalen Wachstumsretardierungen beobachtete. Ähnliche Resultate fanden sich in anderen Studien mit Mäusen unter oralen Dosen von 875-1750 mg/kg/d (Lamb et al 1997) bzw. Ratten unter oralen Dosen von 85-125 mg/kg/d (Hardin et al 1981). In Tierexperimenten mit graviden Mäusen und Ratten riefen Dosen von 2-100 µg/kg/d Veränderungen im Bereich der Genitalorgane bei männlichen und weiblichen Nachkommen hervor (Welshons et al 1999; Gupta 2000; Howdeshell & vom Saal 2000; Markey et al 2001, 2002; Ramos et al 2001; Rubin et al 2001; Honma et al 2002; Schonfelder et al 2002a). In anderen Studien mit teilweise wesentlich höheren Dosen konnte man diese Befunde nicht reproduzieren (Ashby et al 1999; Cagen et al 1999a, b; Kwon et al 2000; Ashby 2001, 2002; Ema et al 2001; Nagao et al 2002; Tinwell et al 2002; Tyl et al 2002; Yoshino et al 2002; Witorsch 2002). Die Bedeutung dieser Experimente mit Bisphenol A an Nagetieren für die menschliche Schwangerschaft ist unklar (Milman et al 2002; Witorsch 2002). Nach oraler Exposition von Rattenmüttern mit Bisphenol A in Dosen ab 40 µg/kg/d fand man anhaltende Verhaltensänderungen bei den Nachkommen (Farabollini et al 1999; Kubo et al 2001, 2003; Markey et al 2002; Adriani et al 2003). Vorübergehende Auswirkungen auf das Verhalten beobachtete man bei den Nachkommen von Mäusen bereits ab 2 µg/kg/d (Kawai et al 2003). Inwieweit sich diese Erkenntnisse auf die Arbeitsplatz- bzw. Umweltexposition beim Menschen übertragen lassen, ist bislang nicht geklärt. Die Lebensmittel-Überwachungsbehörde der Europäischen Union in Parma (EFSA) ist 2007 zu dem Ergebnis gekommen, dass eine für den Menschen gefährliche Dosis nicht erreicht wird. In einer Stellungnahme heißt es zudem, Ungeborene und Säuglinge würden den Stoff abbauen, bevor er ihnen Schaden zufügen könne. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) setzte bis 2006 für BPA einen Grenzwert von 10 µg pro kg Körpergewicht und pro Tag. In ihrer im Januar 2007 veröffentlichten aktualisierten Bewertung von BPA berücksichtigte die EFSA rund 200 Studien und Übersichtsartikel, die seit ihrer ersten Bewertung (2002) erschienen waren, inklusive einer umfangreichen Zwei-Generationen-Studie mit Mäusen. Auf Basis der vorliegenden Daten hat die EFSA den Grenzwert auf 50 µg/kg pro Tag angehoben, Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) sieht keinen Anlass, die bisherige Risikobewertung für Bisphenol A zu ändern (Bundesinstitut für Risikobewertung, Mitteilung zu Bisphenol A, September 2008): „Wird die von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) 2007 festgelegte tolerierbare tägliche Aufnahmemenge (TDI) von 0,05 Milligramm Bisphenol A pro Kilogramm Körpergewicht eingehalten, besteht für Verbraucher kein gesundheitliches Risiko.“ Ob und wieviel Bisphenol A aus Ihrer Aufbissschiene freigesetzt wurde, kann ich leider nicht beurteilen.

von Dr. Wolfgang Paulus am 31.01.2014



Antwort auf: Bisphenol A in Aufbissschiene?

"Im Schnitt nimmt der Mensch täglich Mengen von ca 0,132 µg Bisphenol A pro kg Körpergewicht über die Nahrung auf, wobei Werte von kleiner als 5 µg/kg Körpergewicht (Quelle: EFSA – Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit) als unbedenklich gelten. Bisphenol A wird im Körper schnell verstoffwechselt und seine unwirksamen Metaboliten rasch ausgeschieden. Um trotzdem alle Bedenken von Patienten zu entkräften, wurde zum einen der Gesamtgehalt an Bisphenol A im Polycarbonat-Granulat bestimmt. Die Werte lagen mit ca. 17,5 µg / 5 g Kunststoff (dem Durchschnittsgewicht einer Schiene) schon weit unter dem als kritisch angesehen Wert. Trotzdem wurden bei der HHAC Labor Dr. Heusler GmbH zusätzliche Migrationsstudien von Bisphenol A aus den Schienen durchgeführt. Um die Realität zu simulieren wurden die Schienen in künstliche Speichellösung eingelegt und über 7 Tage bei Körpertemperatur (37°C) geschüttelt. Nach Ablauf dieser Zeit wurde der Gehalt an Bisphenol A, der sich in der künstlichen Speichellösung befand, nach chromatographischer Auftrennung mittels HPLC über einen Fluoreszenzdetektor und einen externen Bisohenol A-Standard bestimmt. Wie zu erwarten war lagen die gefundenen Werte im Spurenbereich mit < = 0,1- 0,95 µg Bisphenol A in Abhängigkeit von der Herstellung der Schienen weit unter dem Grenzwert Für einen 70 kg schweren Menschen würde das eine maximale zusätzliche tägliche Aufnahme von 0,003 µg Bisphenol A pro kg Körpergewicht bedeuten. [...] Es konnte somit gezeigt werden, dass keine Belastung der Patienten durch Bisphenol A bei sachgemäßer Verwendung der von uns getesteten Schienen erfolgt." Quelle: http://www.hhac.de/news/bestimmung-der-migration-von-bisphenol-a-in-kuenstlicher-speichelloesung.html Allerdings handelt es sich laut EFSA um einen "vorläufigen Grenzwert". Bis 2018 wird eine Neubewertung von BPA vorgenommen. Quelle: http://www.efsa.europa.eu/de/press/news/160426a

von Suessspeck am 29.04.2016, 01:06