Frage: Essen probieren

Hallo Birgit, ich hatte neulich schon mal gefragt, da mir nicht so ganz klar ist, wo konsequent sein aufhört und Drängen anfängt. Du hattest geschrieben, dass man durchaus die Regel aufstellen kann, dass zumindest mal probiert wird. Das macht meine Tochter aber nicht. Beispiel: Sie sollte ein winziges Löffelchen Kartoffelbrei probieren. Sie sagt nein. Ich lege ihr das Löffelchen hin, sie fängt an zu weinen und schubst ihn weg. Was soll ich denn dann noch machen? Bei uns sieht es momentan so aus, dass sie bei Nudelgerichten einfach nur die trockenen Nudeln isst und bei Gerichten mit Kartoffeln ein Brot/Laugengebäck bekommt. Andernfalls isst sie halt gar nichts. Gemüse, Suppen, Saucen, Breie - nichts davon rührt sie an. Sie ist 3,5 Jahre. LG M.

von miaandme am 31.05.2017, 20:06



Antwort auf: Essen probieren

Hallo miaandme ich weiß, das Ganze ist ein sehr schwieriges und heikles Thema und es gibt auch nicht die LÖSUNG! Was du schreibst, klingt schon ein wenig verfahren und mit einem, wie ich meine zwischen den Zeilen zu lesen, latent beginnenden Machtkampf. Im Rahmen meiner Arbeit hier im Forum Kochen für Kinder kann ich dir leider nur sehr begrenzt weiter helfen. Die allgemeinen Ratschläge zum Thema legen den Fokus auf "Gelassenheit". Gesunde Kinder werden bei einem ausreichenden Nahrungsangebot, das gewöhnliche Lebensmittel (bspw Brot, Erdbeeren, Käse, Würstchen, Gurken, etc) enthält, i.d.R. ausreichend mit allen Nährstoffen versorgt, so dass man als Eltern i.d.R. keinen Nährstoffmangel befürchten muss. Es gibt hierzu Studien, die bestätigen, dass Kinder bei einem ausreichenden Nahrungsangebot, sich durchaus ausgewogen ernähren. Die allgemeinen Empfehlungen raten vielmehr dazu, Kindern einen gelassenen Blick auf das Thema Ernährung zuteil zu kommen zu lassen. Der Erziehungsauftrag sollte mehr in der Rolle des Vorbildes gelebt werden und weniger durch Worte geschehen. Essen sollte zur Selbstverständlichkeit werden. Essen sollte weder als Belohnung noch als Bestrafung und auch nicht gegen Langeweile eingesetzt werden. Und umgekehrt, sollte dein Kind Essen ebenfalls nicht als Bestrafung oder als Anlass für Machtspielchen (oder sonst was) betrachten. Bei den meisten Kindern funktioniert das Einhalten von Regeln, nach einer kurzen Weile, meist ganz gut. Damit es funktioniert, müsstest ihr als Eltern allerdings tatsächlich konsequent sein und es immer mal wieder aushalten, wenn eure Tochter manchmal nichts essen möchte. Langfristig, wird sie sich daran anpassen und eben doch das ein oder andere mitessen - einfach weil sie Hunger hat. Hunger ist der wichtigste Antrieb. Mein Vorschlag an dich: wenn deine Tochter einfach nur trockene Nudeln essen möchte - dann lass sie. Stelle die dazu gehörigen Sossen auf den Tisch und alle dürfen sich nehmen. Wenn du ein - bis zwei Mal wöchentlich Nudeln mit Sosse servierst, die Sosse immer auf dem Tisch steht und ihr alle genussvoll davon esst, einfach in einer authentischen Weise (das heisst, einfach essen, ohne Kommentare, einfach essen) dann wird eure Tochter neugierig. Versprochen. Sie wird vielleicht erst beim zwanzigsten Mal mutig genug sein, um zu kosten, aber sie wird, versprochen, irgendwann ganz freiwillig etwas von der Sosse haben wollen. Dann lass sie in dem Moment probieren und werte nicht. Breche nicht in Jubel aus und wundere dich nicht, lass sie einfach probieren. Wenn sie mehr möchte, dann lass sie mehr haben. Freue dich möglichst nicht zu sehr in ihrem Beisein. Kommentiere die Situation nicht zu stark. Lass sie diese Situation einfach leben und lass sie in eine neue Rolle hineinwachsen. Wenn es Kartoffelgerichte gibt, dann darfst du Brot/Laugengebäck anbieten - nur solltest du dies für euch alle tun. Das Brot/Laugengebäck sollte, wie das Kartoffelgericht (und wie im vorangegangenen Beispiel die Nudelsosse) für alle sicht - und greifbar auf dem Tisch stehen. Es ist somit eine Option - für alle - eine Option, die allen die Wahlmöglichkeit lässt: Kartoffel oder Brot? Oder sogar Beides? Das gibt deiner Tochter die Chance, sich auch hier langfristig an die Kartoffeln zu trauen. Eine andere Möglichkeit ist das Aufgeben aller zur Wahl stehenden Gerichte auf einen (ihren?) Teller, mit einem Probierlöffel daneben. Deine Tochter ist alt genug, um den Löffel zu nehmen, um zu probieren, falls sie möchte. Und glaub mir, sie wird es tun. Irgendwann. Du solltest auch dann möglichst nicht in Jubel ausbrechen, sondern eher interessiert nachfragen, ob ihr das denn schmeckt, oder ob sie bspw findet, dass es zu salzig/süß/fad ist. Eine ehrliche Meinung erfragen. Und wenn es deiner Tochter schmeckt, dann glaub mir, will sie mehr. Vielleicht nicht sofort, aber doch beim nächsten Mal. Der Körper hat hier eine Erinnerungsfunktion. Geschmack wird nicht nur direkt beurteilt in gut/nicht gut. Geschmackseindrücke wirken nach. Erst wenn der Körper das gegessene Nahrungsmittel/Gericht verdaut und neben den Nährstoffen auch andere Inhaltsstoffe herauslöst, kann er deren Nutzen/Wirkung langfristig bewerten. Dadurch entsteht ein Geschmacksgedächtnis, das langfristig dafür sorgt, dass man Appetit auf bestimmte Speisen bekommt. Der Appetit regelt auch mit die richtige Auswahl der Speisen. Ich empfehle dir jetzt, dass du langfristige Wege gehst. Du brauchst dir nicht zum Ziel zu setzen, dass das Verhalten deiner Tochter morgen schon anders sein wird. Versuche in einem längeren Zeitraum zu denken, den du für die langsame Änderung nutzen willst. Vertraue darauf, dass es sich ändern wird. Je gelassener du alles betrachten kannst, desto eher wird sich ihr Verhalten am Esstisch ändern. Es muss nicht dein Ziel sein, deine Tochter dazu zu bringen, dass sie alles isst. Es sollte besser dein Ziel werden, deine Tochter am Esstisch mit Spaß und Freude, mit Hunger und Neugier, essen zu lassen. Das beginnt beim Decken des Tisches. Am Esstisch sollte eine ruhige und schöne Atmosphäre herrschen, die ausreichend Zeit lässt, die angebotenen Speisen zu betrachten. Zu riechen. Appetit schüren, durch den Anblick. Dazu zählt auch schönes Essgeschirr, evtl eine Tischdecke oder schöne Tischsets, ein paar Blümchen? Hier ist ein Vorschlag für das Anbieten von Karottensalat (Nüsse gegen Rosinen tauschen). Wenn du diesen Salat bspw täglich auf den Tisch stellst, wird jedes Kind, irgendwann, aus reiner Neugier, aus eigenem Antrieb, den Finger reinbohren, die Augen klauen und irgendwann auch die Karotten probieren.... https://www.rund-ums-baby.de/forenbilder/index.htm?seite=1&forum=kochen-fuer-kinder&bild=3#start Möhre fein reiben, in ein Ausstechförmchen geben und mit einem Löffelstiel o.ä. einfach fest drücken. Gesicht auflegen. So macht Essen Kindern Spaß. Noch eine Idee: https://www.rund-ums-baby.de/forenbilder/index.htm?seite=2&forum=kochen-fuer-kinder&bild=5#start und noch eins für Gurkenmännchen: siehe Anhang Bringe auch ganz viel Routine an Tisch. Damit sich deine Tochter gewöhnen kann. Zum Thema Machtkampf, kannst du noch Frau Ubbens nach Tipps befragen. So, das waren jetzt eine Menge Informationen und Ideen, die dich inspirieren und dich hoffentlich ausreichend dazu ermutigen, (selbst) neue Wege zu gehen. Also dann ab jetzt wird alles besser :) Grüße Birgit Neumann P.S. hier ist noch ein Artikel für dich, der dir hoffentlich auch noch etwas hilft, alles gelassener zu betrachten, um künftig wieder entspannte Mahlzeiten zu genießen - Artikel aus dem Newsletter vom BZFE (vormals aid): " **Probieren statt studieren** Mehr Spaß am Familienessen (BZfE) – Suppenkasper und Zappelphilipp – das eigenwillige Essverhalten unseres Nachwuchses war bereits im 19. Jahrhundert ein bekanntes Phänomen. Wie Familienessen gelingen kann, diskutierten Expertinnen auf der Stuttgarter Slow Food Messe. Während mäkelige und unruhige Kinder das Familienessen schon immer erschwerten, kommen heutzutage noch besorgte bis überängstliche Eltern hinzu: Isst mein Kind zu viel oder zu wenig; verträgt es dieses oder jenes Lebensmittel überhaupt? Das fragen sich vor allem die modernen Mütter und suchen Rat in einer Flut von Erziehungsratgebern.  Dagegen empfehlen die Fachleute den Eltern weniger zu grübeln und mehr auszuprobieren. „Wir sollten unseren Kindern Lust auf neue Lebensmittel machen: gemeinsam gärtnern, einkaufen und kochen“, rät Sigrid Fellmeth, BeKi-Fachfrau für Kinderernährung in Mannheim (BeKi = Bewusste Kinderernährung, Landesinitiative Baden-Württemberg). Dabei sollten die Kinder ganz viel fühlen, riechen und schmecken dürfen. Essen ist ein sinnliches Erlebnis und keine Kopfsache. „Kinder brauchen einfach Zeit und Ruhe, um ein gesundes Essverhalten zu entwickeln. Sie haben häufig Phasen mit bestimmten Vorlieben wie Spaghetti mit Tomatensauce, die dann auch wieder verschwinden“, erklärt Fellmeth. Deshalb lautet das wichtigste Rezept für verunsicherte Eltern, gelassen zu bleiben. Spannungen und Unsicherheiten übertragen sich auf die Kinder und schlagen allen auf den Magen.  Noch wichtiger ist es jedoch, dass überhaupt alle Familienmitglieder regelmäßig an einen Tisch kommen. Beim Mittagessen können zumindest Grundschulkinder ihren Ballast von der Schule abladen. Seitdem in immer mehr Familien beide Eltern arbeiten, wird weniger gemeinsam gegessen und wenn, dann eher abends. „Aber immerhin noch die Hälfte aller berufstätigen Eltern versammelt sich einmal täglich am Esstisch“, weiß Professorin Lotte Rose von der Frankfurt University of Applied Sciences. Je älter die Kinder sind, desto schwieriger wird das. Die Jugendlichen haben immer mehr Termine und möchten autonom sein. Zwang auszuüben, wäre jedoch fehl am Platze. „Beim Essen tun wir uns mit der sonst so selbstverständlichen Selbstbestimmung unserer Kinder manchmal schwer. Aber es kann ein wichtiger Ort sein, Demokratie zu lernen. Das heißt: Kindern sollten ihre Vorstellungen zum Essen einbringen dürfen. Eltern sollten ihre Positionen begründen und Kompromisse aushandeln“, empfiehlt Ernährungswissenschaftlerin Rose. Ansonsten gilt: Die Atmosphäre muss stimmen. Sonst schmeckt das beste Essen nicht. Autor: /Jutta Schneider-Rapp, www.bzfe.de < http://www.bzfe.de> "

von Birgit Neumann am 02.06.2017



Antwort auf: Essen probieren

Vielen Dank, die konkreten Tipps haben mir wirklich sehr weiter geholfen!

von miaandme am 03.06.2017, 07:54