Auf Kriegsfuß mit meinem Kleinkind

Dipl.-Soz.päd Sylvia Ubbens Frage an Dipl.-Soz.päd Sylvia Ubbens Diplom Sozialpädagogin

Frage: Auf Kriegsfuß mit meinem Kleinkind

Hallo liebe Frau Ubbens, ich habe schon viel mitgelesen und fand mich/uns auch schon oft in den Themen wieder. Nun habe ich ein Anliegen, bei dem ich Hilfe benötige. Ich habe das Gefühl, dass zwischen mir und meinem Zweiundhalbjährigen Sohn Krieg herrscht. Er mag einfach nicht auf mich hören, wenn es nicht etwas ist, was er selbst will oder mag. D.h. z. B. er kann nicht sitzen bleiben, wenn ich ihn füttere, auch wenn er hungrig ist. Selbst essen lassen kann ich ihn nicht, nachdem er dabei grundsätzlich eine derartige (spielerische)Sauerei anrichtet, dass ich danach eine Stunde mit putzen, wischen, Kleidung wechseln und baden beschäftigt bin. Er matscht sich also auch alles in die Haare und wirft im Umkreis seiner Möglichkeit alles herum. Ich kann nicht mit ihm an der Hand gehen, rennt mir grundsätzlich weg und tobt, wenn er dafür dann im Kiwa sitzen muss. Eine Lehre zieht er daraus nicht. Er hüpft auf der Couch seit er stehen kann, fällt dann runter und schlägt sich am Tisch an, ihn davon abbekommen, ist absolut unmöglich. Er sitzt nur auf dem Tisch, nicht auf der Couch. Mal sich in meinem Schoß ausruhen oder kuscheln oder Ruhe geben, kann er wirklich nicht mal drei Sekunden. Er bleibt nicht im Bett zum Einschlafen, egal wie müde er ist. Die schönen Bettgehrituale genießt er von Herzen, das Vorlesen zum Schluss auch, dann ist aber auch gut für ihn. Dann will er wieder spielen. Er ist das einzige Kind in der Spielgruppe (mit 10 Kindern) und der Turngruppe (mit 30 Kindern), das keinem Spiel, keiner Regel und keinem Ritual folgt. Er ist immer der Kasper. Wir können mit ihm auch niemanden besuchen, weil alle ihn so anstrengend finden und er alle nervt. Aber andererseits ist er auch so ein kluger Junge. Er spricht seit er 2 ist zwei Sprachen (mittlerweile eine davon flüssig und auch sehr klar und schön), er kennt sehr viele Zusammenhänge und versteht sehr viel, er kann schon fast das ganze Alphabet lesen und auch Lieder und Melodien kann er perfekt wiedergeben. Er ist unheimlich interessiert und neugierig und lustig und charmant und jedem Gleichartigen, den wir kennen, und das sind sehr viele, in der Entwicklung voraus, nur eben nicht im Benehmen, und das artet bei uns immer in Geschrei aus. Heute erst musste ich ihn vom Spielplatz heimZERREN, weil mir einfach nichts mehr anderes eingefallen ist, nachdem ich es erst mit dem Aufräum- und Heimgehlied, dann mit Überreden, Drohen und Schreien nicht geschafft habe. Das Problem ist, dass die Situation jetzt wirklich schon verfahren ist, weil ich immer schon davor fürchte, dass sowieso nichts klappt oder fruchtet, vielleicht spürt er auch meine Verzweiflung und mein Wissen, dass ich absolut keine Kontrolle mehr habe über die Abläufe. Es ist oft nur noch ein Raumschreien, drohen, streiten, und wenn mein Mann heimkommt, will ich niemanden mehr sehen oder hören. Ich habe den Kinderarzt schon angesprochen. Der wollte uns ins SPZ schicken. Aber ich habe Angst vor verfrühten Falschdiagnosen und hoffe immer noch auf den Kindergarten. Dass er dort einfach durch den dauernden Gruppenzwang Regeln lieben lernt. Auch sind die Wartezeiten beim SPZ so e entmutigend lang, ca. 6 Monate. Es tut mir leid, wenn ich jetzt so ausgeschweifit bin, aber haben Sie mir erste Tipps, wie ich die Situationen entspannen kann? Ich bin so verzweifelt, dabei wollte ich doch mit meinen 35 Jahren so eine tolle Bilderbuchmami werden.

von MarinaFerrarra am 15.04.2015, 14:36



Antwort auf: Auf Kriegsfuß mit meinem Kleinkind

Liebe MarinaFerrarra, schreiben Sie für sich einmal in Ruhe auf, welche Situationen Sie gerne anders sehen würden. Schreiben Sie auf, wie sich Ihr Sohn verhält und wie Sie derzeit reagieren. Damit können Sie sich erst einmal einen Überblick verschaffen. Überlegen Sie nun, in welchen Situationen Sie aus Ihrer Sicht "richtig" handeln oder auf welche Handlungen Sie gerne anders reagieren möchten. Haben Sie selbst Ideen, wie diese Reaktionen aussehen können? Ein paar Möglichkeiten: Essen Sie mit Ihrem Sohn zusammen. Er sollte Sie als Vorbild erleben. Legen Sie ihm immer nur ein Stück Brot hin, was er sich selbst in den Mund stecken kann. Fängt er an, zu spielen oder damit zu werfen, ist die Mahlzeit beendet. Ebenso bei warmen Mahlzeiten. Geben Sie Ihrem Sohn nur wenig auf den Teller und sobald er nicht mehr "vernünftig" isst, ist der Teller weg. Ganz ohne laute Worte, nur mit der Erklärung, dass es nichts mehr zu essen gibt, wenn er das Essen wirft. Sie wollen einen Spaziergang machen und Ihr Sohn rennt weg und möchte nicht an der Hand gehen, dann gehen Sie mit ihm nach Hause. Üben Sie dies, wenn nicht gerade wichtige Dinge anstehen, wo Sie hinmüssen, so dass Sie auch zurück gehen können. Gehen Sie aber auch regelmäßig in den Park o.ä., wo er sich frei bewegen und austoben kann. Ihr Sohn hüpft auf der Couch oder sitzt auf dem Tisch, dann verlassen Sie mit ihm den Raum. Die Tür zum Wohnzimmer bleibt zu, wenn Sie nicht dabei sind. Abends können Sie überlegen, ob Sie Ihren Sohn von vorneherein eine halbe Stunde später schlafen legen, damit er wirklich müde ist und leichter einschlafen kann. Sie können ihn auch morgens eher wecken, damit er eine längere Wachzeit hat. Vielleicht hilt es, damit er abends schneller zur Ruhe kommt. Bzgl. des Heimgehens vom Spielplatz können Sie 5 Minuten bevor Sie gehen wollen ankündigen, dass Sie in 5 Minuten gehen. Ihr Sohn versteht zwar die 5 Minuten noch nicht, doch er weiß, dass das heißt, dass es bald nach Hause geht und kann sich innerlich schon mal darauf vorbereiten. Lassen Sie dann das Heimgehlied, das Überreden, Drohen, Schreien weg und gehen mit ihm nach Hause, im Notfall tragen Sie ihn. Am Beispiel des Spielplatzbesuches können Sie lesen, dass Sie viele Dinge ausprobieren, wie Sie Ihren Sohn dazu bringen, mitzukommen. Mittlerweile wartet er ab, welche Ideen Sie sonst noch haben, bevor Sie wirklich handeln. Legen Sie einfache Strukturen und Regeln fest, nach denen Sie immer wieder handeln, damit Ihr Sohn lernt, dass egal, was er macht, Sie sich an die Abläufe halten. Auch wenn es für alle Beteiligten die nächsten Wochen anstrengend wird, so wird es anschließend vermutlich etwas ruhiger werden. Gehen Sie viel mit Ihrem Sohn nach draußen. Er sollte viel austoben können. Machen Sie mit ihm Wettrennen, spielen Fußball etc. Er soll sich viel bewegen. Eine Stunde vor dem Zubettgehen stehen dann nur noch ruhige Aktivitäten auf dem Programm. Viele Grüße Sylvia

von Sylvia Ubbens am 17.04.2015



Antwort auf: Auf Kriegsfuß mit meinem Kleinkind

Liebe Sylvia, Ihre Einlassungen auf meine verzweifelten Fragen und Bitten haben mich gründlich zum Grübeln gebracht. Mir ist eines immer klarer geworden: Ich kann mit dem Gefühl, nicht die volle Kontrolle zu haben, nicht umgehen. Ich habe große Probleme damit, dass mein Kind nicht ganz einfach das macht was ich will und das unterlässt, was ich nicht möchte. Und suche dann nicht nach weisen Lösungen und Auswegen, sondern ärgere mich einfach maßlos, dass er es mir so schwer macht. Dabei weiß ich doch, dass er so ist, weil er nunmal ein Kind ist, und es mir nicht macht. Ebenso könnte er ja das selbe von mir denken, und tut es bestimmt. Er fragt mich auch oft, wenn er staunt oder sich ärgert über meine Vorgehensweisen: Mama, was soll das? Ich möchte Ihre Ratschläge sehr gerne befolgen und habe selbstverständlich direkt nach dem Lesen damit begonnen. Ich habe tatsächlich auch schon Erfolge erzielt. Das mit dem Essen klappt schon mal ganz gut. Ich kann mich auch immer öfter dazu durchringen, ihn selbst löffeln oder gabeln zu lassen und gelassen hinzunehmen, dass nachher halt viel zu putzen und zu waschen ist, denn sonst lernt er es ja nie. Damit meine ich die versehentlich danebengegangenen Versuche, denn er ist wirklich noch nicht gut im Selberessen. Meine Schuld. Wir haben ihn schon immer viel rausgebracht und toben gelassen, weil er das wirklich braucht. Während meiner 2. Schwangerschaft (sein kleiner Bruder ist jetzt 6 Monate alt), war ich leider fast bettlägerig, und auch jetzt kann ich ihn aus gesundheitlichen Gründen nicht tragen, aber ich habe immer so viel rausgeholt wie nur ging, und mein Mann ist, wenn er nicht arbeitet, auch immer voll dabei mit ihm. Dennoch trage ich ihn jetzt immer demonstrativ von einer Situation, in der ich ihn nicht haben möchte, weg. Also z. B. vom Spielplatz, die ersten paar Meter, und nach dem Absetzen macht er plötzlich mit. Es ist so, als würde er erst dann den Ernst erkennen. Es muss aber dann auch mal ohne Wegtragen gehen, und das war heute sogar der Fall. Vielleicht kapiert er, dass er, wenn er nicht freiwillig mitmacht, ja sowieso zwangsweise abgeschleppt wird. Das mit dem Hüpfen will und will nicht klappen. Ich habe es jetzt die ganze Woche versucht, er kann es nicht lassen. Das ärgert mich so... Aber ich bleibe bei der Vorgehensweise und notfalls hoffe ich einfach, dass er da rauswächst, etwas anderes bleibt mir dann nicht mehr übrig. Ich arbeite wirklich hart daran, unsere Tage gut durchzustrukturieren, so dass viel von dem Stress gar nicht erst entsteht, der mich innerlich dann so aufkochen lässt, wenn mal was nicht so läuft wie ich es mir vorstelle. Aber ehrlich gesagt ist es jeden Tag ein neuer Kampf, entweder innerlich ausgeglichen zu BLEIBEN oder wieder zu WERDEN, denn mein Kleiner wacht immer noch 2-5 Mal die Nacht auf, dann fängt der Tag sehr früh an und mein Zweieinhalbjähriger machte jetzt auch fast 6 Monate lang keinen Mittagschlaf (bis ich wieder den Dreh heraus hatte, er muss wohl Angst gehabt haben, seit der Kleine da war, dass wir dann vielleicht alle gemeinsam verschwinden während er schläft... nun lege ich mich gerne zu ihm hin und begleite ihn in den Schlaf, was ihm sehr hilft, und dann schläft er auch, das ist ganz neu und für mich eine wahnsinnige Erleichterung, durch den Tag zu kommen. WENN der Kleine auch gleichzeitig schläft, da ich dann eben auch kurz zur Ruhe komme, bevor ich dann schnell etwas Haushalt erledige). Manchmal wünsche ich mir einfach mal einen perfekten Zeitplan, wie ich mit diesen zwei kleinen Kindern eine gute Struktur hinbekomme, bei der keins der Kinder zu kurz kommt, und ehrlich gesagt auch ich.. ich spüre mich vor Erschöpfung oft einfach nicht mehr. Ich bleibe dran und danke Ihnen nochmals für Ihre hilfreiche Antwort. Liebe Grüße, Marina

von MarinaFerrarra am 26.04.2015, 23:24