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Geschrieben von Silke11 am 07.10.2015, 14:54 Uhr

Hamed Abdel-Samad im Interview mit dem Deutschlandfunk heute:

extra für Butterflocke (nein, er sagt viele interessante und kluge Dinge)

http://www.deutschlandfunk.de/politologe-abdel-samad-der-islamische-staat-ist-das.886.de.html?dram:article_id=333128

Politologe Abdel-Samad
"Der Islamische Staat ist das legitime Kind von Mohammed" Teil 2

Der Islam sei nicht zu retten und nicht reformierbar, denn "Gottes Wort kann man nicht reformieren", sagte Hamed Abdel-Samad im DLF. Der deutsch-ägyptische Politologe rechnet in seinem neuen Buch "Mohammed" mit dem Propheten ab: "Wir müssen uns heute befreien von den multiplen Krankheiten, an denen Mohammed und seine Gemeinschaft gelitten haben."

Hamed Abdel-Samad im Gespräch mit Andreas Main

Hamed Abdel-Samad: Ich sehe eine unglaubliche Arbeitsteilung, die gefährlich ist - zwischen Fundamentalisten, Islamwissenschaftlern und liberalen Muslimen.

Andreas Main: Hamed Abdel-Samad, bei Ihnen in Ihrem Buch "Mohammed" bleibt nicht viel Positives übrig an Mohammed, wenn man Ihre Dekonstruktion zugrunde legt. Jetzt frage ich mal den, der sich ausgesprochen kritisch gibt und der sich abarbeitet an diesem Mann des 7. Jahrhunderts: Was finden Sie ohne Abstriche positiv an Mohammed?

Hamed Abdel-Samad: Mohammed war ein sehr sensibler Visionär. Er war ein gekränkter Außenseiter, der seine Gesellschaft verändern wollte und anfangs mit der friedlichen Botschaft diese Gesellschaft nicht verändern konnte. Und deshalb musste er seine Welt dekonstruieren, eigentlich vernichten, um sie in seinem Sinne wieder herzustellen. Er hat natürlich eine gute Soziallehre entwickelt, die für Muslime bis heute positive Aspekte hatte. Er war kein Teufel. Und ich dämonisiere ihn nicht. Ich versuche nur ihn als Mensch, als einen Menschen zu beleuchten, der nicht durch göttliche Eingebungen, Offenbarungen gehandelt hatte, sondern von seinen eigenen Trieben, seinen eigenen Ängsten, von seinen eigenen politischen Motiven gesteuert war. Und wenn man sein Handeln nach menschlichen Maßstäben bewertet, dann kann man ihn entmystifizieren und kann auch viele Probleme, die wir heute in der islamischen Welt haben, auch lösen: in Bezug auf Umgang mit den Frauen, Umgang mit den sogenannten Ungläubigen und auch Umgang mit Gewalt und Dschihad.

Main: Zu dieser Analyse kommen Sie auf der Basis des Koran und der Hadithe. Nehmen Sie damit diese Texte nicht genau ernst und buchstäblich wie jene auf der ganz anderen Seite, die womöglich sehr orthodox diese Texte ernst nehmen. Sprich – sind es nicht eigentlich eher Glaubenstexte? Und Sie nehmen sie als historische Texte?

Abdel-Samad: Ich nehme die Texte wahr und unterscheide im Buch zwischen drei Sorten von Texten, die zu Mohammed geschrieben worden sind. Texte, die ich für den Kern des historischen Mohammed halte, und das sind die Texte, die seine persönlichen Schwächen beschreiben, die ihn als Mensch beschreiben, den Werdegang, dass er Händler war, dass er kriegerisch war. So was muss man nicht erfinden. Dann kommen dazu Texte, die ihn so dermaßen glorifizieren, von Wunder sprechen und so weiter, die halte ich natürlich für erfundene Texte, die für theologische oder politische Zwecke erfunden worden sind. Dann kommen Texte, die verschwunden sind, weil diese Biografie immer bearbeitet wurde – viele Texte davon sind verschwunden. Und ich glaube, das sind die Texte, die ihn diskreditieren, die noch mehr von seinen Schwächen erzählen. Und ich versuche aus den unterschiedlichen Biografien, das herauszufiltern, was zu der Chronologie des Korans passt. Dann sieht man schon die Entwicklung einer gekränkten Persönlichkeit. Er hat in Mekka 13 Jahre lang Frieden gepredigt, aber es hat nicht funktioniert, er hatte kaum Anhänger. Dann musste er nach Medina gehen und dann baute er eine Armee auf, überfiel Karawanen. Und da fing eine neue islamische Ökonomie an, die auf Kriegsbeute und Sklavenhandel ausgerichtet war. Erst dann kam er Erfolg, kamen Scharen von Stämmen, die seine Botschaft angenommen haben, obwohl die gleichen Stämme seine Botschaften damals, als sie friedlich war, zurückgeschlagen haben. So kann man schon die Entwicklung sowohl in seiner Biografie als auch im Koran nachvollziehen.

Main: Hamed Abdel-Samad, der aus meiner Sicht schwerste Vorwurf, den Sie an die Adresse Mohammeds erheben, ist der, dass Sie sagen, die Terroristen des Islamischen Staates würden eben genau die Werte leben, die Mohammed propagiert hat. Wie belegen Sie diese direkte Linie von Mohammed zum IS?

Abdel-Samad: Erst einmal seine Taten. Also, es gibt nichts, was der IS macht, was Mohammed seinerzeit nicht getan hat – und seine Gefährten. Nämlich die Enthauptung von Kriegsgefangenen. Es war übrigens sogar im 7. Jahrhundert ein Tabu. Und Mohammed hat dieses Tabu gebrochen und hat Hunderte von Kriegsgefangenen, die sich ergeben haben, enthaupten lassen. Die Vergewaltigung von Frauen, die als Kriegsgefangene, als Kriegsbeute für Muslime galten – das hat Mohammed sogar auch im Koran verankert. Die Aufteilung der Welt in Gläubige und Ungläubige, dieser Hass auf Ungläubige, dass sie schlimmer sind als die Tiere – das steht im Koran – das hat Mohammed so propagiert, vor allem in den letzten Suren des Korans. Die Haltung insgesamt zu Frauen, die Gesellschaftsbilder, diese Durchregulierung, dass alles nach den Regeln des Islam ablaufen sollte. Woher hat der IS all das? Der IS ist für mich das legitime Kind von Mohammed und seiner ersten Gemeinde. Sie eifern ihm nach, sie kommen nicht zu Recht im 21. Jahrhundert und deshalb versuchen sie mit einer Zeitmaschine, die Zeit zurückzudrehen, um im 7. Jahrhundert zu leben.

Main: Und wenn Muslime es wagen würden, "Mohammed aus dem Käfig der Unantastbarkeit zu entlassen und ihn Mensch werden zu lassen", was versprechen Sie sich davon als Effekt?

Abdel-Samad: Dass die Menschen nachdenken. Ist es logisch, was ich schreibe. Es ist keine Diffamierung. Das steht in den Texten des Islam drin. Wenn man das nur liest, dann begreift man. Ich habe nicht nur ein Buch auf Deutsch geschrieben über Mohammed, sondern ich habe die Inhalte dieses Buches auch auf Arabisch auch auf YouTube vorher veröffentlicht. Und über eine Millionen Menschen haben das bis heute gesehen. Es gibt eine unglaubliche Diskussion. Aus allen arabischen Staaten diskutieren Leute miteinander über die Figur Mohammed, seine Verdienste, aber auch seine schlimmen Taten. Das zeigt, dass die Sehnsucht da ist unter jungen Menschen, endlich mal kritisch mit dieser Figur umzugehen, die Jahrhunderte lang, Jahrhunderte lang verschont wurde – von Kritik und von Satire und von historisch-kritischer Betrachtung. Es ist an der Zeit, mit ihm abzurechnen.

Main: Es ist keine Diffamierung, sagen Sie, es ist kritisch. Dennoch die Frage an Sie, wie oft bekommen Sie Leserpost, Reaktionen irgendeiner Art von einer Seite, die Sie nicht so sehr gerne mögen – als von der falschen Seite?

Abdel-Samad: Welche falsche Seite meinen Sie genau? Also die falsche Seite ist für mich die, die mich umbringen wollen. Das ist die falsche Seite. Und davon bekomme ich sehr viel Post. Und ich bin sehr beschäftigt, mich mit ihnen auseinanderzusetzen und mich vor ihnen zu schützen. Alles andere ist für mich Banalität. Ich weiß, was Sie meinen. Sie meinen die rechte Seite. Mir ist nicht bekannt, dass irgendjemand mein Buch zitiert hat, während er einen Menschen enthauptet. Aber es gibt viele Menschen, die heute den Koran zitieren, während sie Menschen enthaupten. Da muss man da genauer hingucken, warum es so ist. Weil der Koran zu dieser Art tatsächlich aufruft. Ich rufe nicht zu Gewalt auf. Ich betreibe humanistische Religionskritik, das ist legitim. Das ist nicht nur legitim, sondern notwendig in unserer Zeit. Ich diffamiere Muslime nicht. Ich sage nicht, dass alle Muslime gewalttätig oder Terroristen sind – im Gegenteil, die meisten Muslime sind friedlich. Aber ich sage nicht, dass sie friedlich sind, weil sie Muslime sind. Sie sind Menschen und haben auch andere Quellen und andere Ziele. Und nicht alles in ihrem Leben ist vom Islam gesteuert. Aber der Islam hat den Anspruch, dass alles in ihrem Leben gesteuert werden sollte. Und die, die das machen, enden als Salafisten oder als Terroristen. Und ich unterscheide ganz klar zwischen Islam und Muslimen. Rassisten tun das nicht und wollen das nicht tun.

Main: Sie werfen in Ihrem Buch dem Reformlager vor, dass es an einigen Punkten die Gefahren, die von Islamisten ausgehen nahezu verkleistern – diese Reformer, indem sie Mohammed verharmlosen.

Abdel-Samad: Ja. Ich sehe eine unglaubliche Arbeitsteilung, die gefährlich ist – zwischen Fundamentalisten, Islamwissenschaftlern und liberalen Muslimen. Die Fundamentalisten töten im Namen Mohammed und holen sich die Gewaltpassagen aus dem Koran als Legitimation. Die Islamwissenschaftler relativieren diese Passagen, ohne wirklich dazu großartig beizutragen. Wir überlassen den Fundamentalisten das Feld, indem wir sagen: ja, wir wissen nicht ganz genau, ob Mohammed gelebt hatte oder ob er das getan hatte oder nicht. Vielen Dank. Auf Wiedersehen. Wir haben nichts gelernt. Und dann kommen die liberalen Muslime und polieren das Image von Mohammed und vom Koran auf - und Islam ist Frieden und IS hat mit dem Islam zu tun...

Main: ... und erst die Gelehrten nach Mohammed haben für Fehlentwicklungen gesorgt.

Abdel-Samad: Genau, all das. Das bringt uns nicht weiter. Mohammed ist eine Realität, auch wenn er nie gelebt hätte, weil die Texte ihn lebendig gemacht haben. Diese Texte sind für den Tod von Millionen von Menschen in Eroberungskriegen verantwortlich. Für Mohammed oder wegen Mohammed werden heute Menschen umgebracht – wie im Irak und in Syrien, wie die Redakteure und Zeichner von Charlie Hebdo wegen einer Zeichnung. Und dann kommen die Leute und sagen, das hat alles nichts mit dem Islam zu tun. Diese Behauptung ist nicht nur irreführend sondern gefährlich, denn das würde bedeuten, man kann so weiter machen mit dem Islam, die gleiche Lehre von Mohammed, dieses Vorbild kann so bleiben, wie es ist, und kann an Schulen und Moscheen genauso unterrichtet werden. Und somit tragen auch liberale Muslime manchmal dazu bei, dass es nicht zur Reform kommt, dass es nicht zu Veränderung des Denkens kommt.

Main: In diesen Zusammenhang passt auch der letzte Satz Ihres Buches, den ich zitiere: "Vielleicht braucht der Islam keinen Luther, sondern einen Erasmus, einen Voltaire und viele Charlie Hebdos." Den haben Sie eben auch schon angesprochen. Ist das letzten Endes Ihr Punkt: Im Grunde ist der Islam nicht zu retten, nicht reformierbar, sondern muss satirisch und aufklärerisch bekämpft werden?

Abdel-Samad: Ja. Gottes Wort kann man nicht reformieren. Man muss erst einen Frontalangriff gegen diese Idee, dass es Gottes Wort ist. Und dass ist von Menschen gemacht ist. Dann ist es auch eine Würdigung des Korans, eine Würdigung Mohammeds, beide als menschlich zu betrachten, damit wir uns von den multiplen Krankheiten, an denen Mohammed und seine Gemeinschaft gelitten hatten, uns heute befreien. Narzissmus, Paranoia, Kritikunfähigkeit, Neigung zur Gewalt, Rechtfertigung der Gewalt, Verherrlichung der Gewalt. Wir sind im 21. Jahrhundert. Wir müssen neue Wege finden für das Zusammenleben, für die Vielfalt und die Toleranz. Und Mohammed kann uns definitiv nicht weiterhelfen.

(Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.)

 
3 Antworten:

und der erste Teil des Interviews:

Antwort von Silke11 am 07.10.2015, 15:05 Uhr

http://www.deutschlandfunk.de/hamed-abdel-samad-mohammed-regiert-aus-seinem-grab-heraus.886.de.html?dram:article_id=332648

Hamed Abdel-Samad
"Mohammed regiert aus seinem Grab heraus bis heute"
"Der Prophet muss entmystifiziert werden. Mohammed war Narzisst und Paranoiker", das schreibt Hamed Abdel-Samad in seinem neuen Buch. Mit solchen Thesen macht er sich nicht nur Freunde. Der deutsch-ägyptische Politologe und Autor lebt unter Polizeischutz und hat keinen festen Wohnsitz, weil er von Islamisten bedroht wird.

Hamed Abdel-Samad im Gespräch mit Andreas Main
Abdel-Samad Hamed ist einer der schärften Islam-Kritiker im deutschsprachigen Raum. (Peter Wollring/ Knaur Droemer Verlag)

Abdel-Samad Hamed. "Man muss lernen, dass in dieser Gesellschaft niemand über dem Gesetz steht – weder Jesus noch Mohammed..."

Andreas Main: Muslimische Hörerinnen und Hörer müssen jetzt stark bleiben. Unser Gesprächspartner, der mir gegenüber sitzt, regt nicht nur traditionelle Muslime auf. Auch für jene Muslime, die als liberal bezeichnet werden, ist er ein rotes Tuch: der gebürtige Ägypter und einstige Muslimbruder Hamed Abdel-Samad. In den vergangenen Jahren hat er immer wieder den real existierenden Islam scharf kritisiert – vor allem das, was er als islamischen Faschismus bezeichnet. Jetzt geht er einen Schritt weiter – Hamed Abdel-Samad geht ans Eingemachte. Er kritisiert in seinem neuen Buch nicht nur bestimmte muslimische Strömungen, er kritisiert den Propheten. Er nimmt Mohammed auseinander. Der Titel des Buches, der für sich selbst spricht: "Mohamed: Eine Abrechnung". Guten Tag, Herr Abdel-Samad.

Hamed Abdel-Samad: Guten Tag. Hallo.

Main: Hamed Abdel-Samad, schon bevor das Buch erschienen ist und bevor auch nur ein Satz aus diesem Buch zu lesen war, schlugen viele – durchaus auch gemäßigte – Muslime im Internet auf Sie ein. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum so viele Menschen auf Sie so allergisch reagieren?

Abdel-Samad: Mohammed ist natürlich für viele Muslime – nicht nur für radikale Muslime – unantastbar. Er wird verklärt und verehrt. Viele Muslime halten ihn für ihre Existenzberechtigung – Raison d'Être. Deshalb bewerten sie jede Kritik an ihm als ein Frontalangriff auf sich selbst. Genau das will ich verändern mit diesem Buch, damit die Mohammed-Kritik irgendwann eine Normalität wird.

Main: Sie sind Mohammed-Kritiker, Sie sind islam-kritisch. Sind Sie islamophob?

Abdel-Samad: Was bedeutet das? Was bedeutet islamophob? Phobie ist eine Krankheit, unerklärliche Angst. Und Menschen, die Sorgen und Ängste vor bestimmten Entwicklungen innerhalb des Islam haben, als islamophob zu bezeichnen, ist eigentlich eine Diffamierung. Diese Menschen sind nicht krank, sondern haben sehr oft berechtigte Ängste in Bezug auf den Islam.

"Zum Humanismus gehört Religionskritik"

Main: Jemanden als Islam-Kritiker zu bezeichnen, in bestimmten Kreise ist das, als ob man jemanden per se verurteilen würde, weil er islam-kritisch ist. Also, wie geht es Ihnen, wenn Sie als Islam-Kritiker bezeichnet werden?

Abdel-Samad: Ich bin Gesellschaftskritiker, ich bin ein Denker, ich bin Politikwissenschaftler und habe auch als Islamwissenschaftler vier Jahre lang gearbeitet und an der Uni gelehrt. Islam-Kritiker ist keine richtige Bezeichnung. Ich bin Humanist in allererster Linie, ein Mensch. Und zum Humanismus gehört Religionskritik, zur Aufklärung gehört Religionskritik. Das Judentum und das Christentum mussten durch diesen Weg gehen, und dieser Kelch geht auch an Muslime nicht vorbei.

Main: Deswegen plädieren Sie für eine Entmystifizierung Mohammeds: Würde Mohammed, der Prophet, nicht ausschließlich als Prophet gesehen, sondern eben auch als Mensch, könnte man normale kritische Maßstäbe an ihn legen und würde sich nicht so fokussieren auf diese Person?

Abdel-Samad: Genau das. Das Problem ist nicht, was Mohammed gesagt oder getan hatte damals. Man könnte das im historischen Kontext teilweise verstehen. Das Problem ist, dass Mohammed heute von seinem Grab aus regiert, dass er so viel Macht hat, dass er als moralisches und politisches Vorbild für viele Muslime gilt. Dann kann man nicht mit menschlichem Maßstab mit seinem Handeln und seinen Aussagen umgehen. Erst, wenn er Mensch wird, was er ja immer war, dann könnte man historisch-kritisch mit seinem Werk umgehen.

"Wir müssen an den Versen des Koran herumschrauben"

Main: Historisch-kritische Exegese im Christentum hat dann ja irgendwann dazu geführt, dass man zur Erkenntnis gekommen ist, ein Leben Jesu rekonstruieren zu wollen, führt nicht zu allzu viel. Sondern man ist dann zu dem Ergebnis gekommen, das sind Texte, in denen sich Autoren, in den sich die christliche Gemeinde äußert, was sie glaubt von Jesus. Ist denn unter Umständen eine theologische Herangehensweise an Mohammed - könnte die denn nicht womöglich dazu führen, auch Islamistisches zu entschärfen?

Abdel-Samad: Aber zuerst muss Mohammed und der Koran entmystifiziert werden. Solange sie unantastbar sind, solange der Koran als das absolute und letzte Wort Gottes gilt, kann man den Koran nicht umdeuten, kann man nicht hermeneutisch rankommen. Was wir brauchen, ist nicht, dass wir an den Versen des Korans herumschrauben, bis sie modern werden. Das wird nie passieren. Wir müssen den Koran selbst entmachten als politisches Instrument. Ich kann die Friedenpassagen im Kontext verstehen und die Gewaltpassagen im Kontext verstehen. Beide stammen aus dem 7. Jahrhundert, beide stammen aus der Psyche und dem Handeln von Mohammed als Person und seiner Gemeinschaft und haben in dem 21. Jahrhundert nichts zu suchen. Theologische Spiele können für Theologen sehr spannend sein. Aber man kann nicht das Gleiche tun mit dem Islam, was mit dem Christentum oder mit den christlichen Texten gemacht worden ist, denn im Christentum gelten diese Texte als von Menschen geschrieben, auch wenn manche Theologen sagen, von Gott inspiriert. Aber das haben Menschen geschrieben. Wir kennen die Namen dieser Menschen, die diese Texte geschrieben haben. Und das macht die Sache natürlich leichter. Auf der anderen Seite haben wir natürlich auch das Vorbild Jesus. Das konnte schon als Alibi für Reformer gelten. Nein, nein – auch wenn die Kreuzritter ein paar Blödheiten im Mittelalter veranstaltet haben, kehren wir zurück zum Vorbild Jesus, dann stellen wir fest, dass er niemand umgebracht hatte, dass er keine Eroberungskriege geführt hatte, dass er keine Ehebrecherinnen steinigen wollte. Und da kommt man schon an was Humanistisches ran. Und wenn er sagt, gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und gebt Gott, was Gottes ist, dann ist das eine gute Grundlage für den Säkularismus. All das gibt es im Islam nicht, denn Mohammed war Kaiser und Prophet gleichzeitig. Er hatte eine Armee und war Finanzminister und war Polizist und Richter und hatte alle Funktionen mit der Religion vermischt. Und das nenne ich Geburtsfehler des Islam – und bis heute heilt dieser Fehler eben nicht.

Main: Was das Historisch-Kritische betrifft, da möchte ich auf einen Punkt eingehen: sein Verhältnis zu Frauen. Und da müssen Sie als Gesellschaftskritiker sich womöglich auch ein wenig Kritik gefallen lassen. Mich überzeugt das nicht ganz so, wenn Sie etwas Verlässliches über das Sexualleben Mohammeds aussagen wollen. Was wissen Sie über seine vielen Frauen, die vor 1400 Jahren gelebt haben?

Abdel-Samad: Wir haben ja anerkannte islamische Quellen. Wir haben den Koran als eine Quelle, die von allen Muslimen anerkannt wird. In diesem Koran wird erzählt, dass Mohammed die Frau seines Sohnes von ihm scheiden lässt, um sie selber zu heiraten und dafür eine Genehmigung von Gott gebraucht hatte. Es gibt zahlreiche anerkannte Hadithe, Überlieferungen des Propheten, in seiner Biografie, die von all diesen vielen Frauen erzählen. Sein Frauenproblem führe ich zurück auf sein Kindheitstrauma eigentlich: seine Beziehung zu seiner Mutter. Er ist ein Waisenkind gewesen. Sein Vater starb, bevor er geboren war. Seine Mutter hat ihn schon als Säugling drei Wochen nach seiner Geburt abgegeben an eine fremde beduinische Familie, um ihn großzuziehen, und sie lebte noch. Und er hatte diese Sehnsucht nach der Mutter. Er hatte das Gefühl, dass er nicht gewollt war. Das verstört natürlich eine Persönlichkeit. Deshalb wurde er zum Narzisst, deshalb wurde er zum Paranoiker.

"Eltern dürfen ihre Kinder nicht religiös indoktrinieren"

Main: Hamed Abdel-Samad, Sie bezeichnen sich selbst als Humanist. Dennoch an Sie die Frage: Gibt es nicht auch die Gefahr, dass man als liberaler Mensch illiberal wird. Wenn Sie sagen, Sie können mit dem Gottesbild Mohammeds nichts anfangen, weil er Anweisungen gibt vom Schlafrhythmus bis zum Toilettengang, dann ist das ja Ihr gutes Recht. Aber warum stört es Sie, wenn andere sich solchen Regeln unterwerfen – wann Sie sich zum Beispiel die Hand waschen?

Abdel-Samad: Die können machen, was sie wollen, in ihren privaten Räumen. Es gibt unterschiedliche Religionen. Es gibt so viele auch komische Formen von Ritualen. Es gibt tatsächlich Leute, Männer, die sich im Wald treffen und auf einem heißen Stein pinkeln und das ist für sie Religion. Sollen sie ruhig machen, solange sie das versteckt im Wald machen. Aber wenn die das in der Schule machen – ich will nicht, dass irgendjemand in der Schule pinkelt vor mir. Das ist nicht Islam – aber es ist halt ein Bild. Man kann machen, was man will in seinen privaten Räumen. Man darf aber dabei die Öffentlichkeit nicht belästigen und man darf auch seine Kinder nicht damit indoktrinieren, dass sie das tun müssen. In Deutschland vor allem gilt das Grundgesetz. Im Artikel 2 des Grundgesetzes gilt, dass die freie Entfaltung der Menschen gewährleistet ist. Und wenn die Eltern ihre Kinder religiös indoktrinieren, sie vom Schwimmunterricht abhalten, sie mit sechs Jahren zwingen, Kopftuch zu tragen, dann verstößt das gegen Artikel 2. Dann interessiert mich Artikel 4 in dieser Frage nicht – von Glaubensfreiheit. Denn Glaubensfreiheit darf niemals die Freiheit des Einzelnen, was ja die Grundlage für unsere Demokratie ist, in Frage stellen.

"Man muss den Leuten sagen: Das ist eine freie Gesellschaft!"

Main: Hamed Abdel-Samad, heute ist Tag der Deutschen Einheit. Deutschland wird sich verändern angesichts des Zustroms von Flüchtlingen, die zum großen Teil Muslime sind. Sie als Islam-Kritiker – womit rechnen Sie für die nächsten Jahre?

Abdel-Samad: Ich weiß nicht, was es genau bedeutet, Deutschland muss sich verändern. Was genau muss sich verändern? Ja, strukturell müssen wir alle uns verändern wegen der Globalisierung. Vielleicht die Bildungspolitik sollte sich verändern, damit auch die neuen Migranten schnell sich zu Hause fühlen und Teil dieser Gesellschaft werden. Was auf gar keinen Fall sich verändern darf, ist unsere Haltung zu den Werten der Freiheit und der freien Meinungsäußerung - und die Kritikfähigkeit. Ich sehe da manchmal ungesunde Tendenzen, wenn an manchen Schulen gewarnt wird, Mädchen sollten keine kurzen Röcke tragen, damit sie Asylanten nicht provozieren. Man nimmt die Logik der Fundamentalisten auf und übernimmt das. Das finde ich keine gute Art. Diese Veränderung brauchen wir nicht. Ich hoffe, dass die deutsche Gesellschaft, die Politik, aber auch die liberalen Muslime mehr tun für die Aufnahme dieser Menschen, indem sie ihnen schon bei ihrer Ankunft erklären, wie eine offene Gesellschaft funktioniert. Sie müssen es ihnen erklären. Es muss ja einen Grund geben, warum diese Menschen aus einem islamischen Land fliehen und nicht zu einem anderen islamischen Land fliehen, sondern in das Land der sogenannten Ungläubigen fliehen. Diese Freiheit, dass man hier in Deutschland sowohl Jesus als Mohammed karikieren darf, dass alle Religionen frei ausgelebt werden können, aber auch kritisiert werden dürfen – diese Werte haben Deutschland zu dem gemacht, was Deutschland ist. Und davor muss man sich nicht verstecken, dafür sollte man sich nicht entschuldigen und daran sollte man auch nichts ändern. Denn das sind die Werte, die Deutschland so liebenswürdig gemacht hat, so dass Muslime lieber in Deutschland bleiben und nicht nach Saudi-Arabien, wo der Islam geboren ist, flüchten. Der Islam hat in diesen Ländern auch einen Beitrag geleistet für das Scheitern dieser Gesellschaften. Und es darf hier nicht der gleiche Islam noch mal sich wieder beleben und wieder im Namen der kulturellen Toleranz oder Vielfalt die gleiche Form von Islam noch mal wieder belebt werden. Nein, man muss aus den Fehlern in Bezug auf Integration in der Vergangenheit lernen, und man muss bewusst zu seinen Werten stehen und ganz am Anfang diesen Leuten sagen: Willkommen hier! Ihr könnt Teil dieser Gesellschaft werden, aber diese Gesellschaft ist eine Mitmach-Gesellschaft, es ist eine freie Gesellschaft. Schwule können in diesem Land ihre Sexualität ausleben, Lesben. Es gibt keinen Unterschied zwischen Jude, Muslim und Christ und Atheist – alle sind Bürger, und die Religion bestimmt nicht die Gesetze und nicht den Alltag. Wenn wir das diesen Leuten klar machen von Anfang an, dann gibt es die Hoffnung. Und genau das erwarte ich von den liberalen Muslimen, dass sie diesen Leuten, die zu uns kommen, das genau erklären. Und dass sie nicht die ganze Zeit damit beschäftigt sind, den Islam zu verklären und Scharia und Demokratie als vereinbar uns zu verkaufen. Das bringt nichts.

Main: Andernfalls bekommen jene Asylbewerber, die Religion kritisiert haben – sei es in Pakistan oder Bangladesch – die dann dort als Apostaten, als Abfällige vom Glauben, verfolgt werden, dann bekommen die nämlich andernfalls hier auch noch mal Stress.

Abdel-Samad: Genau das. Es gibt viele Menschen, die auch vor dem Islam geflüchtet sind und hier eine Form des Islam vorfinden, die sie wieder angreift. Und das darf nicht sein. Diese Gesellschaft lebt von der Freiheit. Eine offene Gesellschaft muss Kritik dulden. Man muss lernen, dass in dieser Gesellschaft niemand über dem Gesetz steht – weder Jesus noch Mohammed noch Papst noch die Kanzlerin. Niemand ist immun gegen Kritik und Satire.

Main: Und dann ist Einheit auch möglich.

Abdel-Samad: Dann ist Einheit möglich, wenn wir das finden, was uns verbindet. Und das ist das Grundgesetz. Das sind die Werte der Freiheit und der Vielfalt und dass die irdischen Gesetze unser Zusammenleben bestimmen und nicht irgendwelche Befehle von irgendwelchen Kreaturen im Himmel.

Main: Hamed Abdel Samad. Sein neues Buch, das jetzt zum Ende der Woche erschienen ist, heißt "Mohamed – Eine Abrechnung". Es ist im Verlag Droemer erschienen – rund 240 Seiten kosten 20 €. Hamed Abdel Samad. Schön, dass wir uns treffen konnten – danke für das Gespräch.

Abdel-Samad: Vielen Dank.

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Re: Hamed Abdel-Samad im Interview mit dem Deutschlandfunk heute:

Antwort von Betula am 07.10.2015, 15:12 Uhr

Oh je, hoffentlich bekommt der Mann keinen Ärger dafür dass er dieses Interview gegeben hat....

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Re: Hamed Abdel-Samad im Interview mit dem Deutschlandfunk heute:

Antwort von Butterflocke am 07.10.2015, 17:54 Uhr

Danke dir...;-)
Aber ich verschlinge ihn ja sowieso schon....;-)

Für das ganze Interview habe ich gerade jetzt in der Sekunde keine Zeit. Ich stecke knietief in den Geb-Vorbereitungen für´s Kinde.

Spontan bin ich nur bis hierher gekommen:

"Und wenn Muslime es wagen würden, "Mohammed aus dem Käfig der Unantastbarkeit zu entlassen und ihn Mensch werden zu lassen", was versprechen Sie sich davon als Effekt?"

Abdel-Samad: "Dass die Menschen nachdenken..........." usw....

Das sagt schon Vieles.

Später mehr, falls die Kuchen und Muffins (zur Abwechslung mal) gelingen....

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