Lieber Dr. Posth,
mein Sohn ist jetzt 7 Monate alt. Bisher war ich davon überzeugt ihn mit 12 Monaten in der Krippe betreuen zu lassen, da ich gerne wieder arbeiten gehen möchte.
Die Betreuung wäre dann drei mal die Woche für ca. 9 Stunden. Die anderen beiden Tage würde ich ihn dann bei mir zu Hause behalten.
Nun lese ich hier schon eine Weile im Forum mit und lese immer wieder das es doch nicht so gut für die Kinder wäre so früh schon fremd betreut zu werden. Ich selber bin auch mit 6 Monaten in die Krippe gekommen und haben trotz allem eine super Bindung zu meinen Eltern.
Ist es denn wirklch soooo schlecht wenn ich meinen Sohn schon mit 12 Monaten in die Krippe bringe? Eine gute Eingewöhnung natürlich vorrausgesetzt.
Können sie mir meine plötzlich aufkommenden Zweifel vielleicht nehmen?
Vielen Dank schon mal im Vorraus!!!!
von
Pupti
am 06.06.2011, 12:09
Antwort auf:
Ist es schlecht wenn ich mein Kind mit 12 Monaten in die Krippe gebe?
Stichwort: Fremdbetreuung
Hallo, das Argument einer einzelnen Person, keinen Schaden durch ein bestimmtes Vorgehen in der Kindheit erlitten zu haben, reicht nicht aus, um ein generelles Vorgehen in dieser Frage zu rechtfertigen. Sonst brauchten wir keine Verhaltensbeobachtungen im größeren Rahmen und vor allem auch keine Studien. Der tatsächliche Ausgang einer Maßnahme im frühen Kindesalter hängt mit den jeweiligen individuellen Voraussetzungen des einzelnen Menschen zusammen. Es gibt Kinder, die von Geburt an schlechte Umweltbedingungen erfahren haben und trotzdem später im Leben gut zurecht gekommen sind (Frage der Resilienz!). Und es gibt Kinder, die bei gleichen schlechten Voraussetzungen später massive Probleme bekommen haben (Frage der Vulnerabilität).
Beobachtet man nun 100 Kinder ohne zu wissen, was sie aushalten können und was nicht, dann ist es hinsichtlich normaler früher Fremdbetreuung so, dass die eindeutige Mehrzahl bereits im Ki-ga, aber spätestens in der Schule soziale Unverträglichkeiten zeigen (z.B. NICHD-Studie/USA). Schlechte frühe Fremdbetreuung schraubt die Zahl noch einmal deutlich in die Höhe, gute Fremdbetreuung hingegen drückt sie deutlich herunter.
Anders gesagt: frühe Fremdbetreuung führt nicht direkt zu Verhaltensauffälligkeiten und Störungen im Sozialverhalten. Aber das Risiko, eine solche Störung später zu entwickeln, steigert sich deutlich, je schlechter die Fremdbetreuung gewesen ist und je geringer der Resilienzfaktor des betroffenen Kindes ist. Und wirklich schlechte frühe Fremdbetreuung führt praktisch immer sofort zu Verhaltensauffälligkeiten, selbst bei ziemlich resilienten Kindern. Da müssen Eltern dann die Reißleine ziehen.
Ich kann Ihnen also Ihre Angst bei der Fredmbetreuung ab 12 Monate nur zum Teil nehmen. Machen wir einen Vergleich mit der Ernährung: Schlechte Ernährung erhöht das Krankheitsrisiko, aber nicht alle Menschen werden tatsächlich davon krank. Darin gehen alle Menschen konform. Gute Ernährung schützt die Gesundheit, aber befreit nicht von allen Krankheiten und Risiken. Auch darin sind sich alle Menschen einig. Fast alle Eltern aber versuchen, ihre Kinder so gesund wie möglich zu ernähren, das ist wie selbstverständlich. Warum einen Unterschied machen in der Frage der Fremdbetreuung? Ist seelische Gesundheit weniger Wert als körperliche? Vertrauen darauf, dass alles irgendwie gut geht, oder wenn nicht, später wieder in Ordnung zu bringen ist? Erfahrungen lassen einen zum Skeptiker werden. Trotzdem brauchen wir frühe Fremdbetreuung, aber eben optimale! Viele Grüße
von
Dr. med. Rüdiger Posth
am 09.06.2011