Frage: Allgemeine Frage

Sehr geehrter Hr. Dr. Posth, mein Sohn wird im Januar 4 Jahre alt. Er ist sicher gebunden, wurde die ersten drei Jahre nicht fremdbetreut, lang gestillt und hat immer viel Aufmerksamkeit bekommen. Kaum Trotzanfälle. Er ist selbstbewusst und will sich meist durchsetzen. Allerdings in der Gruppe schüchtern. Ich habe bei Ihnen gelesen, dass die Kinder, die ein "gutes Selbst" entwickeln, meist etwas anstrengender sind. Woran erkenne ich das genau? Er ist in letzter Zeit öfter mal anstrengend... Will immer bestimmen, braucht viel Beschäftigung, redet die ganze Zeit.... Oft wirken Kinder, die schon früh in die Fremdbetreuung gekommen sind, viel unkomplizierter und einfacher. Trügt dieser Schein..?? Ich will das beste für meinen Sohn. Doch die Außenwelt spricht immer gleich von Verwöhnen und Verziehen, usw.... Was meinen Sie dazu? Vielen Dank für Ihren Rat!

von Pumsi1980 am 15.09.2014, 12:20



Antwort auf: Allgemeine Frage

Hallo, das ist relativ einfach zu erklären. Selbstbewusste Kinder fordern von ihren Bezugspersonen und vor allem auch ihren Eltern viel klarer und bestimmender, was sie wollen und was sie durchzusetzen beabsichtigen. Insofern sind sie ein bisschen anstrengender. Allerdings sind sie so ab etwa 3 Jahren auch viel häufiger bereit, einmal einzulenken und auf die Erfüllung ihres Wunschen oder ihrer Absicht zu verzichten. Da sie ja schon viele positive Attribute (Selbstzuschreibungen) gesammelt haben, können sie eben auch einmal in dem einen oder anderen Fall nachgeben. Das macht sie wiederum umgänglicher. Frühzeitig fremdbetreute Kinder haben es meistens gelernt, sich situationgerecht anzupassen. Vielfach haben sie dafür gelitten und geweint. Dafür heimsen sie aber keine positiven Attributionen ein, sondern eher negative, denn das, an das sie sich angepasst haben, ist wenigtens anfangs nicht in ihrem Sinne gewesen. Sie fühlen sich von ihren Eltern in gewisser Weise im Stich gelassen, was sie so natürlich nicht denken können, aber doch sehr deutlich empfinden. Nach außen funktionieren sie also -oft auffallend- gut, aber in ihnen drinnen sieht es ganz anders aus. Auf diesen trügerischen Schein fallen leider auch viele Fachleute herein. Kinder machen das aber aus überlebenstaktischen Gründen. Objektiv messbar ist das emotionale Manko, das diese Kinder haben, nur in der Stress-Situation durch den Cortisol-Test im Speichel, und zwar über der Tag verteilt. Der Cortisol-Spiegel fällt bei diesen Kindern zum Nachmittag hin weit weniger ab, als bei entspannten, gut abgelösten Kindern. Verziehen und Verwöhnen sind zwei abgegriffene Vokabeln in der Früherziehung, deren wahren Inhalt man immer erst genau definieren muss. Viele Grüße

von Dr. med. Rüdiger Posth am 20.09.2014