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Geschrieben von Alhambra am 14.01.2017, 21:41 Uhr

Vorsicht, Maleja, lang, seeehr lang und dennoch eine sehr kurze Zusammenfassung

Meine beste Freundin war Türkin. Wir waren von der 7. bis zur 10, KIasse unzertrennlich, seelenverwandt, wie man so schön sagt. Ein Blick und wir wussten, was der andere denkt.

Ich werde nie vergessen, wie ich dort zum ersten mal zu Besuch war. Wir wollten für Geschichte lernen (was wir natürlich nicht taten). Angekommen, sind wir erstmal durch die Nachbarschaft gelaufen. In der Flur-Straße hat auch Günter Wallraff kurzfristig gewohnt, als er "Ganz unten" schrieb. Das war aber erst ein paar Jahre später.

Später sind wir zu ihr rein. Ihr Vater war Müllmann und war wohl gerade von der Arbeit gekommen. Er sah müde aus, saß in der Ecke der Küche und rauchte eine Zigarette. Ich war es gewohnt, dass man in deutschen Familien kurz "Hallo" sagte und noch ein "seit nicht so laut" hintergeworfen bekam. Der Mann aber stand auf, schüttelte mir die Hand und sagte "Guten Tag!" Ganz förmlich und höflich. Mir die Hand schütteln, obwohl ich gerade mal 13 war. Kannte ich so nicht und war sehr beeindruckt!
Später haben wir einen Film geguckt, die hatten schon ein Videogerät, wir nicht, war aber cool. Plötzlich waren ganz viele Frauen in der Küche und fingen an zu kochen und ich dachte noch, oh, kriegen gleich sicher Besuch. Dann wurde im Wohnzimmer aufgefahren, der ganze Tisch war übersät mit Leckereien, die ich nicht kannte. Ich stand auf und wollte Platz machen, meine Freundin hielt mich fest und meinte nur, dass die für mich (!!!!) gekocht hätten.
Ich war völlig platt. Gott, diese Gastfreundschaft und wie lecker das war. Und ich habe noch Unmengen eingepackt bekommen für zu Hause. War der Hammer!

Wir haben sehr viel zusammen gemacht an Wochenden. Ich war mit auf türkischen Hochzeiten, ganz anders als deutsche Hochzeiten. Werde ich nie vergessen, komme an, sagt sie zu mir. wir gehen jetzt auf eine Hochzeit. Ich gucke doof und sage, ok, gehe ich wieder. Nee, kommst mit. Ich sage, ich kenne die doch gar nicht. Sagt sie, egal, ich auch nicht!
Ab in Schlafzimmer, schickes Kleid bekommen, ab zur Hochzeit. Waren knapp 400 Gäste, gefeiert in einer Schulaula. Fand ich spannend und aufregend. Laute Musik, dass einem die Ohren abfielen und Gäste, die so gar nicht nach Hochzeitsgästen aussahen und wir haben auch türkisch getanzt. Mein Hüftschwung war super und der türkische Sirtaki war echt klasse. Stands am Rand, Menschen-Kette geöffnet, Leute packen dich, zerren dich mit und eh du dich versiehst tanzt du. Das war wirklich genial und die Zeit hat mir mehr als Spaß gemacht. Diese Zeit hat mir so geholfen. Besonders, weil meine Schwester damals starb. Die Deutschen sind reserviert, wenn jemand stirbt. Ihnen fehlen die Worte. Nicht den Türken. Meine Freundin sprach mit mir, sie fragte, wieso, weshalb, warum. Und ich konnte meine Trauer mit ihr teilen. Sie war meine Freundin, die mir auch über eine sehr schwere Zeit hinweghalft. Allein, weil sie nicht betreten schwieg sondern weil wir redeten.

Meine Freundin kam auch zu mir. wurde aber immer von der großen Schwester, die schon Führerschein hatte und ihrem Bruder gebracht und abgeholt. Das da Überwachung hintersteckt, hatte ich gar nicht wahrgenommen. Die Schwester trug auch kein Kopftuch! Alles normal für mich. Eine tolle Zeit.

Wir wurden älter und irgendwann trug die Schwester Kopftuch. Ich war völlig verwundert und dann hieß es, sie heiratet. Ich meinte noch, wie, ich kenn den ja gar nicht. Und was sagt sie? Ich auch nicht! Ich war nicht nur perplex, ich war verstört. Wie kann man jemanden heiraten, den man nicht kennt?
Das Kennenlernen fand in einem Cafe unter Aufsicht statt und da wurde das mal eben geklärt. Auch meine Freundin meinte, das wäre halt so.

Und so war die zweite türkische Hochzeit, die Hochzeit der Schwester meiner besten Freundin. Melli sah nicht gut aus. Sie sah ängstlich aus. Und so fremd in diesem pompösen Kleid (gekauft in Marxloh, dort kann man bis heute super Hochzeitskleider kaufen und die kommen dafür auch von weit her).

Die Hochzeit war aber nicht so schön. Anfang schon, alles wie gehabt. Ohrenbetäubende Musik und plötzlich brannten die Augen. Das wurde ganz heftig und die Leute drängen auseinandern. Im nächsten Augenbllick stürzten Männer auf einander ein und meine Freundin riss mich am Arm weg.

Einer der Feiernden hatte es für eine gute Idee gehalten in der Menge eine Gaspistole abzufeuern. Den Knall hast du durch die Musik nicht gehört, nur die Augen tränten wie irre. Aus heutiger Sicht großen Glück, dass niemand tot getreten wurde. Die Hochzeit war gelaufen, der die Waffe abfeuerte hatte zuviel Raki getrunken und wurde dafür auch körperlich gemaßregelt. Melli heulte und war nun verheiratet. Da fingen die Veränderungen in meiner Wahrnehmung an. Wir wurden älter.

Meine Freundin Senay hatte später einen Freund - heimlich. Ich war naiv und dachte, dass es am Alter liegt, dass man einen Freund nicht erwähnt, selbst bei deutschen Familien war das in dem Alter von 15/16 noch nicht selbstversändlich. Irgendwann passierte es, dass meine Senay in der Schule fehlte. Nicht schlimm, kann ja mal krank werden. Handy gab es nicht, auch kein Grund sich Sorgen zu machen. Die kamen erst am dritten Tag. Zumal Lehrer mich fragten. So war das damals noch. Wir waren beste Freundinen, sie fragten mich und Lehrer hakten nicht gleich daheim nach.
Aber ich rief dann irgendwann bei ihr an. Sie konnte kaum sprechen, weil ihr Vater sie zusammengeschlagen hatte. Dieser nette Mann, der für ich aufstand und mir die Hand schüttelte, schlug meine Senay krankenhausreif. Und warum? Nicht weil er wusste, dass sie einen Freund hat, das war noch gar nicht klar. Nur, weil er ein Foto von ihm in ihrer Schultasche gefunden hat. Mehr nicht! Er sah das Foto, keine Worte, keine Fragen nur Schläge bis zur Bewusstlosigkeit.

Das war so schrecklich. Schrecklich auch, weil meine Senay keine Hilfe wollte und auch nur abwiegelte. Nein, alles ok. Sobald alles verheilt ist, kommt sie wieder in die Schule und ich solle nichts sagen. Ich bin ein eingreifender handelnder Mensch, hat mir in der pubertären Zeit auch schon mal Ärger gebracht. Aber ich musste ihr versprechen, zu schweigen und nichts zu unternehmen. Daran bin ich fast erstickt!

Die Treffen wurden auch weniger, weil sie sich so sehr veränderte.
Die nächsten wurden verheiratet. Ein Junge von gegenüber wurde auch mit einer ihm Fremden verheiratet. Später hieß es, die Frau sei schrecklich, er trank und schlug sie oft. Aber das wäre ja die Frau schuld. Das sagte meine Senay. Alles war so anders geworden. Das Unberschwerte war fort.
Später hatte ich einen Freund und wir sahen uns dann auch gar nicht mehr. Die Welten waren zu weit auseinander gedriftet.

Ich traf sie etliche Jahre später wieder. Durch Zufall, mit einem Baby auf dem Arm. Sie hatte den schlagenden Trinker geheiratet. Der war noch gut genug für eine Entehrte.

Diese Zeit war sehr intensiv und die Entwicklung von den unbeschwerten Mädchen zu den heiratsfähigen Frauen, die ihre Rollen einzunehmen hatten, war für mich eine Entwicklung, die ich nicht verstand, die ich nicht annehmen konnte oder eben nicht wollte. Wir entfernten uns von einander. Die tiefe Freundschaft war nur noch belanglose Bekanntschaft. Das war einseits ein großer Verlust und zugleich eine sehr traurige Erkenntnis.

Auch heute, über 30 Jahre später, verfolgt es mich, dass der Vater nur wegen eines Fotos seine Tochter halb totschlug. Bei den Gedanken bekomme ich bis heute Beklemmungen. Und die Tatsache, dass meine Senay ihre Rolle als Mensch 2. Klasse angenommen hatte. Und so wird sie es auch an ihre Tochter weitergegeben haben. Welche andere Möglichkeit hatte sie schon?

 
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